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Ganzheitlichkeit erzeugt nur Skepsis

■ Das Stadtforum diskutierte erste »Stadtideen«/ Kein großer Wurf, sondern Polyzentralität/ »Inseln« in der Stadt sichtbar lassen/ Dem Senator wird schlecht angesichts von Masterplänen.

Mitte. Alle großen Wettbewerbe und Stadtideen für Berlin in diesem Jahrhundert sind — Gott sei Dank — gescheitert. Überlegungen, wie in den zwanziger Jahren, aus dem steinernen Berlin eine avantgardistische Wohnmaschine zu machen, blieben ebenso Illusion wie Speers größenwahnsinniges Germania in den vierziger Jahren. Definitive Neuordnungen sollten die Stadt auch nach dem Zweiten Weltkrieg verwandeln: Die Ideen Scharouns, 1946, ließen vom historischen Zentrum nichts mehr übrig. Das realisierte Kontrastprogramm in Ostberlin machte aus der City ein anonymes Plattenzentrum, durch das es kräftig zieht. Auch Westberlin mußte gebaute Architekturausstellungen ertragen, um der lieben Ideologie willen.

Neue »Stadtideen« für Berlin lautete am vergangenen Sonnabend das Thema der sechsten Runde im »Stadtforum Berlin«, das den Senator für Stadtentwicklung, Volker Hassemer, in Fragen der Stadtplanung berät. »Das Verfahren Stadtidee«, wie Volker Hassemer der Sitzung vorausschickte, »soll grundsätzliche Vorschläge zur Entwicklung Berlins machen, es soll Gefahren und Chancen beispielhaft behandeln.« Überlegungen und methodische Verfahren zur Entwicklung der Stadtgestalt im Zentrum, zu den Freiflächen und Kanten zum Umland seien dabei ebenso zu thematisieren wie der Stellenwert der historischen und kulturellen Traditionen. »Wie kann eine Idee von der Stadt konzipiert werden«, so der Senator, »ohne die Stadtentwicklung der Willkür und dem Chaos auszuliefern?«

Immerhin, der »Masterplan« scheint vom Tisch. Hassemer bekundete, ihm sei mit jeder steigenden Stadtidee »schlecht geworden«, die solchermaßen eindimensionale Vorstellungen wiederholte. Klar sei, daß Berlin allein aus seinen inneren und äußeren Ressourcen wachsen könne. Zu den Parametern der Planung gehörten Polyzentralität, die historische Struktur, die Überlegungen zur »Ringstadt« entlang des S-Bahnrings und die innere Dichte.

Doch warten wir ungeduldig die Ergebnisse des eben ausgelobten Wettbewerbs zum Potsdamer und Leipziger Platz ab. Hassemer wäre nicht der erste Politiker, den schwerwiegende Skizzen und »übergreifende Lösungen« beeindruckten. Wer garantiert uns, daß nicht längst Sony, Daimler Benz, ABB und der Hertie-Konzern an ihrer »Stadtidee« arbeiteten? Und wer bestimmt, wenn nicht der Bund, daß das Regierungsviertel den Zentralen Bereich am Ende nicht unter sich begraben wird?

Keine übergreifenden Leitbilder mehr

Übergreifende »Leitbilder« waren von den fünf Architekten- und Planerteams, die seit Beginn des Stadtforums an der Stadtidee laborieren, nicht zu hören: eher Warnungen, Vorschläge zur Methode, Assoziationen und Ideen zu Sofortmaßnahmen einer Stadtreparatur — alles in allem dürftige Gedanken zu einer ganzheitlichen Stadtgestalt aus dem Gebetbuch der Planer. Die »Freie Planungsgruppe« (Herbert Zimmermann, David Mackey u.a.) etwa sieht als Leitbild Berlins den Erhalt der stadttypischen Qualitäten, der Reservate und der polyzentrischen Struktur.

Die Stadt habe viele »Wertigkeiten«, sagte Zimmermann, im Zentrum wie an der Peripherie. Berlin müsse sich zur »Regionalstadt« entwickeln: mit Stadtkernen im Umland, mit einer Umstrukturierung der Industriebranchen und freien Flächen, mit qualifizierter Dichte im Innern. Ein »urban design«, ergänzte Mackey, könne unter Einbeziehung der historischen Identitäten die Revitalisierung ganzer Quartiere bringen. Entwicklungsgebiete, wie beispielsweise der arg geschundene Bereich des Ostbahnhofs, könnten zu öffentlichen Orten, »public spaces«, umgebaut werden, mit Wohnungen, Geschäften und Freiräumen am Spreeufer.

Wie Zimmermann/Mackey entwickelte die Gruppe Planwerk mit Architekten aus Berlin und Krakau ein Kaleidoskop, das »Stadtideen« für spezifische städtische Bezugspunkte und architektonische Fragen entworfen hat: Die Maßstäblichkeit und Individualität der Stadtteile seien zu sichern, meinten sie. Bei Großsiedlungen sei eine »Verstädterung« anzustreben. Zugleich sei eine ganzheitliche Planung für Berlin schon darum nicht möglich, weil die Fragmentierung Berlins durch seine Geschichte, »Inseln«, »Vakuuminseln« und »Pausen« in das Stadtbild gerissen habe, die es nun zu integrieren gelte. Statt eines »Stadtbildes« müßten vielmehr Nähte die zerrissene Struktur flicken, statt der Stärkung des Zentrums müßten die schwächeren städtischen Bereiche gestärkt werden.

Kein »Framework«, wie die Gruppe »regioplan« mit den Londoner Architekten Rem Koolhaas vorschlug, keine baulichen Sofortmaßnahmen, kein »urban design« — das der Berliner Architekt Hans Kollhoff übrigens harsch kritisierte, weil es nach seiner Meinung mit alten Methoden bauliche Megastrukturen über differenzierte Lebensinteressen lege — sondern theoretische Vorschläge zur Entwicklung von Stadtideen machten die Gruppe Gustav Hämer sowie der Architekt Christoph Langhof. Hämer schlug als Handlungskonzept einen sogenannten »Stadtvertrag« vor, der, interdisziplinär besetzt und als Werkstatt eingerichtet, arbeiten soll. Die unterschiedlichsten Gruppen, so Hämer, sollten dort die Qualitäten der Stadt ausloten und die vielschichtigen Gesichter der Großstadt erörtern. Demokratische Stadtplanung spiegle sich im transparenten Prozeß. Die Idee »Stadtvertrag« sei ein soziales und planerisches Konsensmodell.

Im Unterschied zur Gruppe Hämer heißt für den Berliner Architekten Christoph Langhof »Stadtidee«, daß ein komplexes Zukunftsbewältigungsprogramm Chancen der Gleichzeitigkeit mit der Stadt biete. Weder könne ein großer Wurf noch ein vernetztes Planen (Cluster) eine zukünftige »Stadtidee« tragen, vielmehr sei »Denken in Konstellationen« notwendig. An verschiedenen Orten, mit unterschiedlichen Bedingungen und Strukturen entstünden immer neue wechselhafte Beziehungen, denen sich das Denken zu stellen habe. Erst dann, so Langhof, könne die Stadtidee greifen.

Die Stadt als Bild, als Vision und Mythos scheint abgelegt. Die Philosophie der Ganzheitlichkeit ist der Skepsis gewichen. Eine stadtverträgliche Stadt kenne er nicht, hatte Ulrich Pfeiffer, Mitglied der Lenkungsgruppe kürzlich im Forum gesagt, sie bleibe immer Reibungspunkt. Doch den Reibungen mit der Geschichte, dem Verkehr und der Nutzung, einer Grünplanung, der Dualität zwischen Ost- und Westberlin, mit den Multis und der Regierungsfunktion sind selbst die »Stadtideen« ausgewichen. Nach der Sommerpause, Ende August, soll ein dreitägiges Symposion Bilanzen ziehen. Dann folgen unter anderem die Themen »Olympiaplanung«, »Industrie« und Regierungs- und Parlamentsbauten. Rolf R. Lautenschläger

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