: Wer's glaubt...-betr.: "Niederlagen nicht als Sieg verkaufen", taz vom 1.7.91
betr.: „Niederlagen nicht als Sieg verkaufen“, taz vom 1.7.91
Angeblich wird also neuerdings bei grün's nicht mehr unsachlich über die prinzipielle Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit von Koalitionen, sondern sachlich über deren Bedingungen gestritten. Sagt ein Vertreter des Linken Forum.
Ich vernehme das mit Staunen, denn ich habe vor knapp einem Jahr eine Kostprobe dieser neuen Sachlichkeit erlebt: Damals habe ich — gewiß nicht weniger sachlich als meine grün-internen KontrahentInnen — nicht etwa für die Fundamentalopposition jetzt und immerdar, sondern schlicht für eine vorläufige Koalitionsabsage vor dem Hintergrund der Rolle der SPD beim Zustandekommen der neuen deutschen Einstaatlichkeit plädiert. Motto: Die SPD ist offensichtlich auf Bundesebene (noch?) nicht so weit, mit ihr ist derzeit nichts Grünes zu machen. Oder in der Terminologie von Ludger Voller: So viel Mist kann mensch unmöglich für Gold verkaufen. Das darauffolgende Gezeter von Aufbruch bis hin zu Teilen des LiFo — Politikunfähigkeit! Unzulässige Verweigerungshaltung! — habe ich noch gut im Ohr. Sachlich klang es nicht unbedingt, und auch wenn ich es Ludger Vollmer wünschen würde, daß es ihm etwa bei der Benennung internationalistischer oder antimilitaristischer „Knackpunkte“ in zukünftigen Koalitionsdebatten besser ergehen möge — ich kann nur bezweifeln, daß die einschlägige grüne Streitkultur in der nächsten Runde über das seit Jahren „bewährte“ Niveau hinauswächst.
Und dann die Sache mit den demokratietheoretisch begründeten Verfahren! Ludger Vollmer erwähnt die Trennung von Amt und Mandat. Er sollte — vielleicht braucht er ihn demnächst — lieber auf den Minderheitenschutz eingehen bzw. sich darum bemühen, diesen bei den Grünen wieder salonfähig zu machen. Es ist ein (schlechter) Witz, wenn er linken Ex-Grünen die Rückkehr in die Partei unter der Voraussetzung anbietet, daß sie für vergangenen Untaten Abbitte leisten.
Klar, ich habe letztes Jahr unter anderem aufgrund der breitmehrheitlich grün-internen Koalitionswut („Kohl abwählen“ um jeden Preis) Wahlkampf für die einzig verfügbare oppositionsbereite linke Liste gemacht. Allerdings unter Berufung auf den Minderheitenschutz, unter ausdrücklicher Beschränkung dieser „Eskapade“ auf diese eine, nun wahrhaftig nicht alltägliche Bundestagswahl. Und mit einer demokratietheoretischen (Versuch der Ausschaltung der PDS trotz über fünf Prozent in der Ex-DDR via dem ursprünglich vorgesehenen Wahlgesetz) Begründung, ausdrücklich ohne endgültige Absage an das grüne Projekt. Dieser Versuch, sachlich mit den politischen Folgekomplikationen rund um den Anschluß umzugehen, hat mir von seiten der „lieben“ Grünen, insbesondere auch aus den Reihen des Linken Forums, höchst unsachliche Unterstellungen beschert. Von der Behauptung, ich sei von der PDS gekauft worden, bis hin zur Verbreitung des Gerüchts, ich sei neuerdings PDS-Mitglied oder sogar -Funktionärin, war so ziemlich alles vertreten, was frau in beruflichen, politischen und privaten Zusammenhängen Ärger einbringen kann (und eingebracht hat). Und dafür soll ich Abbitte leisten???
Genau dieser Umgang mit Minderheitenpositionen hält mich bis auf weiteres davon ab, mich noch einmal in einer Partei zu engagieren. Die Sirenengesänge von Ludger Vollmer und anderen LiFos betören mich ebensowenig wie das entsprechende Gesäusel mir inhaltlich ebenso nahestehender VertreterInnen der PDS: Ohne Verfahrenskonsens in Sachen Minderheitenschutz rund um die parlamentarische Gestaltungsfrage und vor der Entwicklung von Kriterien für den parlamentarischen Umgang mit den bei den Grünen nicht umsonst so genannten „Spiegelstrich“- Programmen ist auch die weitestgehende inhaltliche Übereinstimmung zwar eine notwendige, aber auch keine hinreichende Grundlage für eine über punktuelle außerparlamentarische Aktionsbündnisse hinausgehende Zusammenarbeit — zumindest das habe ich in den letzten Jahren bei den Grünen gelernt.
Ich bin gespannt, wie Ludger Vollmer die selbstgestellte Aufgabe bewältigt, innerhalb der Grünen einen für ihn ohne endgültige inhaltliche Selbstaufgabe akzeptablen „Preis“ der Machtbeteiligung auszuhandeln. Wenn der dann fällige Prioritätenstreit — „Biotop Deutschland in der Festung (West)Europa oder Einstieg in zivile Formen des Interessensausgleichs zwischen sog. Erster und Dritter Welt“, „Primat der Radwege und Katalysatoren oder mehr als nur ein verbales Bekenntnis zur Idee der Überwindung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung“, „Absage an den Gentechnologieeinsatz als vernachlässigbarer Nebenschauplatz oder als ein wesentlicher Knackpunkt“ — entschieden ist, werde ich mir überlegen, ob die Grünen für mich als Wählerin bzw. Sympathisantin noch bzw. wieder interessant sind. In diesem Sinne wünsche ich Ludger Vollmer viel Glück. Aber: Wer glaubt's?
Janine Millington-Herrmann,
Karlsruhe
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