: Turbo-Sexdrive, gedrosselt
■ Friedrich Meyer-Oertels „Don Giovanni“, wiederaufbereitet am Goetheplatz
hierhin bitte
das Foto von dem
Mann mit erhobenem
Degen
Don Giovanni als Vollstrecker in finaler Dämmerung.Foto: Mauritia Hetzer
Ach, was ist das für ein dicker käsebleicher Kegelbruder, denkt man sich bei der finalen Abrechnung. Das soll der Law-and-order-Komtur ganz aus Marmorstein sein? Voller solcher heiterer Patzerchen steckt der neue alte Don Giovanni im Goethetheater. Aber die sind gar nicht der Rede wert, da genügt ein Tip, und ex sind sie weg. Sonst? Sang und Klang und Spiel ordnungsgemäß. Wieder eine Fassung, gegen die
ernsthaft nichts zu sagen ist, als daß es von der Sorte schon reichlich gibt.
Thomas Mittmann hat also jetzt die sechs Jahre alte Bremer Inszenierung von Friedrich Meyer-Oertel aus dem Fundus gekramt und restauriert. Sie muß damals schon ein bißchen ältlich gewirkt haben. Ein Spiel vor Quadersäulen und munkeldunklen Torbögen und anderem Griesgram — kein Wunder, daß es einen Schatten kriegt in dieser gemütvollen Düsternis (Bühnenbild: „nach Hanna Jordan“).
Selbst die Ouvertüre leidet unter Erweichung und rappelt sich erst langsam auf wie eine entschlafene Reminiszenz. Bald bringt zwar Istvàn Dènes Leben in die Philharmoniker, es bleibt aber ein leichter Schleier um die Musik. Sozusagen: ein Flor.
Unsinn. Man soll nicht Haltung annehmen vor diesem Stück. Eine so dämmergrämliche schon gar nicht. Die Musik ist nicht umsonst die hellste, die Mozart aufbieten konnte zur Ausleuchtung seiner vollverspiegelten Charaktere. Allein der tolle Don hat Glanz und Leben für zwölf gewöhnliche Theatergesellschaften. Alles zugleich woll'n wir doch sehen, und zwar bei Licht: den Unwiderstehlichen, den alten Mistkerl usw., das adlige Herrchen, den Draufgänger mit seinem zuverlässigen Mordsappetit und, ganz nebenbei, die spießigste Sammlernatur der Operngeschichte.
Von Anfang an, seit er aus heiterem Himmel bei Donna Anna nicht hat landen können, ist er angeschlagen. Umso heftiger fliegen alle auf ihn, und am stärksten ist er am Ende, wo ihn der Teufel holt. Peter Volpe gibt ihm Wohllaut, aber keine Rasanz. Das bremst den Turbo-Verführer ab auf die Drehzahl eines gepflegten Kleinstadt-Gigolos.
Ich weiß aber auch keine schwierigere Figur. Giovanni ist der große Verlierer im Zivilisationsprozeß, besser: die Summe all unserer Verluste (bislang). Ein abgespaltenes, deformiertes Traumwesen aus gänzlich moralfreiem Sex-Drive. Alles, was weder zu ertragen noch zu entbehren
Dicker bleicher Kegelbruder!
ist. Höchstens zu vernichten. Nicht zufällig schauen seine Mitspieler ohne ihn, besonders am Ende, ziemlich dämlich aus.
Donna Elvira z.B., die unermüdlich kreditbereite Seele. Schön, daß Treue auch nix nützt, nicht? Theresa Seidls Gesang ist von prächtiger, geschmeidiger Fülle. Was allerdings ein wenig zu Lasten der Sprachgestaltung geht. Wenn es nur Vokale gäbe, wäre sie die Größte.
Donna Anna, mit letzter Kraft, aber unbeugsam ihre Barrikaden wider diesen Giovanni reparierend, muß sich auch noch den unerträglich rechtschaffenen Don Ottavio (schön schmachtvoll: Ulf Oien) vom Leibe halten und erlahmt darob. Sherry Zannoth sang sie am Donnerstag mit Würde, aber leicht sägendem Oberton im Belastungsfall.
Die holde Zerlina (Audrey Luna) samt ihrem Polterbauern Masetto (Loren Christopher Lang, dem leider für das „Ssssignor, ssssi!“ die Aufsässigkeitsbefähigung fehlt) - diesen beiden war der Don noch am ehesten Episode. Und dem Leporello. Eine Wonnerolle übrigens für Mircea Simpetrean, der nach seiner Registerarie das ganze Publikum in der Hosentasche hatte.
Alles brauchbar also, auch redlich geschauspielt. Alles in Ordnung. Nichts, was man nicht vergessen mag. Manfred Dworschak
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