: Heilige graue Reihen unter den Wolken des Ruhms
■ Ein Beitrag des Berliner Kunstwissenschaftlers Hans-Ernst Mittig über die Architektur des Olympia-Geländes/ Die Anlage steckt voller Hinweise auf militanten Totenkult/ Keine Tafel erinnert an die 2.000 Hitler-Jugendlichen, die 1945 im Endkampf um das Stadion ins MG-Feuer getrieben wurden
Das NS-Regime plante, sein Territorium mit einem dichten Netz architektonischer Symbole zu überziehen. Architektur, die eine typische Form erkennen läßt, sollte in einzelnen, jeweils einzigartigen Bauten gipfeln und dadurch Führertum und Unterordnung veranschaulichen.
Zu diesen Bauten gehörte das »Reichssportfeld« in Berlin. Es entstand seit 1934 nach Plänen des Architekten Werner March als Schauplatz der XI. Olympischen Spiele, die nach Berlin vergeben worden waren. [...]
Nördlich des Olympia-Stadions [...] das Schwimmstadion, [...] weiter links [...] das Haus des Deutschen Sports; weitere Sportanlagen bedecken eine ausgedehnte Hochfläche. Die Mittelachse der Anlage ist durch einen Glockenturm markiert. Er erhebt sich aus einem Hallenbau, der »Langemarckhalle«. Ihr Untergeschoß gewährt den Durchgang durch einen »Westwall« (mit Tribünen) zur »Aufmarschfläche«, dem »Maifeld«. Die westliche Öffnung des Stadions, das »Marathontor«, wird flankiert durch zwei Turmpaare, links den »Friesenturm« und den »Sachsenturm«, rechts den »Frankenturm« und den »Schwabenturm«.
Das alles sind Namen, die das Gelände mit einer symbolischen Geographie überspannen: Griechische und germanisch-deutsche Motive werden verbunden, Marathon und Langemarck — Ort einer Schlacht des ersten Weltkrieges — erinnern verschieden deutlich an kriegerischen statt sportlichen Kampf. [...]
Das Marathontor ist als Zentrum der Gesamtanlage ausgestattet. Eine breite Treppe führt hier vom Stadionboden auf eine mit Steinplatten belegte Plattform, von der sich jenseits einige Stufen zum Maifeld senken. Steintafeln an den Innenwänden des Marathontors berichten von den Olympischen Spielen 1936. In der Innenachse steht ein metallener Dreifuß mit der Schale, in der das Olympische Feuer während der Spiele brannte. [...]
Als 120.000 Menschen am Nachmittag des 1. August 1936 auf das Eintreffen des Staffelläufers mit der »Olympischen Flamme« und auf die Eröffnung der Spiele warteten, näherten sich die Leiter des NS-Staates dem Stadion nicht vom Olympischen Platz, also der Stadtseite der Anlage, sondern vom Glockenturm im Westen.
Angeblicher Friedenwille bekundetet
Der »Führer« verweilte, begleitet vom Reichskriegsminister von Blomberg, in der Langemarckhalle, dann erschien die Gruppe im Marathontor. Die Sportler der 51 teilnehmenden Nationen zogen ein und grüßten zur Ehrentribüne hinauf. [...] Die neue Staatsleitung wollte begründeten Argwohn besänftigen: durch ein prachtvolles und fesselndes Schauspiel und durch Bekundungen angeblichen Friedenswillens namentlich in begleitenden Reden, wie es der 1894 neubegründeten Tradition der völkerverbindenden Spiele entsprach. Imponieren sollte eine moderne, perfekte Organisation. Ebenfalls nach den Plänen Marchs war ein stadtfernes »Olympisches Dorf« erbaut worden. Transport und Betreuung oblagen der Wehrmacht. [...]
Leistungen der deutschen Wirtschaft konnten auch zum olympischen Zeremoniell beitragen. Die Olympische Glocke wurde als Spitzenerzeugnis des Bochumer Vereins für Gußstahlfabrikation A.G. gefeiert. Als weitere Neuerung war ein Fackel-Stafettenlauf von Olympia bis zum Austragungsort ersonnen worden, der bis heute im Zeremoniell Olympischer Spiele verblieb. Im Hain von Olympia bündelte ein Brennspiegel der Firma Zeiss die griechische Sonne. Die Griffe der Fackeln blieben den Stafettenläufern als Erinnerungsgabe der Firma Krupp.
Wehrmachtsangehörige sorgten auch für die musikalische Begleitung der Spiele. Im Zeremoniell selbst trat eine über den sportlichen Wettkampf hinausreichende unfriedliche Komponente deutlich hervor. Dies gipfelte in dem Festspiel, das den ersten Tag der Spiele beschloß. Carl Diem, als Generalsekretär der Leiter der Spiele, hatte den vierten Akt seines Festspiels Olympische Jugend, »Heldenkampf und Totenklage« genannt. Ein Sprecher im weißen Festanzug rief zu »höchstem Ernst« auf mit den Worten:
Allen Spiels heil'ger Sinn:
Vaterlandes Hochgewinn.
Vaterlandes höchst Gebot
in der Not! Opfertod!
Dann begann ein von Werner Egk komponierter »Waffentanz (mit dem Schwerttod endend)«. [...] »Zwei Flakbatterien blendeten ihre Scheinwerfer auf, und ein »Lichtdom« überwölbte das Stadion. Die Reizüberflutung der magischen Künste der Lichtregie ließ jedes nachdenkliche Wort auf den Lippen ersterben. Das Läuten der Olympischen Glocke suggerierte das Gefühl, einer sakralen Handlung beigewohnt zu haben«, berichtete der Sportwissenschaftler Bernett.
Heute scheinen diese Töne vergessen. Und auch der heutige Blick scheint das Berliner Olympiagelände kaum noch als Propagandakunstwerk zu erkennen. Sein nach Kriegsende beschädigter Glockenturm wurde 1961/62 durch denselben Architekten Werner March erneuert. Das Stadion erhielt eine Flutlichtanlage und — für die Fußballweltmeisterschaft 1974 — zwei Tribünendächer aus Stahlfachwerk und Acryl. Es wird unbekümmert genutzt: als Sportstätte, aber darüber hinaus als ein Wahrzeichen, mit dem jetzt das Land Berlin und seine Firmen werben. Der Blick der Stadionbesucher streift Tafeln aus Stein und Bronze, mit denen Architekten, Sportler und Organisatoren — wie Diem — geehrt werden. [...]
Die propagandistische Zweckbestimmung wurde den Olympiabauten nicht nur äußerlich angeheftet und ist nicht einfach durch neue Nutzung ablösbar. Die Anlage steckt voll sichtbarer Hinweise auf militanten Totenkult.
Einige sind allerdings verschlüsselt, heute wie damals nur Vor-Informierten verständlich. Zum Beispiel sind in die beiden Türme des »Olympischen Tores« grob behauene Quader eingelassen; dieses »Rustika«- Motiv weist traditionell auf Wehrhaftigkeit hin, also etwas, was nicht zum Inhalt friedlichen olympischen Sports gehört, wohl aber als hohes Ziel deutschen Sports propagiert wurde. [...] Doch bleibt es bei solchen Andeutungen nicht. Der Gesamteindruck der Fassaden wies und weist in den Bereich des Militärischen.
Dazu wurde die moderne Stahlbetonkonstruktion soweit wie möglich verborgen: mittels einer Verkleidung aus Naturstein, die Albert Speer auf Wunsch Hitlers entworfen haben will. [...] Nicht als nüchternes Produkt von Baumaschinen sollte das Stadion dastehen, sondern ein Heer von Beschäftigten rauhte die Steinverkleidung in Handarbeit auf. [...]
Einer kolossalen Pfeilerstellung ruht ein Kranzgesims auf. Das antike Motiv von Stütze und Last wird in Einzelformen übersetzt, denen alles Gerundete, Vermittelnde fehlt: hartkantig-rechteckig-gestuft präsentieren sich die Pfeiler, die Decken der beiden Umgänge dahinter und das schwere Gesims. Dem so erzeugten Eindruck von Starre kontrastiert zwar die ovale Führung der Pfeilerreihen und Rückwände, aber beim Längsblick durch die gebogenen Umgänge [...] dominiert um so deutlicher die monotone Reihe von Pfeilerstücken und von Lampen, die wie Feuerschalen geformt sind. Ein »Gesetz vollständiger Gleichförmigkeit« hat der Architekt March als seine Richtschur bezeichnet. Hier wie in späterer NS-Architektur, namentlich solcher an Aufmarschplätzen und Aufmarschstraßen, wird der Zug militärischer Kolonnen suggeriert. [...]
Da das »Reichssportfeld« mit gewaltigen, zum Teil erhaltenen Skulpturen durchsetzt wurde, wäre es denkbar, daß sie deutlich auf Sport, also auf die sachliche Bestimmung der Anlage hinwiesen, Assoziationen von Militär und Bestattung in den Hintergrund drängten. Aber die Struktur des »Reichssportfeldes« zeigt selbst da, wo zum Beispiel »Staffelläufer« oder »Diskuswerfer« [...] dargestellt sind, wenig Sporttypisches. [...] Nicht Konzentration auf einen sportlichen Wettkampf prägt die Gesichter, sondern eine unbestimmte Entschlossenheit, deren Ziele nicht auf das Sportfeld begrenzt sind.
[...] Die Olympische Glocke zeigt außer Hakenkreuzen, Reichsadler, Brandenburger Tor und Olympischen Rängen den Spruch: »Ich rufe die Jugend der Welt«. Ihren »ehernen Gruß« zur Eröffnung begleiteten Salutsalven. Wenn die Glocke im Turm über der Langemarckhalle alle Zeremonien der Olympischen Spiele begleitete, erging ihr monotoner »Ruf« offenkundig nicht nur vom Olympischen Komitee an die jungen Sportler. Rufer oder Gerufene sollen die jungen Soldaten sein, die 1914 nahe Langemarck, auch militärisch fehlerhaft eingesetzt, im Feuer von Maschinengewehren gestorben waren; beim Feldzug in ein neutrales Land, der 1940 wiederholt wurde.
[...] Ihr heiligen
grauen Reihen
geht unter Wolken
des Ruhms
und tragt
die blutigen Weihen
des heimlichen Königtums
steht es innen an der Wand der Langemarckhalle! Sie enthielt ursprünglich auch Erde aus Langemarck unter einer symbolischen Grabstätte.
Was in der Langemarckhalle nicht als Teil eines Angriffskrieges dargestellt wird, sondern mit dunklen Wendungen umrankt wurde und wird, hat sich wiederholt — an Ort und Stelle.
Stellung für Flugabwehrgeschütze
1938 hatte das Olympia-Stadion einen Rüstungsbetrieb der Firma Grundig aufgenommen, später als Stellung für Flugabwehrgeschütze gedient; bei Kriegsende wurde es eine der letzten Bastionen. Als Berlin im März 1945 bereits von der Roten Armee umgangen war, hielt Diem im Reichssportfeld vor der eben rekrutierten Hitlerjugend-Division »Großdeutschland« eine Rede, in der er zum »siegreichen Endkampf« aufforderte. [...]
Der Sportwissenschaftler Bernett berichtet vom Kampf um das Olympische Gebäude lapidar, »daß es mehrfach eingenommen und zurückerobert wurde... Die HJ-Regimenter traten am 28. April 1945 zum Angriff an, um die Sowjets aus dem Stadion zu vertreiben. Auf Befehl der SS stürmte die Hitlerjugend in das feindliche MG-Feuer. Als sie das Stadion zurückerobert hatten, blieben zweitausend Tote auf dem olympischen Schlachtfeld zurück...«. Daran erinnert keine Tafel.
Einige Tage später besichtigte Diem das beschädigte Stadion. Er dachte an die Kinder, die sich bei dem olympischen Festspiel 1936 auf dem Rasen zu einem riesigen Ornament geordnet hatten. Doch er sah keinen Zusammenhang zwischen »Formung und Untergang, sondern nur einen wahnwitzigen Gegensatz«.
[...] Anfang 1943 wurde das Olympia-Stadion auf einem vier Zentimeter messenden Anhänger aus bronziertem Presstoff wiedergegeben, der gegen eine Spende für das »Vierte Kriegswinterhilfswerk des Deutschen Volkes« zu bekommen war. Sein Relief zeigt das »Olympische Tor«, dahinter die Ostseite des Olympia-Stadions.
Trotz starker Vereinfachung wurde nicht auf die Wiedergabe eines auffallenden Baumes verzichtet. Zusammen mit der im Umriß ähnlichen Wolke, deren Fläche das Ganze überwölbt, zeigt dieser Baum die Bauten in Natur eingebettet — wie es der Architekt angestrebt hatte. Viele Käufer und Träger der Plakette konnten aus eigener Kenntnis auch ergänzen, daß der mit fränkischem Muschelkalk verkleidete Bau selbst aus natürlichem Material zu bestehen scheint. [...] Der Baum ist zugleich Naturgegenstand und Symbol. Der Eichenzweig sollte an die Stelle des Ölzweigs treten: Der Architekt March kündigte an, der Baum werde nach den Olympischen Spielen »die Kränze für die Sieger der deutschen Kampfspiele spenden«. [...]
Indem eine solche Kunststätte Naturmaterial aufnahm, blieb sie Instrument werbender Absichten. Das in den Bauten symbolisierte Regime sollte als natürlich, mithin als unanzweifelbar und unerschütterlich dastehen. [...] Hans-Ernst Mittig
Der Autor ist Professor für Kunstgeschichte am Fachbereich 11 der Hochschule der Künste. Sein Beitrag »Kunst und Propaganda im NS-System« ist dem Buch »Moderne Kunst. Das Funkkolleg zum Verständnis der Gegenwartskunst«, Band 2, von Rowohlts Enzyklopädie entnommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen