: Lenin oder Langer Lulatsch?
■ Eine Hauptstadt sucht ihr neues Wahrzeichen — Die taz schreibt einen Wettbewerb aus
Gibt es Berlins einzig wahres Wahrzeichen? Die taz wollte es wissen und begab sich in ein gutsortiertes Pressearchiv — viele Möglichkeiten, kein Ergebnis. Deshalb sollen die LeserInnen auf der Grundlage der nun folgenden Auswahl entscheiden, am besten aber mit eigenen, weiterführenden Angeboten. Für die besten Vorschläge sind fünf Brandenburger Tore aus echtem Lübecker Niederegger-Marzipan ausgesetzt. Ihre Ideen bitte an: taz- Lokalredaktion Berlin, z. Hd. kotte, Kochstraße 18, 1000 Berlin 61.
Palast oder Ballast?
Im 'BZ‘-Volksmund heißt er »größter Lampenladen der Republik«, »Honeckers Datsche an der Spree« , »Ballast der Republik« oder noch schlimmer »Palazzo Prozzo«. Der von 1973 bis 1976 mit Hilfe der Roten Armee aus dem Spreemorast gestampfte Palast der Republik wurde im September 1990 wegen angeblich großer Asbestgefahren schon vor der Stillegung der DDR abgesperrt. Wenn es nach dem Stadtplanungssenator Volker Hassemer (CDU) ginge, sollte der Palast ganz weg. Dann käme hier das Kohlsche Kanzleramt hin — also der Regierungssitz und -aussitz als solcher. Sein Kollege Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) und viele LiebhaberInnen der guten alten Zeit mit ihm beabsichtigen gar, das alte Stadtschloß der Hohenzollern wieder entstehen zu lassen — als eine Art Historien-Disneyland mit Läden, Kinos und Theatern.
Gegen diese Geschichtsbereinigung, die quasi an den Abriß des Stadtschlosses durch Ulbrichts SED anknüpfen würde — unter veränderten Vorzeichen — haben sich der Palast-Architekt Heinz Graffunder und der Architektur-Theoretiker Bruno Flierl ausgesprochen. Flierl ist dagegen, den Platz wieder »herrschaftlich aufzuladen« und das innerstädtische Leben mit einem Hochsicherheitsregierungsviertel zu blockieren.
Halle des Volkes
Der Palast sei nicht der Herrschaftsbau gewesen, zu dem er hochstilisiert werde. Er sei auch ein Tagungsort für Architekten, Künstler und Schriftsteller gewesen: »Nicht so frei nutzbar wie das Centre Pompidou, aber viel offener als der Kreml-Palast.« Tatsache ist, daß der Palast mit seinen vielfachen kulturellen und gastronomischen Angeboten vor allem auch eine Halle des Volkes war.
Der Direktor des Archäologischen Landesamtes Alfred Kernd'l schlägt vor, aus dem Platz vor dem Republikpalast ein »Freilichtmuseum« zu machen, indem man zehn Meter tief gräbt, um dann durch den Parkplatzasphalt, die preußischen Fundamente bis in die Steinzeit gucken zu können. Aber vermutlich ist der einstige Stolz der DDR schon längst angezählt, wenn das Geld nicht allzu knapp wird, wird er als Sozialismussymbol einfach weggemacht. Ein Wahrzeichen weniger.
Die Kongreßhalle im Tiergarten, ein Spannbetongeschenk der Amerikaner an ihren Vorposten, auch »schwangere Auster« genannt, ist der ideell-provinzielle Gesamtnierentisch für Neudeutschland. Daß sie schon mal zusammenkrachte, macht sie symbolisch noch attraktiver.
Elektro-Ehebett
Das ICC am Messegelände, ein Raumschiff wie aus »Mondstation Alpha 1«, das glänzend isoliert zwischen Straßen, Autobahnen und S-Bahnsträngen auf einer gigantischen Verkehrsinsel liegt, taugt wirklich nur zum Vorbeifahren. Drinnen sieht's aus wie auf einem elektronisch aufgerüsteten Ehebett oder wie auf einem Kleinflughafen eben so, wie man sich vor 20 Jahren das Jahr 2000 vorgestellt hat. Eher ein Traurig-aber-wahr-Zeichen.
Auch der Funkturm nebenan, der zwischen den vielen Hallen kaum noch zu sehen ist, hat längst ausgespielt. Die 150 Meter hohe Stahlgitterkonstruktion aus dem Jahre 1926 hat keinerlei Schwung, ein eher langweiliger Zweckbau, langweiliger »Langer Lulatsch«. Taugt gut für den Vorhutsender SFB, der nun — nach dem Scheitern der Dreiländeranstalt NORA — endgültig auf Zwergenformat reduziert wird.
Seit 1969, dem 20. Jubiläum der DDR-Staatsgründung hat ohnehin der Ostberliner Fernsehturm das Systemwettrennen gewonnen. Mit 361,5 Metern ist das einzige skylinetüchtige Bauwerk Berlins angeblich heute noch der vierthöchste Turm der Welt, nach Moskau, Toronto und Alma Ata. Zur Einweihung waren Indira Gandhi, Leonid Iljitsch Breschnew und Fidel Castro zu Gast. Die herausragende sozialistische Errungenschaft, damals der zweithöchste Turm weltweit, wurde westlicherseits — besonders gern von der Durchhaltepresse — als »Ulbrichts Propaganda-Turm« bezeichnet und als »Gefahr für den Flughafen Tempelhof« schon vor der Fertigstellung an den Himmel gemalt.
Kaffee-Kosmonauten
Die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ hingegen dachte schon damals systemübergreifend-national und schrieb vom »Höchsten Turm Deutschlands«, Redakteur Rolf Michaelis schwärmte vom »Kaffee- Kosmonautentum« auf über 200 Meter Höhe. Als Vulgär-Kosenamen des Turms sind »Protzlatte« und »Telespargel« und »St. Walter« die bekannteren. Die Riesenantenne mit dem Kugel-Café aus Edelstahl soll 1969 wegen »zu starker Abstrahlung« angeblich 70.000 Westfernsehgeräte »gestört« haben. Das mit viel Westhilfe errichtete »Wunderwerk des Sozialismus« hat jedoch einen entscheidenden Konstruktionsfehler, der von vielen Klerikern und Klassenfeinden begierig aufgegriffen und kolportiert wurde: Bei Sonnenlicht reflektieren die Glasscheiben des Aussichtscafés ein Kreuz. Wahrlich ein allumfassendes Wahrzeichen für Kalten Krieg, Ost-West- Kooperation und die Wühlarbeit von höchster himmlischer Stelle.
Auch die angekratzte Mahn-Erektion Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche von 1895, die nach dem Brandbombenangriff von 1943 statt 113 Meter nur noch 68 Meter hoch ist, sowie ihr blauverglaster Hippie-Anbau mit Glockenturm und der dem Ensemble zugeordnete Marmorbrunnen mit dem ekelhaften, nein frittenfetthaften Beinamen »Wasserklops« gehören eigentlich nicht mehr in die verdoppelte Stadt. In anderem Maßstab hat heute jede Kleinstadt ein solches öffentliches Möbelsortiment.
»Lex Reuter«
Das Europa-Center mit dem leuchtenden Motorhauben-Stern ist nicht besonders hoch und keinesfalls auf der Höhe der Zeit. Ein antiquiertes Einkaufszentrum voller Touristenfallen. Die Aufzüge sind relativ schnell, der Ausblick relativ schön. Das war's schon. Wenn erst das rot- schwarze Baugesetz »Lex Reuter« in Kraft sein wird, das für alle Gebäude über 30 Meter den Stuttgarter Dreizack vorschreibt, dann ist's ganz aus. Auch das Blattgold des Springer- Hochhauses wirkt heutzutage, wo die dazugehörige Mauer fast völlig weg ist, eher wie Rost. Albanien ist frei, deshalb empfehlen wir den Umzug an die rotchinesische Grenze. Apropos Mauer, sie, das weltbeste Wahrzeichen, das wir uns alle dann und wann so sehnlichst wiederwünschen, ist leider dahin.
Das sozialistische Gesamtkunstwerk Frankfurter Allee (Stalin-Allee), grün und martialisch nur en miniature, eine nostalgische Riesen- Minigolfbahn, findet große Anerkennung leider meist nur in ArchitektInnenkreisen. Hoffentlich wird niemals die Straße des 17.Juni hierher verlegt.
Der rote Fels
Schlecht steht es wahrzeichenmäßig um den roten »Mount Rushmore«, dem überlebensgroßen Denkmal- Lenin, der in Friedrichshain aus dem Felsen schreitet. Hauptstadtgefährdet ist auch das Thälmann-Denkmal im Thälmann-Park, das einst die aus Wandlitz einpendelnde Ex-Staats- und Exparteiführung der Ex-DDR mit Rot Front! grüßte. Die zukünftige Führung wird sich wohl kaum so grüßen lassen wollen. Schade.
Nicht in Frage kommt als ernst zu nehmendes Wahrzeichen die anschlagrelevante Siegessäule, die ihren Kranz über eine begrünte Verkehrsinsel hält, die täglich von mindestens 60.000 Autos umrundet wird. Die »Goldelse« von 1871, wie sie blöder- und verharmlosenderweise genannt wird, stand vorher im Tiergarten. Rund um den Sockel ist eine »eherne Kriegschronik« angebracht, die das Metzeln auf diversen Einheits-Schlachtfeldern verherrlicht, gegossen aus Originalkanonen — als »Zeugnis der Thaten der Armee künftigen Geschlechtern zur Nachahmung«. Die hielten sich ja auch zweimal gründlich daran. Das nationalistisch-militaristische Denkmal sollte 1946 von den Franzosen gesprengt werden, die Amerikaner hatten schon zugestimmt, doch der damalige Oberbürgermeister Friedenburg verhinderte die Sprengung.
Im Reichstagskäfig
Ebensowenig wahrzeichentauglich sind der Reichstag und das Brandenburger Tor. Der 1894 fertiggestellte und von Kaiser Wilhelm II. eingeweihte Reichstag ist das Gegenteil einer Halle des Volkes. In der Einweihungsurkunde kommt das Wort nicht vor, am Gebäude angebracht wurde die vom Architekten Wallot von Anfang an vorgesehene Inschrift »Dem Deutschen Volke« erst auf Bitten und Betteln der Abgeordneten 1916. Dem Kaiser war es ohnehin »völlig gleichgültig, ob in dem Reichstagskäfig rote, schwarze der gelbe Affen herumspringen«. Immerhin wurde am 9. November 1918 von einem Reichstagsbalkon aus die Republik ausgerufen.
Das Brandenburger Tor, angebliches »Schicksalstor der Deutschen«, das auf Veranlassung des aktuellen Kanzlers wegen Wahlkampfvorteilen kurz vor Weihnachten 1989 wiedereröffnet wurde, verbietet sich ebenfalls wegen seiner militaristischen Geschichte und seiner Frontstadtfunktionen. Und natürlich wegen seiner Häßlichkeit. Das von revolutionären Trinkern ramponierte Tor feiert übrigens noch in diesem Jahr 200. Geburtstag.
Bleibt das Rathaus Schöneberg, wo Kennedy berlinerte und die BRD- Staatsführung den Mantel der Geschichte zergröhlte. Ganz einfach: das Rote Rathaus ist schöner, und die Normannenstraße dürfte nicht annähernd konsensfähig sein. kotte
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