: Schuldenprogramme: aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Die reichsten Industriestaaten werden auf ihrem G-7-Treffen in London nicht an weiteren Schuldenstreichungen für die Dritte-Welt-Länder vorbeikommen ■ Von Uwe Hoering
Nachdem Polen und — als Dank für die Hilfe während des Golfkriegs — Ägypten jeweils die Hälfte ihrer Schulden gestrichen worden sind, wächst der Druck, auch anderen überschuldeten Ländern Schuldenerleichterungen zu gewähren. Dem werden sich auch die sieben großen, sprich reichsten, Industrieländer (G-7) der Welt — USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und Kanada — auf ihrem Gipfeltreffen ab Montag in London nicht verschließen können.
Die Überschuldung der Dritten Welt — das wird inzwischen allgemein anerkannt — ist ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Entwicklungshemmnis für die armen Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Einen großen Teil ihrer Exporterlöse müssen sie in den Schuldendienst stecken, anstatt ihn zum Aufbau ihrer Wirtschaft nutzen zu können.
Die bisherigen Schuldenerleichterungen haben wenig gebracht. Die Zahlungsverpflichtungen der Armen an die Reichen sind beständig weiter gestiegen, obwohl bereits 1982 die Schuldenkrise ausgerufen wurde. Vor neun Jahren waren die Entwicklungsländer mit insgesamt etwa 800 Milliarden US-Dollar im Ausland verschuldet — 1990 waren es schon 1.341 Milliarden US-Dollar. Das entspricht fast 200 Prozent der Jahresexporte dieser Länder. 480 Milliarden Dollar davon sind kurzfristige Verbindlichkeiten. Umschuldungsprogramme, die in den achtziger Jahren Priorität hatten, brachten nur vorübergehend Erleichterung — aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Auf dem Wirtschaftsgipfel in Toronto wurden 1988 Verbesserungen der Umschuldungsbedingungen und ein partieller Schuldenerlaß hauptsächlich für die ärmsten afrikanischen Länder beschlossen. Die Auswirkungen blieben mager: Im ersten Jahr betrug die Entlastung für die ärmsten 19, die sogenannten Toronto-Länder, gerade 108 Millionen US-Dollar — bei Gesamtschulden von 53 Milliarden Dollar, die auf diesen Staaten lasten. Insgesamt, so rechnete die Weltbank vor, werden zur Jahrtausendwende die Erleichterungen beim Schuldendienst auf lediglich 400 Millionen US-Dollar im Jahr steigen.
Auch die EG-Kommission beschloß Ende 1990, Schulden von 69 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifikraums (AKP) zu streichen — in Höhe von sechs Milliarden Mark, bei einer geschätzten Gesamtverschuldung der AKP-Staaten von 260 Milliarden Mark. Sie wollte damit beweisen, daß die Dritte Welt trotz Osteuropa nicht vergessen ist. Der Vorschlag der niederländischen Regierung, den ärmsten Ländern sämtliche Schulden zu erlassen, stößt jedoch weiterhin auf taube Ohren. Bis Ende 1990 wurden den Dritte-Welt- Ländern insgesamt 10,7 Milliarden US-Dollar an Schulden erlassen, davon 2,9 Milliarden durch die Bundesrepublik. Von den Erleichterungen, die zumeist mit wirtschafts- und umweltpolitischen Auflagen verbunden waren, profitierten vor allem Länder mit niedrigem Pro-Kopf- Einkommen. Für Afrika, so klagte der Generalsekretär der UN-Kommission (ECA), Adebayo Adedeji, brachten die bisherigen Streichungen dennoch nur eine Erleichterung von gerade mal fünf Prozent. Die Zinslast sei seit 1989 lediglich um 3,3 Prozent auf immer noch 30 Prozent der Exporteinnahmen zurückgegangen.
Der britische Premierminister John Major hat vorgeschlagen, den Toronto-Ländern sowie einigen weiteren armen afrikanischen Ländern zwei Drittel der Schulden zu erlassen. Außerdem sollen sie fünf Jahre lang von Zinszahlungen und Tilgungen für das restliche Drittel befreit werden. Damit würde der Schuldendienst dieser Länder für die ersten fünf Jahre von 3,725 Milliarden US- Dollar auf Null reduziert — eine Atempause.
IWF, Weltbank und die privaten Geschäftsbanken sträuben sich jedoch gegen neue Schuldenstreichungen. Besonders die Geschäftsbanken verdienen nicht schlecht am Status quo. Die Verschuldungskrise half bundesdeutschen Banken, im vergangenen Jahr etwa 14 Milliarden Mark an Steuern zu sparen. Das schätzt John Denham von Eurodad, einem europäischen Netzwerk von regierungsunabhängigen Organisationen zur Schuldenfrage. Die Rechnung sieht so aus: Länder in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa stehen mit 60 Milliarden Mark bei bundesdeutschen Banken in der Kreide. Durch Wertberichtigungen der nicht eintreibbaren Außenstände zwischen 50 und 80 Prozent können die Banken ihre Gewinnbilanz erheblich drücken, müssen deshalb weniger Steuern zahlen und bekommen so ihr Geld wieder herein. Die privaten Banken, so Eurodad, sollten deshalb ruhig stärker an der Schuldenstreichung beteiligt werden.
Ein erster Versuch, die Banken zum Schuldenerlaß zu bewegen, war die Initiative des US-Finanzministers Nicholas Brady vom März 1989. Unter dem Eindruck wirtschaftlicher und politischer Destabilisierung in Venezuela und Mexiko kündigte er seinen „Brady-Plan“ vor zwei Jahren auf dem G-7-Gipfel in Paris an als ein „neues Kapitel in der Schuldenstrategie“. Die US-Banken, die mindetens 400 Milliarden US-Dollar an Forderungen gegenüber Drittwelt-Staaten haben, sollten danach auf einen Teil ihrer Forderungen und Zinsen verzichten, wenn die Länder sich ihrerseits zu wirtschaftlicher Liberalisierung bereit erklärten.
Im ersten Jahr wurden mit sechs Ländern entsprechende Abkommen geschlossen — weniger als ursprünglich erhofft. Auch der Rückgang von Schulden und Schuldendienst war geringer als angenommen. Die Philippinen zum Beispiel mußten schon nach kurzer Zeit neue Schuldenerleichterungen beantragen. Für den geringen Erfolg war vor allem der Widerstand der Großbanken verantwortlich. Sie hatten die Hoffnung, daß durch den Brady-Plan wirksame Schuldenerleichterungen zu schaffen seien, von vornherein als „reine Mutmaßungen“ abgetan.
Die Bundesregierung will bislang an das heiße Eisen nicht heran. Sie beruft sich dabei auf „marktwirtschaftliche Grundsätze“. Doch nach Auffassung von John Denham würde es diesen Grundsätzen durchaus nicht widersprechen, die Steuerersparnisse der Banken mit der Auflage zu verbinden, die Schulden nicht nur in den Bilanzen abzuschreiben, sondern sie auch tatsächlich zu erlassen. Entwicklungspolitische Initiativen und Eurodad plädieren seit langem für einen klaren Schnitt: Streichung aller Schulden ohne Bedingungen.
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