Materialschlacht auf der Zementbahn

■ Viele bunte Bälle in Thermo-Täschlein bei den Berliner Meisterschaften in der idealsten aller Hochsommer-Sportarten, dem Miniaturgolf/ Es dominierte die gekrümmt-angekrampfte »Stupsschlag«haltung mit ange»ixter« Beinstellung

Tegel (taz). Sport zu betreiben, bei möglichst geringem Bewegungsaufwand, sich dabei mental bis an die Leistungsgrenze heranzutasten, allein durch die Konzentration der geballten Hirnkräfte ins Schwitzen zu kommen, dabei nicht zuviel Ozon einzuatmen und nebenbei noch in aller Ruhe ein Eis zu lutschen: die ideale Lösung für den Hochsommersport heißt Miniaturgolf. Was kann es angenehmeres geben, gleichsam als letzten Rettungsanker bei fortschreitendem Phlegma an einem heißen Tag, sich mit letzter Kraft zum Bahnengolfplatz zu schleppen, um durch die unausweichliche Nervenzerrüttung während des Spieles Kopf und Kreislauf wieder zum Leben zu erwecken und prima den Nachmittag vertrödeln zu können.

Der ungeheuerlichen Vorteile dieses Spieles gibt es viele. Neben den soeben genannten zum Beispiel den entscheidenden, daß die ganze Angelegenheit für FreizeitspielerInnen mit wenig Aufwand und Geld verbunden ist. Schläger, Bälle, Ergebniszettel und Stift gibts an jeder Bahn, der Preis für eine Runde ist lächerlich gering im Vergleich zum Einlaß in Fitneß-, Bodybuilding-, Jung-und-dynamisch-Studios.

Was wohl auch ganz im Sinne der Erfinder war. Ein bißchen trübe zwar ist der Blick auf die Historie des Bahnengolfes, doch fest steht, daß es in den wilden Fünfzigern in Hamburg und der Schweiz ins Leben gerufen wurde; als geniale Idee, auch die stärker werdenden Freizeitbedürfnisse der finanzschwachen Massen zu befriedigen. Schließlich ist nicht jeder Teamchef, mit genug Zeit und Geld, um auf dem Grün des Kitzbüheler Golfplatzes herumzuputten.

Und tatsächlich ist die Mikro-Variante des angeblich britischen Spieles bis jetzt Zwangsalternative für alle, denen die nötigen Scheine fehlen. „Wenn die Kohle da wäre, würde ich sofort umsteigen“, so ein Teilnehmer der Berliner Einzelmeisterschaften, der immerhin schon 26 Jahre richtig leistungsmäßig die bekannteste Variante, das Miniaturgolf, betreibt.

Womit wir beim Thema wären; nein, nicht die Berliner Meisterschaften. Die interessierten eh niemanden, wie die knapp zweistelligen BesucherInnenzahlen dokumentierten. Sondern, wie aus der seit früher Kindheit ebenso heiß geliebten wie gehaßten Sonntagnachmittagsbeschäftigung ein bis ins gigantische materialabhängiger, die mentalen Fähigkeiten überstrapazierender Hochleistungssport wurde. Ist es schon für die HobbysportlerInnen eine ungeheure Nervenbelastung, die 18 genormten Asbestzementbahnen mit weniger als 40 Schlägen zu überwinden, welch mentale Leistung müssen erst die Profis mit ihren durchschnittlich 22 Versuchen erbringen. Wer kennt nicht die unvergeßlichen Szenen, wenn die Eins am Netz mit Becker-Brüller bejubelt wird, Kinder an der tückischen Wippe in Tränen ausbrechen, sich an der liegenden Schleife ernste Beziehungskrisen anbahnen oder am Labyrinth selbst die Coolsten beginnen, in tiefste Depressionen zu verfallen.

Menschen ohne Nerven müssen die sein, die es wagen, diesen Sport ernsthaft zu betreiben, zweimal in der Woche fünf Stunden trainieren und am Wochenende schwierigste Wettkämpfe bestreiten, nicht nur im heißen Sommer, nein, auch im kühlen und feuchten Herbst. Dies gebietet Ehrfurcht, aber nicht vor denen, die mit wichtigem Blick und genervtem Gesicht, poliertem Schläger und Köfferchen mit zehn bunten Gummikugeln in der Hand, immer an irgendwelchen Bahnen warten. Das sind Blender.

Die wahren Könner sollten mindestens 150 verschiedene Bälle in ihrem Besitz haben, von über eintausend, die mittlerweile angeboten werden. Die Wahl des richtigen Balles entscheidet über Triumph und Tragödie, für jede Bahn, jede Wetterlage, alle Hindernisse und Temperaturen gibt es spezielle Bälle, die in Thermo-Täschchen aufbewahrt werden, damit die Gummilegierung nicht ihre Roll- und Hüpfeigenschaften verliert.

Doch trotz aller Gefahr, die das Miniaturgolf läuft, vom Material beherrscht zu werden, noch kann es den Menschen und seine individuellen Fähigkeiten nicht ersetzen. Und da gibt es nichts zu lernen. Schlagtechnik und -haltung sind frei, doch hat sich die gekrümmt-angekrampfte Stupsschlaghaltung mit ange»ixter« Beinstellung parallel zur Schlagrichtung durchgesetzt. Der Vorteil: absolute Kontrolle über das massive Metallschlaggerät in Hammerform mit 8-Millimeter Gummipuffer.

Letztendlich entscheidend aber ist die Fähigkeit zur absoluten Konzentration, in Sekundenbruchteilen den Rollweg des Balles zu berechnen, um in exakter Koordinierung der beteiligten Körperteile der Gummikugel richtigen Weg und Geschwindigkeit zu geben. Wer diesen Leistungsdruck in der Freizeit nicht aushalten kann, kann's auch anders machen: Wer die meisten Punkte hat, kriegt auch das größte Eis, basta! Schmiernik