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Möllemann tritt sich nicht zurück

Bonner Koalition einigte sich auf einen Abbau bei Subventionen von 33,3 Milliarden Mark in den nächsten drei Jahren/ SPD kritisiert den Bundeshaushalt: Löchrig wie ein Schweizer Käse  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Am frühen Nachmittag war Finanzminister Theo Waigel (CSU) „zufrieden“, FDP-Chef Lambsdorff sogar „sehr zufrieden“, und vor allem Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) stellte befriedigt fest: „Ziel erreicht“, kein Grund zum Rücktritt mehr. In den nächsten drei Jahren sollen 33,3 Mrd. Mark an Finanzhilfen und Steuererleichterungen eingespart werden; im kommenden Jahr bereits 9,75 Mrd. Mark.

Vergessen war die gereizte Stimmung, mit der die Koalitionspartner am Morgen im Kanzlerbungalow zusammengetroffen waren, um mit den unzähligen Milliarden des Bundeshaushalts '92 zu jonglieren. Der dramatische Appell des FDP-Vorsitzenden Graf Lambsdorff vom Montag, die Regierung müsse dringend eine finanzpolitische Umkehr vollziehen, war den Unions-Koalitionären offenkundig auf die Seele geschlagen. Den gesamten Vormittag über bemühten sich die Spitzen der Koalition, die unübersehbaren Löcher im Bundeshaushalt zu stopfen und Möllemanns Kürzungsforderungen zu befriedigen.

Die Koalitionäre einigten sich auf Kürzungen von 9,75 Mrd. Mark für 1992 und 11,67 Mrd. Mark bzw. 11,91 Mrd. Mark für die folgenden Jahre. Möllemanns Meßlatte von 10 Mrd. Mark wird damit scheinbar erreicht — allerdings nicht kassenwirksam und bereits für 1992, wie es der Minister formulierte. Selbst die Zahl ist nur mit einigen Taschenspielertricks und Luftmaschen zu erreichen. So kommt die Einsparung von 620 Millionen Mark beim subventionierten Gasöl in den nächsten drei Jahren allein deswegen zustande, weil die Bundesregierung auf die geplante Beihilfenerhöhung verzichtet: unterm Strich wird keine Mark eingespart.

Gleiches gilt auch bei angepeilten Einsparungen von immerhin 3,8 Mrd. Mark in den nächsten drei Jahren, vornehmlich bei der Forschungsförderung und beim sozialen Wohnungsbau. Denn diese Streichungen hatte die Koalition bereits lange vor Möllemanns Ultimatum vereinbart. Als Mogelpackung kann auch der Abbau von steuerlichen Vergünstigungen in jährlicher Höhe von 5,45 Mrd. Mark gelten, weil davon der Bund nur 2 Mrd. einstreicht, der Rest aber auf die Länder entfällt.

Bei den realen Einsparungen geht es zwar endlich der vom seligen Strauß durchgedrückten Verbilligung des Flugbenzins an den Kragen (500 Millionen Mark bis 1994), problematischer aber dürften die Kürzungen im ABM-Bereich sein. Ausschließlich in den alten Bundesländern sollen jährlich 560 Mio. Mark durch die Senkung des Förderungssatzes von 75 auf 60 Prozent wegfallen. Jährlich 400 Mio. Mark werden eingespart, wenn Steuervergünstigungen für selbstgenutztes Wohneigentum bei denen wegfallen, die jährlich mehr als 120.000 Mark (Verheiratete 240.000 Mark) verdienen. Fast 6 Mrd. Mark sollen bis 1994 bei der Berlinhilfe einbehalten werden.

Scharfe Kritik haben die Sozialdemokraten am Bundeshaushalt geübt. „Die Finanzpolitik läuft aus dem Ruder“, sagte die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier. Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung sei „erkennbar unvollständig“, „unseriös und handwerklich schlecht“ gearbeitet. Die von Finanzminister Waigel ausgewiesene Neuverschuldung von 50 Mrd. Mark sei nur der kleinere Teil der gesamten Verschuldung: die Schulden würden einfach ausgelagert in „Schattenhaushalte und Sondertöpfe“. Absehbarer Finanzbedarf sei gar nicht enthalten. Die wirkliche Neuverschuldung des Bundes summieren die Sozialdemokraten deswegen auf 137 Mrd. Mark; einschließlich der Länder und Gemeinden ist sogar mit 188 Mrd. Mark zu rechnen. Allein die jährlichen Zinszahlungen des Bundes belaufen sich inzwischen auf 54 Mrd. Mark. Durch die anhaltend hohe Staatsverschuldung werde die öffentliche Hand bis 1994 bereits mehr als 2 Billionen Mark Schulden anhäufen. Die SPD-Politikerin Matthäus-Maier stimmte zwar mit der am Montag von FDP-Chef Graf Lambsdorff vorgetragenen dramatischen Situationsbeschreibung der Finanzpolitik überein, wies aber darauf hin, daß Lambsdorff diese Politik schließlich jahrelang ohne Kritik mitgetragen habe.

Wie bekannt wurde, rechnen die westlichen Bundesländer mit einer erheblich höheren Neuverschuldung als Finanzminister Waigel in seiner mittelfristigen Planung. Waigel geht bis 1995 von einer Neuverschuldung der Länder von 79,5 Mrd. Mark aus. Die alten Bundesländer erwarten dagegen eine Neuverschuldung von 110,5 Mrd. Mark — immerhin eine Differenz von 31 Milliarden Mark.

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