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Wenn der Herr Meckermann im Urlaub bitten läßt

Die Ossis fahren zum Urlaub noch immer am liebsten in den Osten/ West-Reisekonzerne haben den Trend erkannt: Billigreisen laufen prima  ■ Von Steve Körner

Nach Ungarn sind die Krügers aus Halle schon gefahren, als ihnen noch gar keine andere Wahl blieb. Der Trabi wurde vollgepackt mit Zelt und Lebensmitteln, Harald und Elke zwängten sich auf die Vordersitze, Grit und Egbert in den Fond und ab ging's für zwei Wochen nach dem Süden. Daß die Krügers wie alle DDRler dort immer Gäste zweiter Klasse waren, störte sie eigentlich nicht weiter. Man hatte sich abgefunden damit, der arme Deutsche aus dem falschen Deutschland zu sein, der, der mangels anderer Gelegenheiten sogenannte „Zollerklärungen“ im Schuh über die Grenze schmuggelte, weil die die einzige Möglichkeit boten, die äußerst karge Reisekasse von nur knapp vier- oder fünfhundert Mark pro Kopf — umgerechnet wenig über 2.000 Forint — illegal aufzubessern. Mit solcher Ausstattung war selbst zu besten Zeiten des Staatssozialismus nicht an einen vernünftigen Urlaub in Miethaus oder Appartement zu denken. Wer nicht das Glück hatte, im Betrieb „dran“ zu sein und einen der FDGB- Reiseplätze zu ergattern, mußte das Westgeld der Düsseldorfer Oma investieren, um am Balaton oder in Budapest einigermaßen über die Runden zu kommen.

Zumal man sich ja stets eindecken mußte mit allem, was in Ungarn gut und teuer und zu Hause nicht zu bekommen war: Seien es nun „echte“ Levi's oder Schallplatten, Tomatenketchupflaschen oder Bastschuhe. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei. Auch für die Krügers. Kein tägliches morgendliches Rechnen mehr, ob das Geld noch reicht.

Wie die Krügers entschlossen sich im Jahr Eins nach der deutschen Einheit Hunderttausende Ostdeutscher, nach dem teuren Intermezzo auf Mallorca zu ihren Urlaubswurzeln zurückzukehren. Gerade Ungarn ist als Reiseland im Osten beliebter denn je: billig, sonnig, ja, und außerdem hat man ja doch noch die eine oder andere alte Rechnung zu begleichen. Von wegen nicht für voll genommen werden!

Die aktuellen Zuwachsraten sind zweistellig. 18 Prozent mehr deutsche Urlauber registrierten die ungarischen Grenzer schon in den Wochen der Vorsaison. Bereits bei dieser Vorhut kam die Mehrheit aus Ostdeutschland, und diesmal werden die Puppen tanzen müssen, denn diesmal hat Papa Krüger das richtige Geld in der Tasche.

Die Krügers haben eine Villa am Balaton gemietet. Einmal klotzen und nicht kleckern, wozu kriegt man schließlich neuerdings dieses Urlaubsgeld? Bei Neckermann-Reisen haben die Krügers gebucht, sozusagen ein Markenname, das bürgt für Reisequalität. Man hört ja soviel über windige Schwindelfirmen, die beim unerfahrenen Osturlauber nur abzocken wollen. Darauf fällt man schon lange nicht mehr rein.

So ganz billig ist der Urlaubsspaß dann zwar auch nicht mehr. Aber für 1.600 Mark, da kann man dann ja auch schon mal etwas mehr als einen „wunderschönen Blick auf den See“ (Prospekt-Text) verlangen. Oder etwa nicht?

Oder etwa nicht. Die großen Reiseveranstalter haben den neuen Kunden im Osten und dessen Bedürfnisse schnell entdeckt und sich auf seine Wünsche eingestellt. Billig will es der Ossi vor allem haben, das erste eigene Ferienhaus seines Lebens, und dafür erträgt er's auch ruhig ein bißchen rustikal. Der Ex-DDRler ist ja von Natur aus nicht sooo verwöhnt in seinen Ansprüchen, der kann ohne täglich frische Handtücher und Klimaanlage leben.

Aber kommen die Krügers zwei Wochen lang ohne Trinkwasser, Wasserklo und Treppengeländer aus? Herr Neckermann, den nach zwei Tagen alle im Ort nur noch „Meckermann“ nennen, immerhin muß es meinen, denn er hat den Krügers die noch nicht ganz fertiggestellte, aber dennoch schon heftig baufällige Hütte angedreht. Beim Begrüßungscocktail mit Frau Babiloni, der ungarischen Reiseleiterin, zieht Herr Krüger vom Leder: „übelste Betrügermethoden“ seien das! „Wie früher!“ schreit es von hinten. Denn auch etliche andere Urlauber aus Gera und Dresden fallen nun ein und klagen einander lauthals ihr Leid. Da ist eine Familie, von deren eigentlich gemietetem Haus erst die Fundamente stehen und die sich nun „in einen ganz anderen Ort abgeschoben“ sieht. Oder das junge Ehepaar, desen Hausterrasse nicht die Andeutung eines Geländers hat: „Unser dreijähriger Sohn kann doch da jeden Moment runterfallen!“ empört sich die Mutter. Das Trinkwasser käme außerdem stets braun und stinkend aus der Leitung, durch die Fugen regne es durch und die gesamte Elektroinstallation sei „höchst abenteuerlich“. Gabriella Babiloni aber ist solchen Kummer gewöhnt. Die Ostler meckern eben ein bißchen mehr als normale Kunden. Aber dafür reklamieren sie nicht. Ändern kann sie, das ungarische Sprachrohr des deutschen Reisemultis, doch sowieso keines von den Dingen, über die die deutschen Gäste so ausdauernd schimpfen. „Wenden Sie sich mit irre Probleme bitte zu Öffnungszeit an Schlüsselausgabe.“

Dort sitzt Lorencz, ein Mann mit der stoischen Gelassenheit eines gelangweilten Großmoguls. So laut kann Herrr Kürger gar nicht schreien, daß er Lorencz aus der Ruhe zu bringen vermag. „Alles nicht so schlimm“, beschwichtigt Neckermanns Statthalter die genervte Kundschaft. Neckermann hat seine für die Ossis bestimmten Häuser vielleicht nicht gerade sorgfältig ausgesucht: Viele sind unter normalen Bedingungen nicht brauchbar, und vermietbar sind sie schon gar nicht. Bei seinen Angestellten hat der Reiseriese dafür ganz genau hingeguckt. Und wie's aussieht, reicht das für uns Ostler allemal.

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