: Österreichs Verantwortung
Das Bekenntnis zur Mitschuld an den Verbrechen der Nazis war überfällig ■ Aus Wien Hazel Rosenstrauch
„Hunderttausende Österreicher wurden eingekerkert, vertrieben und ermordet ... dennoch haben Österreicher den Anschluß begrüßt, ... hatten sie Teil an den Verfolgungen und Verbrechen“ — und somit „Mitverantwortung“, sagte der Sozialdemokrat Vranitzky am Montag im Rahmen einer Regierungserklärung vor dem Parlament. Die große Koalition in Wien aus Konservativen und Sozialdemokraten steht also nun — im 46. Jahr der Zweiten Republik — zu den „guten wie zu den bösen“ Taten der jüngeren österreichischen Geschichte.
Die Erklärung war überfällig und aus deutscher Sicht zu spät, zu wenig und zu unauffällig, weil eingebettet in die Jugoslawien-Debatte. Man sollte bei der Einschätzung dieses späten Trennungsstriches jedoch nicht vergessen, daß die Alliierten mit der Moskauer Deklaration von 1943 zum österreichischen Mythos vom ersten Opfer der NS-Herrschaft genausoviel beigetragen haben, wie zur ganz anders gearteten Bewältigungstechnik der (West-)Deutschen. Bis zur Wahl Waldheims als Bundespräsident war es — nicht zuletzt dank eines Bundeskanzlers Kreisky — nicht nötig, sich mit der Vergangenheit besonders intensiv zu beschäftigen. Das Selbstverständnis, mit dem sich die Österreicher trotz Hitler, Eichmann, Kaltenbrunner und sehr vieler besonders grausamer österreichischer Vorzugsschüler in der SS, einigermaßen bequem einrichten konnten, beruht auf einem weiteren Mythos, der darauf zurückgeht, daß sich Austrofaschisten und Linke nach Hitlers Einmarsch gemeinsam im KZ wiederfanden. Der — in der Weltöffentlichkeit weniger bekannte — Schwur auf der Lagerstraße, „Rot-Weiß-Rot bis in den Tod“, mit dem Anhänger der austrofaschistischen Schuschnigg-Regierung, Sozialdemokraten und Kommunisten gelobten, „nachher“ nicht mehr gegeneinander zu kämpfen, ist bis heute Grundstein der Konsensdemokratie mit Sozialpartnerschaft und großer Koalition. Erst mit Waldheim, das heißt der Isolierung durch das Ausland, ließ es sich nicht mehr so gut mit der Rolle des unschuldig Überfallenen leben.
Daß Vranitzkys Erklärung jetzt (und nicht schon 1988) kommt, hat mehrere Gründe. Der bevorstehende Beitritt zur EG macht die Distanzierung von NS-Sympathisanten nötiger denn je. Die Kritik an Haiders Äußerungen zur NS-Beschäftigungspolitik wurde vor allem unter diesem Gesichtspunkt geäußert. Ebenso bedeutsam dürfte es aber sein, daß Österreich in der Jugoslawien-Krise erstmals (abgesehen von Kreisky) außenpolitisches Profil bekommen hat, und es als wichtige Unterstützung seiner Neutralitätspolitik erhalten will. Dazu kommt der Wechsel an der Spitze der konservativen ÖVP, die sich in einem desolaten Zustand befindet und mit Erhard Busek einen dezidierten Antifaschisten als Parteiführer gewählt hat.
Bezeichnend für die hiesige politische Landschaft dürfte es sein, daß zwar die Anti-Waldheim-Bewegung das Terrain für ein solches Bekenntnis vorbereitet hat, daß es aber keine innenpolitisch bedeutsame Gruppe, sondern ein profilierter Journalist — Hugo Portisch — war, der die Regierung dazu drängte, endlich auszusprechen, was die ganze Welt längst erwartete. Die Freude und Zustimmung der ehemaligen Opfer kam ein bißchen zu schnell, gewiß war die Erklärung mit der israelitischen Kultusgemeinde und anderen Minderheiten abgesprochen. Auch das gehört zur österreichischen Konsens- Demokratie. Trotz der Schönheitsfehler und Verspätung ist diese Erklärung weit mehr als der Versuch, aus der Rolle des Paris herauszutreten. Es gehört — Haiders stille und laute Anhänger sind nur der offenkundigste Beweis — immer noch Mut dazu, sich in Österreich vom Dritten Reich zu distanzieren. Abzuwarten bleibt, ob diese „Wende“ nun auch von oben nach unten, ins Volk dringt. Nicht nur in Form von Entschädigungszahlungen, sondern auch in der immer noch überfälligen öffentlichen Auseinandersetzung mit österreichischer Geschichte und österreichischem Selbstbewußtsein.
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