piwik no script img

Püppchens Ehekrise und andere Lebenslügen

■ Ibsens „Nora“ in Stuttgart, originell reaktionär

Es gibt Frauen, die haben was. Nora Helmer zum Beispiel: verheiratet, drei Kinder, behagliches Zuhause, der Gatte Bankdirektor. Die Dame ist nicht unhübsch, sie singt und springt den ganzen Tag; ein ständiges Gesäusel und Gezirpe und Gesirre. Männer finden sowas ja „ganz reizend“. Sie sagen dann mit Ausdauer „mein Täubchen“ und „meine Lerche“, manchmal auch „mein Glückskind“ oder mein „Püppchen“. Irgendwann will das Püppchen nicht mehr, und das ist dann die Emanzipation.

Gemeinhin gilt Nora — so die übliche Ibsen-Interpretation — als armes Wesen, das von seinem Mann von kalter Liebe erdrückt und nicht ernst genommen wird. In Stuttgart ist alles ganz anders: Im Zentrum der Inszenierung hüpft ein frisches Kind, ein freundlicher Backfisch, der allen den Kopf verdreht — und die Männer stehen ziemlich tumb daneben. Die Nora der Katalin Zsigmondy ist so liebenswert oberflächlich, so grundlos fröhlich, daß die Ehekrise hinter ihrer verführerischen Personality- Show gar nicht mehr sichtbar ist. Diese Nora ist richtig verliebt in ihre Unselbständigkeit und Leichtfertigkeit, ins ständige Plaudern, Flirten, Spielen, Geldausgeben — die Regeln bürgerlichen Rechts werden einfach außer Kraft gesetzt von soviel Naivität. Was zählt schon eine gefälschte Unterschrift? Fast gar nichts. „Sie ist so herrlich naiv“, würden alte Herren bewundernd sagen. „Sie ist so furchtbar naiv“, kann unsereins nur warnend entgegnen.

Immerhin: Es ist ein schöner Zug des Regisseurs Michael Gruner, Nora nicht als Opfer, sondern als sympathischen Hauskobold mit Sex- Appeal zu inszenieren, als hochgeschlossene Marilyn-Variante; die Frau ist geradewegs einem amerikanischen Filmstudio entsprungen — wahrscheinlich stehen deshalb auch die Studioscheinwerfer bedeutungsvoll im Bühnenbild herum, gleich neben den schweren Norweger-Sofas. Und deshalb sieht man hinter der Bühne in einer Garderobe auch die gerade unbeschäftigten Schauspieler, die offenbar Drehpause haben und Bühnengeschehen höhnisch interessiert beobachten. Bis sie selber dran sind: Ihr Auftritt, Herr Rank, Ihr Auftritt, Herr Helmer.

Studieren kann man an diesen beiden Bürgergestalten allerdings nicht viel: Helmer, der Gatte, ist in der Auslegung des Dieter Jendreyko nur ein ernsthafter Stiesel, ein biederer, bärbeißiger Banker, der auch ein ARD-Wirtschaftsmagazin moderieren könnte. So ist er auch als Ehemann. Matthias Scheuring bleibt auch als kranker Dr. Rank der ewige Filou, ein leiser Hausfreund, der sich von Nora die „fleischfarbenen Seidenstrümpfe“ vorführen läßt. Na prima. Darüber schwebt dann ein dunkler Streicherton, der, wer hätte das gedacht, kommendes Unheil ankündigt.

Einstweilen tanzt die Ehefrau noch Tarantella. Doktor Rank gibt ihr Feuer, und Helmer ruft empört: „Nicht so wild, Nora!“ Und dann stürzt die ganze Inszenierung ab und taumelt ihrem grandiosen Tiefpunkt entgegen. Als nämlich der dunkle Schicksalsgehilfe Krogstad Noras an sich harmlose Urkundenfälschung aufdeckt, da ist es für Helmer nicht nur mit der bürgerlichen Reputation, sondern auch mit der Betulichkeit vorbei: Er greift seine Frau und schüttelt sie und schreit und wirft sie zu Boden wie ein vom Eifersuchtswahn Gepackter, er schlägt sich selbst und tritt sinnlos gegen Stühle, mischt Wut mit Autoaggression. Kurz: Der Schauspieler übersetzt Ibsens altmodische bürgerliche Scham in eine persönliche Verletzung, in eine Art erotische Zurücksetzung und Demütigung. Das ist genial und gefährlich zugleich, denn nun bekommt auch sein Hauspüppchen einen veritablen Heulanfall, windet sich in manirierter Emphase auf dem Sofa und kommt blitzschnell zu der Einsicht, daß sie mit solch gewöhnlichem Manne „das Wunderbare“ nicht mehr erleben wird.

Während Dieter Jendreyko die Zerrissenheit Helmers wunderbar deutlich machen kann (die Frau schlagen und gleich wieder um Verzeihung bitten), schmiert Katalin Zsigmondy nun vollends in Psychokonvulsion und Kitsch ab, hält unter Tränen lange Reden über Ehe, Fremdheit und Püppchensein im Puppenheim — und da sieht man dann auf einmal, wie geschwätzig und altmodisch Ibsens Stück (auch) ist, wie aufgesetzt, motivlos und überhastet Noras Besinnungsprozeß in dieser Inszenierung vor sich geht, wie nah im Theater Genialität und völliges Mißlingen beieinander liegen.

Um bürgerliche Beziehungen und Lebenslügen zu verstehen, muß man meistens zwei Schritte zurücktreten. Michael Gruner dagegen hält mit der Kamera gnadenlos drauf: Tränendrüsen, Nahaufnahme. Wenn man für abonnentenfreundliches Ranschmeißtheater Konventionalstrafe zahlen müßte, Gruner hätte wegen des letzten Akts jetzt eine Menge Schulden. Denn das Stück endet in reaktionären Lächerlichkeiten und unfreiwilliger Komik: Man fällt sich ständig um den Hals und weint, Kindfrau Nora reift in Windeseile zur hilflosen Identitätssucherin, und als sie ihren Mann dann endlich verläßt, kommt eines ihrer Kinder auf die leere Bühe und ruft „Mama“. Das hätte Heintje nicht schöner sagen können. Christian Gampert

Nora von Henrik Ibsen. Regie: Michael Gruner, Bühne: Peter Schulz, mit Katalin Zsigmondy, Hans Dieter Jendreyko, Matthias Scheuring im Staatstheater Stuttgart, Kleines Haus. Weitere Aufführunge 8. Juli.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen