: Zeitschriften: Der Spiegel/Die Zeit/Stern
W I L L I W I N K L E R Von ganz weit weg gesehen, von Ludwigshafen aus etwa oder von Wildbad Kreuth, ist Hamburg der Sudkessel der Schmutzpresse. Dort werden die üblen Kampagnen ausgekocht, die irgendwann in Frankfurt oder, ja, auch in Bonn den einen oder anderen zu Fall bringen. Für die Bande, die aus unerfindlichen Gründen neuerdings political class heißt, ist die Hamburger Wochenpresse ein einziges Ärgernis, weil sie über eine Macht verfügt, die ihr nicht durch Parteiarbeit und Postenwirtschaft zugefallen ist, sondern durch politikferne Amtsanmaßung.
Nach einer Aufzählung der „,Abänderungen‘ ihres Lebenslaufs“, an denen er beteiligt war, von Uwe Barschel über Lothar Späth bis zu Gerd Gies, fragt sich der 'Spiegel‘ in der Hausmitteilung dieser Woche ein wenig scheinheilig: „So mächtig wäre also der 'Spiegel‘?“ und hält sich dann ebenso scheinverlegen an einen Satz des Herausgebers Rudolf Augstein: „Mir würde es genügen, wenn einige Leute den Gedanken hegten, der 'Spiegel‘ sei diesem Lande mehr nützlich gewesen, und sei es noch.“
Das ist aufrecht demokratisch gedacht, wie es sich eben ziemt, wenn man nicht mehr ganz bei der Sache ist. Natürlich ist die Hamburger Kampfpresse nützlich; schließlich schadet sie denen, die sie nicht leiden können. 'Stern', 'Zeit‘ und 'Spiegel‘ sind mit ihrer inzwischen angestauten Macht, ihrem Geld, in der beneidenswerten Lage, Rechercheure für Skandale bezahlen zu können. Aber wichtiger noch ist ihr schlechter Ruf: der treibt ihnen Informanten zuhauf ans Telefon und sogar ins Haus. Neidhammel, die Zukurzgekommenen und Übergangenen dieser Erde, denunzieren nun einmal gern ihre erfolgreicheren Vorgesetzten oder Kollegen. Wegen dieser nur erfreulichen Sekundärtugenden wird immer mal wieder ein korrupter Politiker gestürzt, manchmal muß auch ein größerer Verein dran glauben, wie damals die Neue Heimat.
Der 'Spiegel‘, traditionell Vorreiter der antiinstitutionellen Kampfpresse, hat sein eigenes Gewissen, auch wenn keiner weiß, wie es eigentlich funktioniert, wann es reagiert und wann lieber schweigt. So war der Selbstmord von Uwe Barschel ein Triumph des 'Spiegels‘; vielleicht hat er Uwe Barschel in den Tod getrieben, aber dem restlos gescheiterten Trickser blieb keine andere Wahl. Es war ein Sieg der finsteren Brüder in Hamburg, und das, nachdem Uwe Barschel an jenem Mittag, als er den Journalisten unaufgefordert sein Ehrenwort („ich wiederhole, mein Ehrenwort“) über den Tisch schob, niemals strahlender dreingesehen hatte. Daß der 'Spiegel‘ da noch einmal, wider Erwarten, davonkam, daß er im Gegenteil Barschels Stafette aus Sykophanten, Liebesdienern und Zuarbeitern, vom NDR über Springer bis zu Schwarzkopf vorführen konnte, hat seinen Ruf als ungemütliches, schlechtgelauntes Organ bestätigt.
Obwohl ‘Stern‘, 'Spiegel‘ und 'Zeit‘ Wochenzeitungen sind, wirken sie im Ton gehetzter als etwa die staatsphilosophische 'Faz‘ mit ihren lyrischen Leitartikeln, dem beständigen sorgenvollen Stirnrunzeln. Beim 'Spiegel‘ ist die Erklärung dafür am einfachsten: Der konsequente Terror im Inneren schafft diese beschleunigte Sprache, dieses Vorwitzigtun, diese leichte Impertinenz gegenüber den Mächtigen: Der 'Spiegel‘ ist das Blatt, mit dem der Kanzler nicht spricht.
Die beiden anderen Hamburger können niemals mithalten. Die 'Zeit‘ entdeckt einmal in der Woche die Langsamkeit und befleißigt sich der Verstetigung derselben. Beim 'Stern‘ wissen nicht einmal die Hauptleute, ob sie nicht doch gleich zu den Frauen überlaufen und nur mehr Müsli, Solarzellen und schwesterliche Liebe predigen sollen, oder aber vielleicht doch mal wieder eine Nackte vorn drauf tun, beim Thema Depression zum Beispiel, weil sich das ja im Verkauf auszahlt, aber dafür das Gekeife der Frauenfraktion aushalten müssen.
In David Lodges Roman Schnitzeljagd wohnt ein amerikanischer Professor bei einer irischen Familie in Mittelengland. Von zu Hause hat sich der arme Exilierte einen 'Playboy‘ mitgebracht, den er eher lustlos durchblättert. Das Heft fällt der nuptialen Tochter des Hauses in die Hände, aber richtig erregt davon wird erst ihr Vater: weil da für Konsumgüter, die es in England kaum gibt, mit einer solch pornographischen Intensität geworben wird.
Vermutlich ist der 'Spiegel‘ längst zu einem 'Playboy‘ geworden, ein allen zugängliches, sozial akzeptiertes pornographisches Magazin, ein Abgrund an Moralverrat. Die Anzeigen, in denen sich die Warenwelt derart drastisch ausstellt, werden aufs Schönste ergänzt durch die Geschichten, die Politiker und andere crooks bloßstellen: alles eine einzige Lasterhöhle. Hier versagt jede Gesellschaftskritik, weil der 'Spiegel‘ mit seiner Abbildungswut einfach genauer ist.
Irgendjemand kam einmal auf die schmeichelhafte Beschreibung, daß der 'Spiegel‘ das Erbe der Aufklärung verwalte, weil er nichts Überliefertes ernst nehme, an allem zweifle, nichts unbesehen glaube, alles bewiesen haben möchte. Aber die Zeit ist lange vorbei. Die drei großen Gegner, die den 'Spiegel‘ lange mit Geschichten versorgt haben, sind am Absterben, wo nicht ohnehin schon selig verschieden.
Franz Josef Strauß, der mit nicht nachlassender Hingabe den Schurken gab, fraß sich aus Kummer darüber zu Tode und ist, wie billig, auf fürstlichem Boden gefallen (was hat er auch den demokratischen Heimatboden verlassen müssen); die katholische Kirche, die sich in Deutschland nur noch deshalb aufbäumt, weil der 'Spiegel‘ sie als einziger noch ernst nimmt; und die Ärzte, die als einzige die Gegnerschaft weiter lohnen.
Der 'Spiegel‘ hat sich nämlich selbst überholt. Mag sein, daß am Montag und Dienstag noch immer der Konsens der U-Bahn das umgeschlagene neue Heft ist, der Blick in den Hohlspiegel, in den Bonn-Aufmacher, ins Inhaltsverzeichnis, aber die Skandale, von denen er einst lebte, womit er seinen Ruf begründete, seine Auflage steigerte bis auf eine glatte Million, die gibt es nicht mehr. Der 'Spiegel‘ hat die Republik inzwischen nach seinem Gleichnis umgeschaffen. Die Botschaft, so eingängig wie wahr, daß Politik ein schmutziges Geschäft sei, hat der 'Spiegel‘ über 40 Jahre Woche für Woche ins Volk getragen, in ein Volk, das in Gemeinschaftskunde an Gewaltenteilung, Machtbalance und demokratische Mitsprache glauben sollte.
In einer beispiellosen Desillusionierungskampagne hat der 'Spiegel‘ den mündigen Bürger geschaffen, der auf der Hut ist vor den Beamten, der sich auf Ämtern nicht demütig und bittstellerhaft herumdrückt, sondern der sein Recht einfordert, weil er ahnt, was dahinter los ist, der keinem mehr traut (weiß er doch von sich, wie sehr jeder auf den eigenen Vorteil schaut).
So erfolgreich war der 'Spiegel‘ mit seiner demokratischen Umerziehung, mit dem Aussäen des Zweifels, daß er sich schon zum Gespött der Leute machen, in der Kultur vorführen darf, was er einmal so blutgierig anprangerte: die Korruption, das große Mitmachen und Einverstandensein. Aber der 'Spiegel‘ greift den Skandal nicht mehr auf und an, sondern produziert ihn — Zeit der kurzen Wege — aus eigener Machtvollkommenheit gleich im Hause.
Weil Kultur im 'Spiegel‘ nicht mehr stattfindet, es sei denn ein Mann mit zwei Köpfen hätte mit Hilfe eines Tuschepinsels zwischen dem großen und dem zweiten Zeh ein Buch gemalt, ist man dort für alles, selbst das leiseste Wehen in der Luft, todfroh und so dankbar, daß man dafür auch nach Altötting wallfahrten würde. Säkularisiert, wie man aber in Hamburg ist, geht die Reise nicht ins Bayerische, sondern ins Kärntnerische, nach Klagenfurt, wo die Autorin Ingeborg Bachmann herstammt, die durch ihren frühen Tod ermöglicht hat, daß ein Preis nach ihr benannt wird, der mit einem Wettlesen verbunden ist, welches wiederum unglaublich viele Wetter anzieht, Kiebitze, Passanten, Leute auf der Durchreise zu ihrem nächsten Gastauftritt.
In diesem Jahr wurde zum 15. Mal zu Ehren von Ingeborg Bachmann oder jedenfalls um den Preis eines Preises in Klagenfurt gelesen. Der Mitbegründer Marcel Reich-Ranicki ließ sich kurz einfliegen und mit einem Sonderstempel ehren; nachdem er den bewährten Klatsch abgesondert hatte, verschwand er auch schon wieder. Die Enkel mochten das besser ausfechten.
Die Enkel wurden bestens bedient, denn ein scharfsinniger Beobachter des Verfahrens legte der Jury und dem Publikum einen Text vor, der mit drei schönen Wörtern begann: „Ich ficke Babys.“ Dagegen wäre ja nun nicht viel einzuwenden, zumal es sich dabei um Literatur handelte, also nicht ernst gemeint war (wie uns ein vifer Hermeneutiker hinterher zu verstehen gab), außer vielleicht der Tatsache, daß der Vortragende, Urs Allemann, Schweizer ist.
Ein Schweizer, wenn er zu allem Überdruß auch noch einen Bart trägt und nicht mehr ganz jung ist, fickt erwiesenermaßen keine Babys, sondern schreibt schlimmstenfalls einen „unverschwiemelten, klar und artifiziell geformten Text“ (besagter Hermeneutiker), der in seiner rasanten Modernität zwar nicht ganz das Niveau von, sagen wir, Oskar Panizza (1853 bis 1921) erreicht, dafür aber der Jury, die sich plötzlich in einem Encounter-Urlaub wähnte, gleich ganz unerhört vorkommen mußte.
Kurz und schlecht: Urs Allemann, ein „Schweizer Außenseiter“, wie der 'Spiegel‘ lügenhaft renommierte, rühmte sich also des Babyfickens und bewog damit einen italienischen Juror namens Roberto Cazzola (dem das mit dem Babyficken zu Recht nicht ganz geheuer war) zum vorübergehenden Auszug aus der Jury, was diese aber nicht hinderte, dem Autor den Preis des Landes Kärnten aufzudrängen. Denn sonst hätte man sich ja als unaufgeklärt und schamhaft und nicht ganz auf der Höhe des 19. Jahrhunderts erwiesen.
Nachdem sich die Tageszeitungen in der Berichterstattung heftig über Klagenfurt beklagt hatten, den sog. Skandal ordentlich einen sog. geheißen hatten, kam der 'Spiegel‘, das deutsche Nachrichtenmagazin, eine Woche zu spät und gab als „Skandalon“ aus, was bei den anderen längst als aufgelegter Schwindel entlarvt war.
Nicht genug damit, der 'Spiegel‘ druckte den matten Text für alle nachprüfbar auch noch in großen Teilen ab, zeigte den Autor in seiner gewaltigen, fast rührenden Harmlosigkeit im Bild, dazuhin die Hauptakteure der Jury, darunter einen, der keine Probleme mit Ämterhäufung hat und am liebsten alles gleichzeitig machen würde: Herrn Karasek.
Das Jury-Mitglied Karasek ist zwar neuerdings nur mehr „'Spiegel‘-Autor“, aber immer noch Eminenz genug, daß er in seinem Blatt frech jede Gewaltenteilung aufheben und in diesem vormals und vorgeblich kritischen Enthüllungsorgan seine Jury-Tätigkeit fortsetzen und begründen darf, warum der Text von Urs Allemann, der so flott mit „Ich ficke Babys“ beginnt, erstens ein Skandalon ist; zweitens „in Wahrheit eher ein Skandälchen“; was das alles, drittens, mit Hamlet zu tun hat; und viertens vor allem mit den ermordeten kurdischen Kindern und den Kindergeiseln, denen der Menschenfeind Saddam Hussein im Fernsehen über den Kopf strich wie weiland der Hitler.
Sieht neben dieser umsichtigen Eigenreklame die Frühjahrsaktion aus dem Hause Enzensberger, der seinem Mitbewohner Gaston Salvatore den Kleist-Preis zuerkannte, nicht wie ein harmloser Scherz aus?
In seiner gnadenlosen Obszönität ist das, was Karasek da anstellt, ein Schulbeispiel für das, was der 'Spiegel‘ früher angeprangert hätte. Aber warum sollte man sich lang aufregen über dieses gegenseitige Eierkraulen: der 'Spiegel‘ hat sich, so mächtig er ist, lang schon erübrigt. Das Volk der Leser weiß Bescheid, der 'Spiegel‘ hat es aufgeklärt. Seinen historischen Auftrag hat er damit erfüllt. Da mag er sich dann ruhig vom Moritatenblatt zur Lachnummer verbessern.
'Der Spiegel‘. Das deutsche Nachrichten-Magazin. Nr. 28/1991. 208 Seiten, 4,50 DM. Jahresabonnement (52 Hefte) 234 DM.
'Die Zeit‘. Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Handel und Kultur. Nr. 29/1991. 64 Seiten und 40 Seiten 'Zeitmagazin‘, 3,80 DM. Jahresabonnement (52 Ausgaben) 169 DM.
'Stern‘. Das deutsche Magazin. Nr. 29/1991. 156 Seiten und 40 Seiten 'tv-Magazin‘, 4 DM. Jahresabonnement (52 Ausgaben) 208 DM.
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