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CROSS-SCHLAG„Who the hell is Maikel Stitsch?"

■ Ein internationaler Nobody gewinnt zum Schrecken aller Berichterstatter das Wimbledoner Tennisturnier

Auf der Tribüne heulte Beckers Schwester Sabine ob des Elends ihres Bruders Rotz und Wasser.

Der extra eingeflogene Reporter der 'Elmshorner Nachrichten‘ hatte seine großen Tag und strahlte.

Sieger-Vater Stich hingegen, als Norddeutscher eh auf Kriegsfuß mit großen Gefühlen, hatte vorgesorgt: Eine Videokamera am nässenden Auge filmte er, was das Zeug hielt, um seine Rührung zu verbergen. Denn in Elmshorn, einem Vorort von Hamburg, ist man wie Michael Stich: cool, beherrscht und diszipliniert. „Wer fliegen sofort wieder heim, schließlich müssen wir morgen arbeiten“, erklärten die Stichs. Denn bei Stichs regiert die Ratio. Der Vater ist Industriekaufmann, die beiden anderen Söhne Informatiker. Mutter Stich zum Erfolg ihres Sprößlings: „Ich bin es gewöhnt, daß meine Kinder erfolgreich sind.“

Die Karriere des 23jährigen ist — kurz — wie Stichs eben sind: vernunftgesteuert. Als er mit 16 Deutscher Junioren-Meister wurde, gab er seine Fußballkarriere beim Verbandsligisten Lith Elmshorn auf und entschied sich für Tennis. Doch sicher war er sich nicht, ob er es zum Profispieler bringen würde. „Ich hab mich derart auf dem Platz aufgeführt, daß alle sagten: Der kann nie gewinnen.“

So ging er auf Nummer sicher und machte zunächst sein Abitur. Dannach wechselte er zum Bundesligisten Iphithos München und traf auf Mark Lewis, der ihn fortan coachte. „Der arbeitet im Training genauso hart mit, daß paßt gut zu mir“, findet Stich.

In kurzer Zeit wühlte er sich hoch: Weltranglistenplatz 269 anno 1988, Rang 100 anno 1989. 1990 gewann er seinen bis Sonntag einzigen Titel in Memphis und wurde Nummer 42. 1991 schließlich der große Durchbruch: Finale in Adelaide, Sydney und Memphis. Bei den French Open in Paris unterlag er im Halbfinale dem späteren Sieger Jim Courier und hievte sich auf Nummer sieben. Der Push an die Spitze kam so unauffällig, daß er sogar von den meisten Fachleuten im Ausland kaum registriert wurde. Um so mehr summte es nach dem Halbfinale wie im Bienenkorb. Die große Frage: „Who the hell ist Maikel Stitsch?“

Das Geheimnis des unaufhaltsamen Aufstiegs der jetzigen Nummer vier der Welt liegt stark an in seiner beinharten Konsequenz und Konzentrationsfähigkeit. Den größten Anteil jedoch hat sein überaus starkes Selbstbewußtsein. Beispiel: „Natürlich lese ich die Zeitungen. Aber letztendlich ist es mir egal, was Leute über mich schreiben, die mich gar nicht kennen.“ Weil die Sache mit der Presse jedoch nicht ganz so einfach ist, will der begeisterte Golfspieler hier die Linie von Becker fahren: „Der Boris weiß mittlerweile, wie das geht.“

Wie Wimbledon-Sieg geht, weiß der Allround-Spieler mit Vorliebe für Serve and Volley nunmehr selbst. „Ich hätte nie im Traum daran gedacht, hier gewinnen zu können. Aber jetzt, wo ich gewonnen habe, kann ich mit der Veränderung umgehen. Ich will auf jeden Fall der Alte beiben.“ Der 1,92 Meter große Schlacks mit dem rasend schnellen Aufschlag lebt ohnehin mit skurrilen Widersprüchen: Daheim in Elmshorn nennt man ihn „den Kleinen“, und sein Lieblingsbuch, von dem er „so viel gelernt hat“ heißt Die Entdeckung der Langsamkeit. Hohn und Spott in Beckers Ohren.

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