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Ikonen des Jahrhunderts

■ Heute startet die ZDF-Reihe „Bilder, die Geschichte machten“/ Ein Interview mit Dr.Guido Knopp, dem Leiter der Senderedaktion „Zeitgeschehen“

taz: In Ihrer Sendereihe „Bilder, die Geschichte machten“ verfolgen Sie den Ansatz, die Namenlosen, die wir aus historischen Fotos kennen, aufzuspüren und sie mit diesen Fotos zu konfrontieren. Bei den sehr bekannten Aufnahmen, die sie gewählt haben, genügt ein Schlagwort, und wir sehen das Bild. Zum Beispiel „Das Mädchen aus Vietnam“, mit dem Sie starten. Wie haben Sie die Menschen gefunden?

Dr. Guido Knopp: Zum einen ist es ja eine Frage der Fotos, die man schlicht und ergreifend auflisten muß. Wie viele interessante, dichte, brisante Fotos gibt es, sagen wir mal: im Verlauf der letzten 50 Jahre, die die Menschen bewegt haben? Da gehört Das Mädchen aus Vietnam dazu. Wenn man diese Fotos hat, dann guckt man, wer stand im Mittelpunkt der Fotos, und oft sind es ja bekannte Unbekannte, Leute, die einmal in ihrem Leben im Mittelpunkt der Geschichte gestanden haben, dann eigentlich nie mehr. Oft hat dieses Foto ihr späteres Leben bestimmt, entweder sind sie als Symbol für irgendwas in Anspruch genommen worden oder regelrecht zu Nationalhelden gemacht worden. Es ist eine langwierige Aufgabe der Recherche, die einzelnen Leute weltweit aufzuspüren. Kim Phuc lebt in Havanna. Es war nicht ganz leicht, sie zu finden. Der zweite in der Serie, der Fahnenhisser auf dem Reichstag, lebt in Georgien heute als „Held der Sowjetunion“. Und die allerschwierigste Aufgabe von allen, auf deren Lösung wir deshalb besonders stolz sind, ist das bekannte unbekannte Pärchen auf dem Times Square in New York 1945, das in einen innigen Kuß versunken ist. Die haben wir wirklich zum ersten Mal gefunden, wobei Amerika seit drei Jahrzehnten hinter denen her war. Die Illustrierte 'Life‘ hat schon mal eine Initiative gestartet: „Who ist the kissing sailor?“ — weil dieses Foto ja als Symbol für Kriegsende und Friedensbeginn und Freude über den Beginn des Friedens steht wie kein anderes.

Sie kündigen an, bei den Recherchen einige Entdeckungen gemacht zu haben. Unter anderem, daß es sich bei einigen Fotos, die als authentische historische Dokumente gelten, um Inszenierungen handelt.

Das klassische Beispiel für mich ist die rote Fahne auf dem Reichstag. Man denkt immer, das sei am Nachmittag des 30. April aufgenommen worden, als der Reichstag erstürmt wurde. Tatsächlich hängte am frühen Abend des 30. April jemand aus dem zweiten Stock eine provisorische rote Fahne. Es waren die beiden Sowjetsoldaten Kantarija und Jegorow, die auch deshalb zu „Helden der Sowjetunion“ ernannt worden sind. Man hat auch ganz schnell ein Foto gebraucht, um den westalliierten Zeitungen zu zeigen, seht her, wir haben Berlin erobert, wir haben Anspruch hierzubleiben. Aber es wurde eben nachgestellt und zwar in einem Augenblick, als nicht mehr gekämpft wurde. Sowohl ein Film, der gedreht worden ist, als auch das Foto wurden nachgestellt. Auf dem Foto erkennt man es daran, daß unten Leute aufrecht und unbefangen rumlaufen. Beim Film erkennt man auch, daß Sowjetsoldaten mit aufrechtem Gang über den Reichstagsvorplatz laufen, mit wehender Fahne. Das macht kein Soldat, wenn noch geschossen wird. Es ist nachgestellt worden am 2.Mai, freilich von den Leuten, die auch die Originalfahne am 30. April gehißt haben.

Das Foto hat ja nicht nur in der Sowjetunion Geschichte gemacht, sondern auch in der damals sowjetisch besetzten Zone. Der Fahnenhisser wurde in Ost-Berlin mit der Ehrenbürgerschaft ausgezeichnet. Wie hat er auf Ihre Nachfragen reagiert?

Kantarija ist ein richtiger Georgier. Er ist schon Mitte 70, sehr trinkfest, will 100 Jahre alt werden und möchte gerne, daß die Ehrenbürgerschaft von Ost-Berlin auf ganz Berlin überragen wird. Er sieht das ganz ungebrochen. Ein Befreiungsakt war das gewesen, er hat die Deutschen mitbefreit. Er ist ganz auf der alten, traditionellen, konservativen Linie der Sowjetunion. Bloß kein Auseinanderfallen.

Nun ist es wahrscheinlich nicht bei allen Menschen, die Sie aufgespürt haben, so, daß sie sich gerne an den Moment erinnern. Haben Sie auch andere Beispiele?

Einmal ist es der vietnamesische Polizeichef, der den Vietkong in den Kopf schießt. Der will überhaupt nicht damit konfrontiert werden. Und dann natürlich das Foto Die Zwillinge von Auschwitz. Das ist ein sehr bewegender Moment gewesen zu sehen, wie einer dieser Zwillinge — wir haben sie in der Wüste Negev in Israel aufgespürt — heute damit umgeht. Mengele, der KZ-Arzt von Auschwitz, hat ja schlimme Versuche mit diesen Zwillingen gemacht. Es war für uns alle ziemlich erschüttern, als wir mit der Frau nach Jad Vashem, das ist das israelische Mahnmal in Jerusalem gegen den Holocaust, gefahren sind. Da gibt es einen Garten mit Skulpturen. Seit vorigem Jahr ganz neu eine Plastik, die nur für die Opfer der Mengele-Zwillingsforschung aufgestellt worden ist. Da ist diese Frau zusammengebrochen und sind Dinge aus ihr herausgebrochen. Es war für uns die Frage, soll die Kamera mitlaufen, oder sollen wir sie ausmachen. Wir haben sie natürlich mitlaufen lassen, weil wir gesagt haben, wenn es einen Menschen so bewegt, dann ist es etwas, was viele Leute wissen müssen, denn nur so, mit Erschütterung, kann man vielleicht etwas bewegen.

Bei den ausgewählten Fotos fällt eins aus der Reihe, „Das Wunder von Bern“ genannt, der erste Sieg im Nachkriegsdeutschland, ein Fußballsieg. Ist das eine Konzession an den Publikumsgeschmack?

Nein, ich finde man darf nicht nur traurige Bilder haben. Es ist ein Symbolfoto. Fritz Walter auf den Schultern seiner Mitspieler. Es war damals 1954 durchaus ein Politikum, es war nicht nur ein sportliches Ereignis, sondern viele Leute hatten zum ersten Mal in der Nachkriegszeit ein Erfolgserlebnis, für das sie sich nicht zu schämen brauchten.

Es fällt auf, daß fast alle Motive sich auf die Kriegs- oder Nachkriegszeit beziehen. Warum?

Weil wir da die meisten schlagkräftigen Beispiele gefunden haben. Es sind schon ganz verschiedene Bilder eigentlich, aber wir wollen die Serie fortsetzen. Das ist nur eine erste Staffel. Wir werden eine ganze Reihe von anderen Fotos drinhaben. Wir gehen davon aus, daß wir diese Serie ein paar Jahre lang machen. Es ist eine Idee, die sehr fernsehgemäß ist.

Sie greifen nur auf stehende Bilder der Pressegeschichte zurück. Glauben Sie, daß Sie mit Fernsehsequenzen ähnliches erreichen könnten.

Also ich finde, im Gedächtnis der Menschen prägen sich die stehenden Bilder mehr ein. Wenn Sie an die Geiselaffäre 1989 denken, die zwar gefilmt worden ist in der ganzen schrecklichen Abfolge, dann ist der zentrale Moment, nämlich, wo der Geiselgangster dem Mädchen die Pistole an die Schläfe hält, das Foto, das im Gedächtnis haftet. Ein Foto zeigt immer den zentralen, symbolischen Augenblick, den kein bewegtes Bild nachvollziehen kann. Diesen Moment, den Alfred Eisenstaedt in New York eingefangen hat („Der Siegerkuß“), der wäre 10 Sekunden vorher und nachher so nie mehr eingefangen gewesen. Das ist es eigentlich auch, was ein Foto zu etwas Besonderem macht, nicht nur zu einer Ikone des Jahrhunderts, weil in ihm der Geist jener Zeit sich verdichtet, sondern auch zu einem Augenblick, der unwiederbringlich ist.

Interview: Petra Schrott

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