: Jugoslawien ist kein Thema mehr
Slowenen wollen nur über ihre Unabhängigkeit, nicht aber über die „gemeinsame Zukunft“ des Vielvölkerstaates verhandeln/ Weiterhin Unklarheiten über Einhaltung des Brioni-Abkommens ■ Aus Ljubljana Heide Platen
Der Beginn der Verhandlungen über die Zukunft Jugoslawiens ist weiter völlig ungewiß. Gestern lehnte es Sloweniens Präsident Kucan ebenso wie der slowenische Vertreter im Staatspräsidium erneut ab, an einer gemeinsamen Sitzung der jugoslawischen Spitzenpolitiker teilzunehmen. Ihre Begründung: Die unabhängige Republik wolle nur über weitere Schritte in diese Unabhängigkeit, nicht aber über eine gemeinsame Zukunft aller jugoslawischen Völker verhandeln.
Auch im militärischen Bereich gibt es kein Zeichen von Entspannung. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman forderte die Entlassung des jugoslawischen Generalstabschefs Blagoje Adzic, da dieser „Kriegshetze“ betreibe. Der slowenische Informationsminister Kacin berichtete, daß die Territorialverteidigung fünf Fahrzeuge der jugoslawischen Bundesarmee gestoppt habe. Sie hätten versucht, auf der Straße von Rijeka die kroatisch—slowenische Grenze zu passieren und seien bewaffnet gewesen. Außerdem berichtete er von Explosionen unbekannter Ursache in Bundeskasernen und einem Gasunfall, bei dem ein Soldat getötet worden sei.
Verwirrung gab es über den Stand der Demobilisierung der territorialen Verteidigung. Ihre Führung teilte mit, daß weiterhin fast die gesamte „Streitmacht“ — 35.000 Mann — bewaffnet sei. Kacin hatte von nur noch 25.000 gesprochen. Er sicherte zu, das „Mißverständnis“ zu klären.
Unklarheit besteht auch darüber, wann die EG-Beobachter-Kommission in Slowenien eintreffen könnte. Der Flughafen in Ljubljana ist noch immer gesperrt und von der jugoslawischen Airforce besetzt.
Beobachter der Europäischen Gemeinschaft werden inzwischen auch von Bosnien gefordert. Die dreißigprozentige serbische Minderheit wolle im Verein mit der jugoslawischen Armee und unter dem Schutz der benachbarten Mutterrepublik Serbien diese Republik zerschlagen.
Zur Frage des Ausschlußes von Slowenien und Kroation aus dem jugoslawischen Bankenverbund hatte am Mittwochabend Parlamentspräsident France Bucar Stellung genommen. Er wirkte dabei etwas ratlos. Möglicherweise werde vorübergehend Notgeld eingesetzt werden müssen, das wolle aber niemand. Bucar war nach der Entscheidung des slowenischen Parlamentes für die Brioni-Deklaration großväterlich- gelassen vor die Presse getreten. Annspannung und Sorge über die Situation in seinem Land waren ihm erst anzumerken, als die Fragen — vor allem der jugoslawische Medien — immer drängender wurden. „Eine Spur von Bitternis“, gestand er ein, sei bei der Entscheidung, die Slowenien Zugeständnisse abgefordert habe, schon zurückgeblieben. Die Situation sei „paradox“. Man wolle schon so schnell wie möglich mit Jugoslawien verhandeln, wisse aber derzeit nicht „wie und mit wem“. Den Vorwurf, er idealisiere die Unterstützung Europas für sein Land, wies er zurück. Er habe weder „sentimentale noch romantische“ Vorstellungen: „Europa tut absolut nichts, wenn hier nicht vorher alles geklärt ist.“
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