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Aus Jugendklubs sollen Saftbars werden

■ Jugendstadträte in den Ostberliner Bezirken wollen Alkohol und Disco-Klänge aus den Jugendklubs verbannen/ Konflikt zwischen westdeutschen Jugendschutzgesetzen und ostdeutscher Tradition

Berlin. »Anzug, graue Haare, arrogant, verbohrt, Bürohengst.« So ungefähr stellt sich Anja den Lichtenberger Jugendstadtrat Wolfgang Powierski vor. Anja ist Stammgast im Jugendklub Tierpark. Powierski ist dort noch nie gesehen worden. Deshalb muß Anja ihre Phantasie zur Hilfe nehmen, wenn sie sich ein Bild vom Stadtrat machen will.

Powierski hat es sich bei ihr und den anderen 150 Klub-Fans verscherzt, weil er die Öffnungszeiten und den Alkoholverkauf einschränken will. Womöglich muß auch der TV-Monitor verschwinden und der Billardtisch, den man erst vor einem Jahr aufgestellt hatte. Stattdessen, so Anja, plane Powierski Weiterbildungsveranstaltungen und hohe Kultur. »Also nicht so das, was uns so interessiert.«

Was Anja nicht weiß: Sie hat mit ihrem Stadtrat noch Glück. Powierski erlaubt immerhin den samstäglichen Discobetrieb bis zwei Uhr. Der Barbetrieb darf während der Öffnungszeiten uneingeschränkt weiterlaufen. Lediglich harte Alkoholika sollen verschwinden. Mit dieser gemäßigten Linie bewegt sich der Lichtenberger Stadtrat hart am Rande der Legalität. Eigentlich sei der Ausschank von Alkohol in staatlichen Jugendeinrichtungen nach dem bundesdeutschen Jugendschutzgesetz »fast verboten«, weiß Powierski.

Nicht nur im Jugendklub Tierpark in Lichtenberg, sondern in vielen der über 100 Jugendklubs im Ostteil der Stadt tobt zur Zeit ein heftiger Streit: Es ist das Problem der althergebrachten ostdeutschen Praxis, der jetzt die westdeutsche Rechtslage übergestülpt wird. »Die Klubs in der DDR waren wesentlich anders konzipiert als die Jugendfreizeitheime im Westteil der Stadt«, erklärt Klaus Kolupa von der Senatsjugendverwaltung. Deshalb müsse es im Osten »naturgemäß zu einer Umstrukturierung der Arbeit kommen«, hin zu »ein bißchen mehr Pädagogik«.

Der Unterschied zwischen westlicher Jugendarbeit und östlichem Klubleben ist groß. Im Westen, so Kolupa, sei es »die Ausnahme«, wenn Freizeitheime bis Mitternacht geöffnet blieben. Die Klubs im Osten dagegen seien »überwiegend als Diskotheken angelegt«. Im Westen lege man Wert auf die individuelle Betreuung der jungen Leute, auf Hilfe bei Schulproblemen und bei der Arbeitsplatzsuche. In der DDR, wo es an Gaststätten und Discos mangelte, sollten die Klubs »die Kids von der Straße holen«: Wer tanzt, demonstriert nicht.

Senatsmann Kolupa erinnert an die hehren Prinzipien der bundesdeutschen Jugendpädagogik: »Man muß nicht alkoholisiert sein, um fröhlich zu sein.« Die Jugendstadträte in den elf östlichen Stadtbezirken haben nun die undankbare Aufgabe, diesen Grundsätzen zum Sieg zu verhelfen — und sie lösen dabei alles andere als Fröhlichkeit aus. Jugendstadtrat Roland Kreins beispielsweise im Neubaubezirk Hellersdorf will die bundesdeutschen Jugendgesetze »ohne wenn und aber« einhalten. »Viele«, weiß Kreins, »schimpfen deshalb schon.«

Schließlich gibt es im Stadtbezirk nach wie vor kaum Kneipen, in die die Jugendlichen ausweichen könnten. Trotzdem versucht der Stadtrat, neben Schnaps auch Wein und Bier nach Möglichkeit zu verbannen und die Kids auf Säfte einzuschwören. Außerdem will er wegkommen vom reinen Discobetrieb und die Jugendlichen »auch für andere Angebote begeistern«. Kreins plant »Musiknachmittage«, auf denen die Klubgäste mit den fremden Klängen ferner Länder bekannt gemacht werden könnten. Ein andermal könne dann »über bestimmte Themen diskutiert werden«. All dies könne dazu beitragen, hofft Kreins, »daß das Rumhängen aufhört«.

Nur hängen lassen sich die Jugendlichen freilich auch jetzt nicht, zumindest nicht im Lichtenberger Klub am Tierpark. »Wenn es uns langweilig ist, gucken wir fern oder wir machen das Klo sauber«, sagt Anja. Viele der Klubfreunde haben sich im Klubrat und einem sogenannten Schüleraktiv organisiert, treffen sich manchmal zum »Subotnik«, um aufzuräumen oder putzen Graffiti von der Schaufensterscheibe eines benachbarten Blumenladens. »Damit es keinen Ärger gibt.« Dank der Beteiligung der Klubbesucher funktioniert die soziale Kontrolle — allerdings auch gegenüber Außenstehenden. In der Umgebung wohnen zwar einige Vietnamesen, aber, sagt Anja, »die Fidschis kommen hier von selber gar nicht rein, die kommen mit Deutschen nicht klar«. Oder die Türken, die manchmal aus dem Westen kommen: »Die provozieren, machen die Mädchen an. Dann reden sie in ihrer Sprache und lachen, wenn man sie nicht versteht.« Vor einigen Wochen wurde ein junger Türke über die Brüstung der Terrasse im ersten Stock gestoßen.

Aber würde der Klub als Treffpunkt wegfallen oder langweilig werden, dann könnte alles nur schlimmer werden. Anjas Freundin Bettina hat in der Zeitung schon gelesen, was dann passieren würde: »Dann sitzen wir auf der Straße, nehmen Drogen, schmeißen Festerscheiben ein, klauen Fahrräder und überfallen Spaziergänger. Man fördert nur die Jugendkriminalität.« hmt

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