EUROFACETTE: Schwammige Rechtslage
■ Spaniens Sozialisten ohne Mut in der Abtreibungsfrage
In der letzten Zeit haben die spanischen Medien zahlreiche Aufforderungen an die sozialistische Regierung aufgegriffen, dringend eine tiefgreifende Reform des zur Zeit geltenden Abtreibungsgesetzes einzuleiten. Die Appelle gingen nicht mehr nur von der Frauenbewegung aus, sondern von einer Reihe Vereinigungen von Richtern, Staatsanwälten, Ärzten, Sexualberatern etc. sowie zahlreicher Intellektueller. Sechs Jahre nach Inkrafttreten des von ihr ausgearbeiteten Gesetzes über die teilweise Straffreiheit der Abtreibung, befindet sich die Regierung von Felipe Gonzalez in einer schwierigen Lage.
Die Anwendung des Gesetzes von 1985 weist eine wenig erfreuliche Bilanz auf. Von hundert abtreibenden Frauen können nur zwei oder drei dies in Krankenhäusern des öffentlichen Gesundheitswesens tun, da sich die übergroße Mehrheit der Ärzte unter Berufung auf die vom Gesetz anerkannten Gewissensnöte weigert, legale Abtreibungen vorzunehmen. In manchen Fällen handelt es sich dabei um Ärzte, die keinerlei Skrupel haben, wenn es darum geht, in Privatkliniken Abtreibungen durchzuführen. Während dieser sechs Jahre seit der Verabschiedung des neuen Gesetzes ist die Polizei häufig in für Abtreibungen zugelassene Privatkliniken eingedrungen, hat Frauen und medizinisches Personal festgenommen. Gefolgt sind dem Prozesse, in denen Ärzte und Frauen wie mutmaßliche Kriminelle behandelt wurden. 45 Prozesse sind seit 1985 durchgeführt worden, 33 weitere sind zur Zeit anhängig, und die Vorermittlungen für weitere Verfahren werden geführt. Die Urteile, die von vielen dieser Gerichte gefällt wurden, haben deutlich gezeigt, daß das selbe Gesetz Personen in der gleichen Weise schützte, die es in völlig entgegengesetzter Weise interpretierten.
Die Regierung selbst hat im Laufe der vergangenen Jahre verschiedentlich individuelle Gnadenerlasse verfügt, die Verurteilte vor jahrelangem Knast bewahren sollten. Diese Urteile waren in strikter Befolgung der von den Sozialisten selbst verabschiedeten Gesetze ergangen. Staatsanwälte, die Gefängnisstrafen für Ärzte und Frauen gefordert hatten, waren öffentlich von ihrem Vorgesetzten, dem Generalstaatsanwalt, gerügt worden, da sie dessen Vorgaben nicht gefolgt waren. Die Rechtsunsicherheit ist für diejenigen, die mit Abtreibungen zu tun haben — sei es als Betroffene oder als durchführende Ärzte — so groß, daß selbst der Generalstaatsanwalt in einem jüngst erstellten Bericht an die Regierung die Notwendigkeit einer Reform des Abtreibungsparagraphen unterstrich. Der Bericht enthielt eine harte Kritik des geltenden Gesetzes aufgrund seiner Zweideutigkeit, seiner Ungenauigkeit und seiner Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen.
Trotz alledem behaupten Mitglieder der Regierung und der Sozialistischen Partei noch immer, das geltende Gesetz sei gut. Der Gesetzestext sei ähnlich wie der in anderen europäischen Ländern, besonders wie der in Großbritannien. Dieses Argument ist sowohl von der Frauenbewegung als auch aus juristischen Kreisen zurückgewiesen worden. Das britische Gesetz verweist ausdrücklich auf die soziale Indikation und stellt fest: „Die Bedingungen des sozialen Umfeldes der Schwangeren sowohl im Augenblick sowie in einer absehbaren Zukunft müssen in Betracht gezogen werden.“ Die Fassung des entsprechenden Artikels im spanischen Strafgesetzbuch ist hingegen derart zweideutig und unpräzise, daß es unmöglich ist, sie mit dem britischen Text zu vergleichen.
Jene in der Regierung, die sich öffentlich für eine Reform des zur Zeit gültigen Gesetzes aussprechen, haben sich entweder für die Hinzufügung einer neuen Klausel — der sogenannten sozioökonomischen Indikation — oder für eine Fristenlösung bzw. für eine Kombination aus beiden eingesetzt. Die Regierung jedoch wahrt bislang ihr Schweigen. Anstatt die Angelegenheit entschieden anzugehen und ihren politischen Willen, sie schnell zu lösen, unter Beweis zu stellen (angesichts der Tatsache, daß sie über eine mehrheitliche Unterstützung der Wähler verfügt) schielt die Regierung von Felipe Gonzalez, die sich noch immer sozialistisch nennt, in Richtung der oppositionellen Rechten und versucht um jeden Preis eine Auseinandersetzung mir ihr in diesem Punkt zu vermeiden. Häufig haben bereits Regierungsmitglieder öffentlich erklärt, ein neues Abtreibungsgesetz sei nicht nötig, denn eine Reform des diesbezüglichen Paragraphen werde in die geplante Reform des Strafgesetzes eingehen. Eben diese Strafrechtsreform soll jedoch nach dem Willen der Regierung für die Rechte konsensfähig sein, auch wenn der Preis nicht nur darin besteht, daß weiterhin das Recht der Frauen auf Abtreibung verleugnet wird, sondern auch darin, daß die augenblickliche Situation der Rechtsunsicherheit für Ärzte und betroffene Frauen fortgesetzt wird.
Die nähere Zukunft sieht in dieser Hinsicht alles andere als rosig aus, selbst in den Augen derer, die weiterhin darauf vertrauen, daß sich die sozialistische Regierung wie eine solche verhält. Wahrscheinlich ist, daß sich die notwendige Gesetzesreform darauf beschränkt, die Abtreibung wie bisher als Delikt zu betrachten, von dem eine zusätzliche Indikation, die sozioökonomische, ausgenommen ist, wobei die Interpretation in Händen derselben Ärzte und derselben Richter verbleibt. Der Elefant kreißte und gebar eine Maus. Empar Pineda
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