: Mit Turnschuhen in den Bürgerkrieg
In den slowenischen Orten im Grenzgebiet herrscht 24 Stunden vor Ablauf des Ultimatums der jugoslawischen Regierung wachsame Ruhe/ Das Bundesheer auf der österreichischen Seite fühlt sich aufgewertet: Jetzt sind alle froh, daß es uns gibt ■ Aus Radkersburg Heide Platen
Anton hält die Stellung an der Kreuzung vom Gasthaus aus, gleich neben einem braunen, totgefahrenen Huhn und einem ausgebrannten Lastwagen: „Wenn einer wie ich kommt, dann müssen alle anhalten!“
Auf den Dächern im Dorf füttern die Störche ihre Jungen. Seit einer Woche ist Anton ein Held in Hrastje Mota, knapp zehn Kilometer südöstlich von Gornja Ragona. Dabei kann er eigentlich gar nichts dafür.
Als Zivilist, „in kurzen Hosen und mit einem knallroten Hemd“, konnte er nur nicht widerstehen, als die jugoslawische Volksarmee mit Panzern durch sein Dorf rollte. Da stand auf einmal ein Militärtransporter, hinten ein Wassertank drauf und vorne im Fahrerhaus „kein Mensch“. Er hat ihn einfach geklaut und hinter die Stellungen der Territorialen Verteidigung gefahren. Daß er dabei beschossen wurde, wundert ihn noch immer selber. Er hat sich einfach geduckt und Gas gegeben. Seither, strahlt er, trage er Uniform.
Die Sonne scheint heiß vom Himmel, im Wirtshaus sitzen die Männer beim Mittagsbier. Anton ist lustig und vergnügt. Angst hat er keine, auch nicht davor, daß das Ultimatum der Regierung in genau 24 Stunden auslaufen wird: „Wir werden kämpfen!“ sagt er, und spuckt verächtlich durch die Zahnlücken.
Fünf Panzer haben sie ganz alleine gestoppt
Nein, ein Operettenkrieg ist das trotzdem nicht für die SlowenInnen. Sie sind nach wie vor auf einen Angriff vorbereitet. Hinter dem Dorfausgang lagern die Männer in den Wiesen abseits der Straßen, in Büschen und Hecken. Die Uniformen sind gestückelt, Hemden der Volksarmee, Jeans, Turnschuhe. Sie liegen auf Armeeschlafsäcken und Matten, seit einer Woche leben sie fst nur im Freien, immer in Bereitschaft, haben kaum geschlafen. Wird die Regierung in Belgrad einlenken? Branco schüttelt den Kopf: „Wir glauben nichts!“
Vor zwei Stunden ist ein russisches Kampfflugzeug im Tiefflug über ihr Gebiet gedonnert. Das war, wissen sie, eine Warnung. Sie hoffen auf ihre Tarnung, auf den strategischen Vorteil des Hinterhalts. Die veralteten Maschinen- und Schnellfeuergewehre lehnen in den Büschen. Zum Mittagessen gibt es paniertes Kotelett und Hähnchenkeulen mit Kartoffelsalat. Zwischendurch kommen die Frauen aus dem Dorf zu Besuch.
Zweihundert Meter weiter, am Feldrand, steht, gut bewacht, ein russischer Hubschrauber. Er gehörte der Volksarmee und ist hier notgelandet. Reparieren läßt er sich nicht, haben sie festgestellt: „Russischer Schrott!“ Ebenso die Waffen, die sie in den Kisten im Hubschrauber gefunden haben. „Die hat die russische Armee schon in den 70er Jahren ausgemustert“, sagt Milan. Aber immerhin, meint er auch, hat man es jetzt „besser als vorher, da hatten wir noch weniger.“
Für das kleine Dorf, meint auch Anton, reiche die Bewaffnung jetzt aus. Fünf der vielen Panzer, die hier durchrollten, hätten sie immerhin ganz alleine gestoppt. Wütend sind sie aber vor allem wegen des flügellahmen Hubschraubers, dessen Piloten mit einer anderen Maschine flüchteten. Aus ihm heraus seien sie beschossen worden. Warum das so eine besondere Schweinerei sei, demonstriert er, indem er auf dem Bauch unter das Fluggerät kriecht. An der Unterseite prangt, deutlich sichtbar, ein Rotes Kreuz auf weißem Grund. Jetzt ist die Maschine provisorisch mit Bäumen getarnt und - „wir hatten dabei viel Spaß“ - mit Parolen bemalt: „Slovenien wird selbständig!“
Am Nachmittag kommt Luba angeradelt, mit ihrer Tochter und jungen Frauen aus den umliegenden Dörfern. Luba hat zehn Jahre in Deutschland gearbeitet, in Schwäbisch-Gmünd, und dicht am Wasser gebaut. So lange haben sie und ihre Familie geschuftet und gespart, sich ein Häuschen im Nachbardorf gebaut, deutsche Arbeitskollegen kommen hierher in den Urlaub. Alles hätte besser gehen sollen, und jetzt das! Sie kann es immer noch nicht fassen.
Ihr funkelnagelneues Auto haben sie, als die ersten Schüsse fielen, gerade noch über die Grenze nach Österreich gerettet. Dann haben sie sich zu Fuß zurückgeschlagen, ihre Papiere und ein bißchen Gepäck zusammengerafft und sind in ihren kleinen Weinberg geflüchtet. Tagelang haben sie dort in der Hütte gehockt. Inzwischen - schon wieder Tränen - ist ihre Katze gestorben. Die Katzenjungen werden jetzt mit der Flasche gefüttert. Im Schlafzimmer steht noch immer das Notgepäck für den nächsten plötzlichen Aufbruch bereit.
Sie werden die Nacht wieder draußen schlafen
Das Haus von Lubas Freunden, Arbeitskollegen aus Deutschland, stand direkt in der Kampflinie. Ein Fenster ist zerschossen: „Wir haben Glück gehabt!“ Die 17jährige Gabriella, in Deutschland geboren und nur widerwillig als Kind nach Slovenien zurückgekehrt, „weil der Vater das wollte“, möchte eigentlich zurück nach Deutschland. Dort leben die meisten ihrer Verwandten, Kusins und Kusinen.
Aber vorerst wird sie erst einmal bleiben, obwohl sie den Geschichten von Kampf und Krieg, die Anton beim herben, frischen Wein aus der Region erzählt, nur mit Skepsis zuhört. Als er sagt, daß er „für dich, für unsere Kinder“ kämpfe, verzieht sie das Gesicht zur Grimasse. Sie hat sich hier ebenso eingerichtet wie die anderen Jugendlichen, die mit ihren Mopeds vor der Tür warten. Abends gehen sie alle in die Disco.
Was wird morgen sein? Die unfreiwillig-freiwilligen Soldaten in den Hecken von Hrastje Mota schütteln den Kopf. Sie werden die Nacht wieder hier draußen schlafen. Angst haben sie schon, auch wenn sie das nur zögerlich zugeben wollen. Sie fürchten, daß die Armee, wenn nicht morgen, dann eben übermorgen, Fliegerangriffe auf Slovenien und Kroatien fliegen wird.
Ein bißchen hoffen sie auch auf die Verweigerung der Volksarmee- Soldaten. Einer aus dem Nachbardorf sei desertiert, als er gemerkt habe, wo seine Armeeführung ihn hingeschickt habe. Den halten sie jetzt versteckt.
Die Angst ist auch in Gornja Radgona gegenwärtig. Dennoch ist die Stadt voller Leben. Die Menschen kaufen ein, fahren auch wieder in die Supermärkte nach Österreich. Die Plätze und Straßen sind belebt, die Cafes und Wirsthäuser voller Gäste. Geflüchtet ist kaum jemand. Dafür wird um so kräftiger aufgeräumt. Das zerschossene Zollamt bekommt gerade ein neues Dach.
Die Marienfigur trafen sie genau in den Rücken
An der Hauptstraße setzen die Glaser neue Fensterscheiben ein. Die Feuerwehr sichert eines der ausgebrannten Häuser, übrigens eines, sagt ein Radgonaer ironisch, das sowieso leer stand. Dennoch ist der Schaden beträchtlich. Zerschossene Fassaden, in ganzen Straßenzügen keine heile Fensterscheibe mehr.
Der dunkelrote Kirchturm auf dem Hügel über dem Ort ist, ebenso wie die Panzerspuren und die in Grund und Boden gefahrene Parkbank, Ziel in- und ausländischen Fotografen. Auch hier sind die Trümmer weggeräumt und säuberlich sortiert. Vor der Kirche, neben der Diskothek „Laser“, steht ein symbolträchtiger Kirschbaum: die eine Seite voller roter, reifer Früchte und grüner Blätter, die andere braun und verbrannt.
Das Denkmal vor der Kirche mit seiner schmerzensreichen, steinernen Marienfigur soll an einen Papstbesuch im Mittelalter erinnern. Jetzt erinnert es daran, daß die Soldaten der Volksarmee wild um sich geschossen haben. Maria trafen sie genau in den Rücken.
Die beiden Tramperinnen, die am Nachmittag im Nachbarort waren, kehren aber trotzdem zurück. Angst haben sie gehabt, tagelang im Keller gesessen und gezittert, aber dennoch wollen auch sie bleiben.
Die Stimmung im Ort ist, trotz gedämpfter Spannung, selbstbewußt: „Wir halten durch!“.
„Sie brauchen keine Angst zu haben! Kommen Sie morgen wieder, es wird nichts sein!“, sagt der slovenische Zollbeamte, und lädt ein, das Ende des Ultimatums in der Zollstation von Gornja Radgona abzuwarten.
Radkersburg ist eine verlassene Geisterstadt
Gornja Radgona heißt in der deutschen Übersetzung nichts anderes als Ober-Radkersburg. In diesen Tagen ist das ein Unterschied ums Ganze. Radgona, in Slowenien und am rechten Mur-Ufer gelegen, lebt. Radkersburg auf der linken Seite ist tot.
Die steiermärkische Stadt wird in der Geschichte das erste Mal im Jahr 1299 erwähnt, ein florierender Handelsknotenpunkt. Kaufleute aus aller Herren Länder haben hier gebaut. Der Kern der mittelalterlichen Innenstadt ist gut erhalten. 1978 wurde der Stadt der Europäische Preis für Denkmalspflege verliehen. Das ist lange her.
Die Altstadt sei, sagen ketzerische Einwohner, nur deshalb, und trotz des Verfalls, so gut erhalten geblieben, „weil denen nach 1945 das Geld zum Abreißen gefehlt hat“.
Radkersburg ist seit einer Woche eine Geisterstadt. Das Kurhotel hat geschlossen, weil ihm die Gäste dutzendweise davongerannt sind. Das überschüssige Obst und Gemüse stiftete die Hotelküche für die Bundesarmee. „Eh's verfault“, sagt die resignierte Köchin.
Dem Heer allerdings ist die überraschende Vitaminversorgung, außerdem mit massenhaft Kisten Äpfel aus dem örtlichen Supermarkt angereichert, fast schon zu gesund. Obstsalat, Äpfel, selbst Fleischsalat mit Paprika und Gemüse gestreckt, das ist den Soldaten, die hinter den Plastiksandsäcken, die sie gerade in unermüdlicher Handarbeit abgefüllt haben, etwas zu wenig handfest. Endlich was „Fleischernes“ und etwas „Warmes“ hätten sie gerne, eine Wurstsemmel zum Beispiel.
Die könnten sie kriegen in den wenigen Gasthöfen, die noch, aber höchtens bis 22 Uhr, geöffnet halten. Fast alle haben sie ihr Saisonpersonal nach Hause schicken müssen. In den beiden Cafes in der Innenstadt sitzt fast nur das frustrierte Kurpersonal herum.
Der Ort mit seinen Thermen und Heilquellen verspricht Heilung vor allem bei Prostata-Leiden, Nierenschäden, Gicht, Rheuma, Sportverletzungen und Wirbelsäulenbeschwerden. All die Kranken, die sich hier Linderung versprachen, sind samt ihren Kurschatten verschwunden. In der Innenstadt ist mittags kaum ein Mensch zu entdecken, ebensowenig wie abends, morgens und zu jeder Tageszeit.
Rosa Sommer leidet sichtlich. Sie ist eine der beiden Hotelwirte im Ort, die die Flucht der Genesungswilligen hilflos mitansehen mußten. Die erste Woche der Sommersaison ist vorbei, nur drei der 24 Zimmer sind besetzt: „Eine Katastrophe!“
Eine Katastrophe ist der Bürgerkrieg in Jugoslawien auch für die örtliche Wirtschaft. Die Alten denken immer noch an das, was sie schon einmal verloren haben. Weingüter hatten viele Radkersburger Familien „drüben“, manchmal „eine Tagesreise mit der Pferdekutsche“ entfernt. Die sind nach 1945 enteignet worden.
Jüngere „Zugereiste“ haben dann wieder einen Weinbau diesseits der Grenze angefangen, aber so leicht und süffig wie der der Slovenen ist er nicht. Die kleinen Geschäfte leiden ebenso wie die großen Supermärkte, die auf die Kunden aus Slovenien rechnen, die sich hier mit allem versorgt haben, was in ihrem Land nicht zu bekommen war. In den Gasthäusern wird den Nachbarn weniger nachgetrauert. Hier zu essen, dafür hätten die „ohnehin kein Geld gehabt“.
Am frühen Sonntag morgen fliegen österreichische Hubschrauber an der Grenze entlang. Eine der ungeliebten „Draken“ dreht ihre lautstarke Runde. An der Grenze ist alles ruhig.
Oberstfeldwebel W. hat ausgeschlafen, ebenso wie die beiden jungen Offiziersanwärter, mit denen er sich nachts zum Bier davongestohlen hat. P. mit der Goldrandbrille, („der wird noch einnmal General“), ist eher widerwillig mitgegangen. Er blüht sichtlich auf, als er berichtet, mit welcher Begeisterung auch Kritiker das Bundesheer zur Zeit begrüßen: „Jetzt sind sie alle froh, daß es uns gibt!“
Klug habe sich die Heeresführung verhalten, besonnen, überlegt, als rechtzeitige Mahnerin: „Nur, auf uns hat je bis jetzt keiner hören wollen!“ Chauvisnismus sieht er weder im konservativen Kärnten noch in der Steiermark. Und recht hat er. Niemand möchte Slovenien „heim ins Reich holen“, jedenfalls nicht im ernst: „Die paar, die das sagen, das sind die ewig Gestrigen.“ „Der Haider zum Beispiel, den kann doch jetzt gar keiner mehr leiden“, sagt Feldwebel W.
Die Freundin eines der Soldaten lacht: „Unsere Männer! Die nehmen bloß manchmal den Mund voll. In Wirklichkeit waren die beiden Länder so lange getrennt. Das will niemand, daß das noch mal zusammen kommt.“
Von der Propaganda der jugoslawischen Regierung fühlen sie sich, „ebenso wie ihr Deutschen und die Italiener“, ungerecht behandelt. Und für die Slovenen, die im nicht gerade ausländerfreundlichen Südösterreich bisher auch nicht immer gerne gesehen waren, gibt es derzeit regelrechte Begeisterung.
Wirtschaftshilfe für sie haben die regionalen Parlamente beschlossen und Quartiere für Flüchtlinge bereitgestellt. Nur die kommen nicht, sondern richten sich auf einen langen Widerstand ein. Feldwebel W.: „Dann müssen wir eben auch hier bleiben.“
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