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„Beim nächsten Mal bringen wir Euch alle um“

Türkische Sondereinsatzkommandos richten Blutbad bei Beerdigung eines Oppositionellen in Kurdistan an/ Mindestens sieben Tote und Hunderte von Verletzten/ Angriffe auf Journalisten und Parlamentarier  ■ Aus Diyarbakir Lissy Schmidt

„Vedat, wir vergessen dich nicht“ und: „Wir fordern Rechenschaft“, riefen die Menschen, die dem ermordeten Politiker Vedat Aydin am Mittwoch in der kurdischen Großstadt Diyarbakir das letzte Geleit gaben. Die Metropole bot einen ganz und gar ungewohnten Anblick: Die Straßen waren leer, alle Läden geschlossen, eine ganze Stadt drückte ihre Trauer und ihren Protest aus.

Ein Konvoi von mehr als 5.000 Autos hatte die Leiche aus dem 80 Kilometer entfernten Ort Maden nach Diyarbakir geholt. Dort empfingen Zehntausende den in die kurdische Fahne gehüllten Sarg. Die Straßen gehörten dem Trauerzug. Doch mehr noch als Trauer, trugen die Menschen Entschlossenheit zur Schau. Entschlossenheit und auch Triumph darüber, daß das Begräbnis Aydins trotz der massiven Drohungen so stattfinden konnte. Slogans wie „Es lebe die PKK“ und „Schlag zu, Guerilla — Gründe unser Kurdistan“, ertönten.

Freitag nacht war der Oppositionspolitiker Aydin aus seinem Haus geholt worden. „Mach dir keine Sorgen“, hatte er zu seiner Frau gesagt, „ich kenne die Leute, das sind Beamte von der politischen Polizei, ich werde morgen früh wiederkommen.“ — Er kam nicht wieder. Seine Leiche wurde drei Tage später gefunden — nackt mit acht Einschüssen, gebrochenen Armen und Beinen und eingedrückter Schädeldecke. Die Counter-Guerilla, der türkische Arm der internationalen Geheimdienstorganisation „Gladio“, wird für die Übergriffe verantwortlich gemacht.

Vedat Aydin war Vorsitzender der Vokspartei der Arbeit (HEP) in der kurdischen Provinz Diyarbakir. Sein Name war nicht wegzudenken aus den Kreisen der demokratischen Opposition in Türkisch-Kudistan. Er war Mitbegründer des Menschenrechtsvereins und unermüdlicher Kömpfer gegen Menschenrechtsverletzungen. Seine Ermordung löste eine Welle von Empörung aus.

Der Trauerzug bewegte sich bis zur letzten Polizeiwache vor dem Friedhof. Ein Stein, von einem kleinen Jungen geworfen, wurde mit einer zwei bis dreiminütigen Maschinengewehrsalve mitten in die Menge beantwortet. Die Menschen schmissen sich auf den Boden, Parlamentsabgeordnete der HEP riefen über Lautsprecher die Polizei und die Menge zur Ruhe.

Nach der Salve werden die ersten Verwundeten weggetragen. Kinder — zum Teil noch keine 15 Jahre alt — liegen in Blutlachen. Der Zug setzt dennoch seinen Weg fort und Vedat Aydin wird begraben.

Das große Blutbad findet auf dem Rückweg vom Friedhof statt. Den Teilnehmern des Trauerzugs wird der Weg abgeschnitten. Es folgen Schüsse in die Menschenmenge, Tränengas wird geworfen. Tausende von Menschen werden von den Polizisten der Sondereinsatzkommandos, im Volksmund „Rambos“ genannt, umzingelt und beschossen.

Dann gehen die Rambos zum Angriff auf die „VIPs“ über. Parlamentsabgeordnete der HEP, die Führungskader der Partei und eine Reihe von Journalisten haben sich in einen Doppeldeckerbus geflüchtet. Der Bus wird mit Tränengas beschossen. Die herausfallenden Menschen werden mit Gewehrkolben und Stöcken geschlagen und auf den Boden geschmissen. Die dann folgenden „Maßnahmen der Sicherheitskräfte, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen“ bestehen darin, mit Militärstiefeln auf den rund 50 am Boden liegenden Personen herumzutrampeln. Nachdem alle blutig geschlagen sind, werden sie ins Krankenhaus transportiert.

Der Kriegszustand in Diyarbakir geht die ganze Nacht weiter, Krankenwagen jagen bis zum Donnerstagmorgen durch die ausgestorbene Stadt. Von sieben Toten ist die Rede, die Zahl der erfaßten Verletzten geht in die Hunderte. Ungezählte haben sich aus Angst vor einer Verhaftung versteckt. Das Krankenhaus ist umzingelt, selbst die Behandlungszimmer sind von der Polizei besetzt. Bei Redaktionsschluß waren immer noch Schüsse zu hören.

Mit der Ermordung Aydins und den Vorfällen um sein Begräbnis sind die Angriffe gegen eine legale, demokratische Opposition in Kurdistan in eine neue Phase getreten. Die letzten zwei Jahre standen im Zeichen des Aufbaus einer solchen Opposition. Der Menschenrechtsverein und die Oppositionspartei HEP wurden gegründet und nahmen vor allem den Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen in den kurdischen Dörfern auf. Es war gelungen, ein relativ großes internationales Interesse für die Kurdenfrage in der Türkei zu wecken. Die Konsequenz waren Reformen aus Ankara, darunter die teilweise Freigabe der kurdischen Sprache. Der europäischen Öffentlichkeit sollten handfeste Beweise einer „Demokratisierung“ in bezug auf die Kurdenfrage vorgezeigt werden. In Kurdistan selbst waren die Reformen für die Sondereinsatzkommandos der Anlaß, sich überhaupt nicht mehr um Gesetze zu scheren. Sie griffen zu „lateinamerikanischen Methoden“.

„Das ist der Anfang“, meinte einer der Rambos während des Massakers am Beerdigungszug, „ihr könnt uns nicht stoppen. Wenn wir euch heute nicht umbringen, dann beim nächsten Mal.“(Kommentar S.10)

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