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Rekordhaushalt mit Luftlöchern

■ Bundeskabinett beschließt Haushaltsentwurf für 1992 und mittelfristige Finanzplanung/ 422 Milliarden Mark für 365 Tage/ Scharfe Kritik der Sozialdemokraten an Subventionskürzung

Bonn (dpa/ap/taz) — Als Fortsetzung der Konsolidierungspolitik und Vertrauenssignal hat Bundesfinanzminister Theo Waigel gestern die haushaltspolitischen Kabinettsbeschlüsse der Bundesregierung angepriesen. Die SPD hingegen sieht die Bundesregierung mit ihrem Haushaltsentwurf 1992 sowie der mittelfristigen Finanzplanung bis 1995 auf einem „verhängnisvollem Weg“. Das bereits am Vortag ausgehandelte Paket zum Subventionsabbau nannte die SPD eine „Frechheit“. Unterstützung für ihre Pläne erhielt die Bundesregierung von den Industrie- und Handwerksverbänden. FDP- Chef Lambsdorff forderte weitergehende Sparbeschlüsse.

Der vom Kabinett beschlossene Haushaltsentwurf sieht im kommenden Jahr Ausgaben von 422,56 Milliarden Mark vor, 3 Prozent oder 12 Milliarden Mark mehr als in diesem Jahr. Rund ein Viertel der Ausgaben kommen den neuen Bundesländern zugute. Aufgrund der bereits zum 1. Juli in Kraft getretenen Steuerhöhungen verbessern sich die Steuereinnahmen des Bundes 1992 um rund 26 auf 337 Milliarden Mark.

Die Neuverschuldung des Bundes soll nach 66,4 Milliarden Mark in diesem Jahr 1992 noch 49,86 Milliarden betragen. Bis 1995 soll der Bund nach der mittelfristigen Finanzplanung nur noch halb soviel Schulden machen: Die Nettokreditaufnahme soll 1993 auf 45,1 Milliarden, 1994 auf 30,2 Milliarden und im darauffolgenden Jahr auf 25,1 Milliarden Mark verringert werden. Die Ausgaben des Bundes sollen sich im Jahr 1993 um 1,4 Prozent auf 428,5 Milliarden Mark erhöhen. Für die Jahre 1994 und 1995 sind Steigerungsraten von jeweils 2,4 Prozent vorgesehen.

Größter Einzeletat bleibt der des Arbeits- und Sozialministeriums mit Ausgaben von 92,8 Milliarden Mark, 5,3 Prozent mehr als 1991. Der Verteidigungsetat verringert sich kaum merklich um 0,1 Prozent auf 52,5 Milliarden. Um zweistellige Raten steigen unter anderen die Ausgaben des Verkehrsetats (auf knapp 40 Milliarden Mark) und des Familienministeriums. Weniger Geld als dieses Jahr haben das Agrarressort, das Gesundheits- und das Frauenministeriums zur Verfügung.

Die Finanzexpertin der SPD- Fraktion, Ingrid Matthäus-Maier, kritisierte den Beschluß der Bonner Koalition zum Abbau von Steuervergünstigungen und Finanzhilfen als „makabres Theater zu Lasten einer soliden Finanzpolitik“. Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) habe sein Klassenziel, im Bundeshaushalt 1992 10 Milliarden Mark Subventionen abzubauen, „weit verfehlt“. Nach Berechnungen der Sozialdemokraten werden die Kassen des Bundes 1992 durch die geplanten Maßnahmen nur um 1,7 Milliarden Mark entlastet, 1993 um 4,0 Milliarden und 1994 um 5,7 Milliarden Mark. Das ergebe für den Bund bis 1994 Haushaltsentlastungen in Höhe von 11,4 Milliarden Mark, was nicht Möllemanns Ziel von 30 Milliarden entspreche, betonte Matthäus-Maier.

Nach Angaben des Finanzministeriums hingegen werden durch das am Vortag von der Koalition beschlossene Maßnahmenpaket bis Ende 1994 rund 33 Milliarden Mark eingespart. Das Ministerium räumte jedoch ein, daß dies in den Kassen der öffentlichen Haushalte bis Ende 1994 mit 19,7 Milliarden Mark wirksam wird. Nach SPD-Berechnungen ergeben sich auch einschließlich der Mehreinnahmen von Ländern und Gemeinden für die Jahre 1992 bis 1994 für die öffentlichen Haushalte Entlastungen von nicht mehr als 16,8 Milliarden Mark. „Wenn das Wort eines Politikers noch was gilt, müßte Herr Möllemann eigentlich zurücktreten“, sagte Matthäus-Maier. Auch Rüdiger Pohl, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, erklärte, Möllemann habe sein Ziel „weit verfehlt“. Der SPD-Sozialpolitiker Rudolph Dreßler kritisierte die geplante Einsparung von 560 Millionen Mark bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) in den alten Bundesländern. Diese Kürzung könne von den Trägern der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht verkraftet werden. Er warf der Regierung vor, mit der Belastbarkeit der Bürger zu spielen. In diesem Sinne kritisierten auch IG Metall sowie der Verband der Kriegsopfer, Behinderten und Sozialrentner die Subventionskürzungen. Zustimmende Reaktionen erhielt die Bundesregierung von der EG-Kommission sowie vom Bundesverband der deutschen Industrie.

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