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Senatoren auf Ballsuche

■ Nach temporären Schwierigkeiten besiegte Berlins Baseball-Bundesligist »Challengers« die Düsseldorfer »Senators« mit 15:4 Punkten

Charlottenburg (taz) — Baseball ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Im Mutterland USA, stellten die entsetzten Medien fest, randalieren Zuschauer, einst die zahmsten Lämmer des sportlichen Voyeurismus. Beim Bundesligisten Berlin Challengers versammeln sich pro Heimspiel mittlerweile bis zu 300 Besucher. Bei Coke und heißen Disco-Rhythmen träumen sie in schicken T-Shirts (häufigste Aufschrift: „Hawaii Beach Volleyball“) von einem eigenen Baseballstadion. Spätestens wenn Baseball in Barcelona 1992 olympisch wird, dürften ihre Hoffnungen in der Möchtegern- Olympiastadt-2000 konkretere Formen annehmen.

Die Challengers haben ihr Outfit verändert. Als Dank für ihren neuen Sponsor tragen sie nun blaue statt rote Hemden und lassen sich fortan von einem »Stadionsprecher« hofieren. Kein Zweifel, Baseball boomt. Alles fließt. Nicht mal der Gegner vom Wochenende, die Düsseldorfer Senators, entpuppte sich als die vermeintlich »lästige Pflichtaufgabe« (Fanpostille 'The Challenger‘).

Zu Beginn der Partie gelang keinem Team ein entscheidender Schlag. Kein Batter (Schläger) vermochte, den Ball des gegnerischen Pitchers (Werfer) mit ihrer Keule zu treffen. Dankbar konnte der jeweilige Catcher (Fänger) den Pitcher- Ball in seiner ausgepolsterten Hand verschwinden lassen. Erst als die Berliner Bat-Männer Hillebrand und Willie Reyes den Schlagstock schwangen, wurden aus ihnen Runner. Sie liefen, nachdem sie die tennisballgroße Kugel erwischt hatten, von Base zu Base (drei dieser Laufmale gibt es auf dem Spielfeld!) und erhielten auf dem vierten Mal, der Homebase, ihrem Ausganspunkt als Batter, die langersehnten Punkte. 3:0 führten die Roten nach dem zweiten Inning (Durchgang). Die Senatoren wollten bereits abdanken, da sie mit dem preußischen »Hit and Run« überhaupt nicht zurecht kamen.

Da ging der Bundesligazweite aus Berlin eine unheilvolle Koalition mit Bruder Leichtsinn ein: Leichte Bälle wurden vertändelt, die Bases völlig verlassen, so daß die Gäste ihrerseits punkteten. Es entwickelte sich vor allem im sechsten Inning ein Klassematch, weil die Senators in Folge drei Homeruns zur heimatlichen Base zustande gebracht hatten und damit auf 4:5 verkürzten. Dennoch glaubte das ebenso aparte wie fachkundige Charlottenburger Publikum fest an seine Jungs. Selbst als ein Düsseldorfer Batter den Ball gefährlich in die Hedonisten-Fraktion auf den Zuschauerrängen drosch, erklang nach klirrendem Aufprall lediglich ein unbekümmertes: „Hey, weißt du überhaupt, was so'n Bier kostet?“ In den USA hätten die Base- Hools sicherlich das Gebiß des Schlägers frisch justiert...

Mit einem Gewaltakt endete auch die zweieinhalbstündige Partie am Spandauer Damm. Challenger Mike Kivan kanonierte nach Wutsherrenart den Ball mit seiner Keule weit über das Fußballfeld hinaus in eine Grünanlage. Einige verwirrte Senatoren konnten daraufhin die Ergebnistafel nur noch von einer fernen Laubenpieperkolonie aus begutachten, wo sie nach dem meteoritenartigen Einschlag des Geschosses fahndeten. Beim letzten Homerun der Berliner zum 15:4-Endstand waren längst nicht alle Rheinländer zurückgekehrt. Die Suche dauerte bei Redaktionsschluß noch an.

Die Challengers halten weiterhin nach Spitzenreiter Hamburg-Lockstedt Ausschau. Mit dem hohen Ergebnis vom Samstag haben die Blauen nicht nur zwei Pluspunkte ergattert, sondern auch ihr Homerun- Verhältnis merklich aufgebessert. Jürgen Schulz

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