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Weltbank: Entwicklungsländer können sich selbst helfen

Weltbank zeichnet rosige Perspektiven/ Marktwirtschaft soll Wunder wirken/ Eine Milliarde Menschen haben weniger als einen Dollar pro Tag  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Optimismus gehört wohl zum Berufsprofil des Weltbankers. Obwohl die Kluft zwischen Erster und Dritter Welt immer tiefer wird, hält die Bank für Wiederaufbau und Entwicklung auch im Jahresbericht 1991 unbeirrt an ihrem Credo fest: „Schnelle Entwicklung ist möglich, selbst in den Ländern, die kaum andere Ressourcen als eine erfinderische Bevölkerung haben.“ Den Weg dahin will der Bericht weisen.

Die Bestandsaufnahme ist jedoch düster: In den vergangenen dreißig Jahren ist ein Viertel aller Entwicklungsländer ärmer geworden. Jedem fünften Menschen auf der Erde steht heute weniger als ein Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Statistiken im Anhang des Berichts enthalten weitere Hiobsbotschaften: Die Menschen in Mosambik, Äthiopien, Somalia, Tschad und Haiti müssen mit weniger als zweitausend Kalorien pro Tag auskommen — in der BRD liegt der tägliche Kalorienverbrauch bei über dreitausendfünfhundert. In Guinea besuchen nur dreiundzwanzig Prozent der Kinder die Grundschule. In Ruanda bringt eine Frau im Durchschnitt der Statistik 8,3 Kinder zur Welt, in Malawi 7,6, in Uganda 7,3 — in der BRD sind es 1,4.

Doch aus den Erfolgen und Mißerfolgen der letzten vierzig Jahre können nach Ansicht der leitenden Weltbank-Funktionäre eindeutige Lehren gezogen werden. Als Beispiele für erfolgreiche Entwicklungsstrategien beschreiben sie das japanische und südkoreanische Wirtschaftswunder — historische, politische und kulturelle Faktoren spielen in den Augen der Weltbank dabei offenbar keine Rolle. Heute, so der Bericht, bestehe ein erstaunlicher Konsens darüber, wie Entwicklung funktioniert: „Konkurrenzfähige Märkte sind der beste Weg, um Produktion und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen effizient zu organisieren.“

Dieser Überzeugung ist vor allem die amerikanischen Regierung, die die Weltbank im Frühjahr zwingen wollte, die Hälfte ihrer Kredite unter Umgehung der jeweiligen Regierungen in den Entwicklungsländern direkt der Privatwirtschaft zukommen zu lassen. So weit geht der Bericht denn doch nicht: Man wünscht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Staat und Markt. Und wo der Markt versagt, soll der Staat eingreifen, zum Beispiel bei der Verbesserung der „Infrastruktur und bei essentiellen Leistungen für die Armen“. Der Kampf gegen die Armut war bereits Thema des Jahresberichts 1990; darin hatte die Weltbank das Bemühen um soziale Gerechtigkeit zur Vorbedingung für Entwicklungshilfe erklärt. Umweltschutz soll 1992 im Mittelpunkt stehen.

Entwicklung umfaßt inzwischen auch laut Weltbank den ganzen Menschen.

„Jede Vorstellung von wirtschaftlichem Fortschritt muß über das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens hinaus die Verringerung der Armut und größere soziale Gerechtigkeit sowie Fortschritte in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Ernährung und Umweltschutz zum Ziel haben.“ Entscheidend für die Entwicklung eines Landes sei dessen Produktivität. Technologischer Fortschritt sei jedoch auch von Bildung, Kultur sowie den Institutionen und der Politik eines Landes abhängig.

Die Weltbank räumt ein, daß sie zu Beginn der achtziger Jahre der Stabilisierung und strukturellen Anpassung einen zu hohen Stellenwert beigemessen hatte, so daß Bildung und Gesundheit darunter litten. „Dieser Trend muß umgekehrt werden“, sagten die Autoren bei der Vorstellung des Berichts. „Viele Länder geben weniger als fünf Prozent ihres Bruttoinlandproduktes für Bildung und Gesundheit aus. Das ist zu wenig.“ Die Militärausgaben hingegen liegen in einer Reihe von Entwicklungsländern höher als alle Ausgaben im sozialen Bereich zusammen. Die Industrieländer sollten sich daher fragen, „ob es Sinn hat, Regierungen zu helfen, für die militärische Stärke Vorrang vor der Entwicklung“ ihres Landes habe, regt der Bericht an. Die Verschuldung der Dritten Welt sei eines der größten Hemmnisse für das Wirtschaftswachstum.

Ende vergangenen Jahres betrug die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer einschließlich Osteuropas 1,3 Billionen Dollar. Die Weltbank plädiert dafür, weiteren Ländern die Schulden zu kürzen.

Außerdem werden die Industrieländer in dem Bericht aufgefordert, ihre Märkte zu öffnen. Externe Voraussetzungen für eine schnelle Entwicklung seien stärkerer Kapitaltransfer, niedrige Zinsen und der Abbau von Handelsschranken. Die Entwicklungsländer müßten die innenpolitischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen jedoch selbst schaffen, um privates Kapital anzuziehen — eine Vorstellung, die angesichts des gebremsten Wachstums und des enormen Kapitalbedarfs der Länder in Osteuropa und im Mittleren Osten als naives Wunschdenken erscheint.

Schon in den letzten Jahren sind die Kredite der privaten Banken an die Dritte Welt fast versiegt. Die derzeitige Konjunktur wird diesen Trend gewiß nicht umkehren: Der Internationale Währungsfond erwartet für 1991 ein weltweites Wachstum von nur 1,2 Prozent — das wäre die geringste Zuwachsrate seit neun Jahren.

Doch die Weltbank-Autoren sehen die Welt offenbar nur aus ihrem Washingtoner Elfenbeinturm. Der Bericht enthält nicht ein Wort über die Verschlechterung der Handelsbedingungen und die fatale Abhängigkeit vieler Entwicklungsländer vom Rohstoffexport. Um die Rohstoffpreise zu stabilisieren, schlägt die Weltbank nun Exportsteuern vor — ein Mittel, das in Anbetracht der Konkurrenz, wie sie zum Beispiel auf den Kakao- oder Kaffeemärkten herrscht, eher zum Verlust der Marktanteile führen würde. Ansonsten äußert sie lediglich die Hoffnung, daß die Uruguay-Runde des Gatt sich nunmehr zum Abbau von Handelsschranken entschließen kann.

Die Weltbank kann auf die makroökonomischen Rahmenbedingungen keinen direkten Einfluß nehmen. Vielleicht mißt sie ihnen deshalb eine derart geringe Bedeutung bei. Selbst bei negativen internationalen Rahmenbedingungen könne es noch Wachstum geben, heißt es in dem Bericht: „Entscheidender als die globale wirtschaftliche Lage ist die angemessene Innenpolitik eines jeden Landes. Entwicklungsländer haben ihre Zukunft selbst in der Hand.“

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