: Zur Vernunft genötigt
■ Eine gewaltfrei agierende PLO brächte Israels Rechte unter Druck
Zur Vernunft genötigt Eine gewaltfrei agierende PLO brächte Israels Rechte unter Druck
Während die Regierung Schamir aus freien Stücken Amok läuft und jeden Protest gegen ihre völkerrechtswidrige Siedlungspolitik als Eingriff in Israels Souveränität denunziert, bleibt der PLO in Zukunft keine andere Chance als nur noch vernünftig zu sein.
Nachdem sich erstens abzeichnet, daß die Intifada inzwischen ihre eigenen Kinder frißt und damit zusammenbricht, und sich zweitens gezeigt hat, daß die PLO zu jeder Flexibilität bei Verhandlungen geneigt ist, wird ihr jetzt drittens der Rückfall zum bewaffneten Kampf — ob sie will oder nicht — verlegt.
Syrien hatte im Schatten des Golfkriegs den nominell souveränen Libanon seiner Hegemonie unterworfen. Als Folge dieser Arrondisierung dehnt jetzt die libanesische Regierung ihre Souveränität auf den Süden des Libanon aus, in dem sich bisher eine proisraelische Söldnerarmee, schiitische Freischärler und eben die letzten bewaffneten PLO- Kommandos eine illusionäre Selbständigkeit bewahrten. Ob Israel die Chance zur Befriedung seiner nördlichen Grenze wahrnimmt und seine Unterstützung für die südlibanesische Söldnerarmee aufgibt, ist mehr als zweifelhaft. Die Ideologie der radikalen israelischen Rechten sieht einen ununterbrochenen Kriegszustand an einer umkämpften Grenze durchaus vor.
Die erzwungene Machtlosigkeit bietet den Palästinensern in der Westbank, im Gazastreifen und in Ost-Jerusalem jedoch die einmalige Chance, flexible Verhandlungsbereitschaft mit Mitteln eines wirklich zivilen — also auch auf Steinwürfe verzichtenden — Ungehorsams zu verbinden. Wenn heute in den besetzten Gebieten eine strikt gewaltfrei agierende Bürgerrechtsbewegung entstünde — die Verlegenheit des israelischen Rechtsradikalismus wäre nicht auszumalen, die Bereitschaft des amerikanischen Judentums, Israel auch öffentlich zu kritisieren, würde wachsen.
Die Zeit drängt: Israel hat seit dem Golfkrieg weitere 10 Prozent arabischen Landes in der Westbank konfisziert und herrscht jetzt über 65 Prozent der Böden — 50 Prozent der arabischen Männer in diesen Gebieten sind faktisch arbeitslos.
Das Schicksal der palästinensischen Nation liegt gerade in der Situation ihrer äußersten militärischen Schwäche in Händen der PLO. Sie kann aus Schwäche Stärke gewinnen, wenn sie strikt gewaltfrei handelt, auf Prinzipienreiterei verzichtet und sich zunächst auf eine Autonomielösung einläßt. Seit den Verhandlungen von Camp David im Jahr 1978 ist zuviel Zeit ungenutzt verstrichen. Wenn die PLO auch diese Chance verpaßt, wird sich keine weitere eröffnen. In etwa drei Jahren wird Israel die Westbank so dicht besiedelt haben, daß es dort nichts mehr zu verhandeln gibt. Micha Brumlik
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