Sportplatz-Dioxin: keine Entwarnung

■ Anhörung der Grünen zum Thema „Kieselrot“ / Verwässerung der Grenzwerte befürchtet

Für die Gesundheitsgefährdung durch die Kupferschlacke „Kieselrot“ gibt es keine Entwarnung. Im Gegenteil: Neben der direkten Gefahr durch den auf tausenden deutschen Sport- und Spielplätze aufgebrachten Belag wächst jetzt auch die Gefahr, daß die riesige Menge der extrem stark mit Dioxinen verseuchten Schlacke dazu führt, daß Grenzwerte, die von UmweltschützerInnen in jahrelangem Kleinkrieg gerade erst durchgesetzt wurden, wieder erhöht werden. Das ist das Ergebnis einer Anhörung, zu der die grünen Landtagsfraktionen aus Hamburg und Bremen gestern rund 50 PolitikerInnen, ExpertInnen und BehördenvertreterInnen in der Bremer Bürgerschaft zusammengebracht haben.

Zumindest in dem am stärksten vom Kieselrot-Problem betroffenen Nordrhein-Westfalen sollen die Sportplatz-Sperrungen schon in der nächsten Woche wieder aufgehoben werden (vgl. Seite 6). Damit will die Landesregierung dem Druck der Sportvereine nachgeben, die in diesen Tagen ihre Spielpläne für die nächste Saison aufstellen müssen. „Aber es ist doch niemandem begreiflich zu machen, warum Kinderspielplätze schon gesperrt werden, wenn dort 100 Nanogramm Dioxin pro Kilo gemessen wurden, während die Kinder auf Sportplätzen, die durch das Kieselrot mit bis zu 100.000 ng/kg belastet sind, wieder Fußball spielen dürfen“, sagte der Bielefelder Umweltdezernent Uwe Lahl gestern auf der Bremer Anhörung. Sein Vorschlag deshalb: In einem Crash-Programm sollten alle dringend benötigten Sportplätze versiegelt und mit Kunstrasen wieder bespielbar gemacht werden — als Zwischenlösung, bis ein sinnvolles Sanierungsverfahren entwickelt ist.

Das gibt es bis heute nämlich ebensowenig, wie genaue Erkenntnisse über die Gesundheitsgefahr der im Kieselrot enthaltenen Dioxine und Furane. Die Düsseldorfer Landesregierung beruft sich in ihrer Freigabe-Entscheidung auf eine „Kieselrot- Studie“, bei der im Blut von 56 AnwohnerInnen und ehemaligen MitarbeiterInnen der Marsberger Kupferhütte, sowie von Motocross-Fahrern auf der Kieselrot- Halde gegenüber einer Vergleichsgruppe aus dem Kreis Steinfurt keine bedeutend höheren Dioxin-Werte gemessen wurden. „Von der Marsberg-Studie liegt aber erst ein Zwischenbericht vor, in dem nur ein Drittel der Testpersonen aufgenommen wurde“, kritisiert Umweltdezernent Lahl.

Auch die anderen in Bremen anwesenden Toxikologen, Chemiker und ÄrztInnen hielten die bisherigen Ergebnisse der Marsberg-Studie bei einer Entscheidung über die Gesundheitsgefährdung des Kieselrots nicht für ausreichend. So sage die Dioxin- Konzentration im Blut zum Beispiel nichts über mögliche allergische Erkrankungen durch das Seveso-Gift aus. Übereinstimmend verlangten die TeilnehmerInnen der Anhörung denn auch weitere intensive Untersuchungen, bevor die extrem dioxinhaltige Kupferschlacke voreilig als gesundheitlich unbedenklich erklärt werde.

Auf die indirekte Dioxingefahr wies der Mitarbeiter des Hamburger Umweltinstituts, Michael Braungart, hin. Schon heute werde die Luft stärker durch Verdunstung und Verwehung bereits im Boden abgelagerten alten Dioxins als durch den Ausstoß neuen Giftes aus den Müllverbrennungsanlagen belastet — ein Kreislauf, der sich immer weiter zum „Hexentanz des Dioxins“ steigere.

Zu überraschenden Ergebnissen ist die Berliner Forschungsgesellschaft Technischer Umweltschutz (ITU) gekommen. Im Auftrag des Senats hat sie eine Gesamtbilanz aller Berliner Dioxin-Emissionen aufgestellt. Entgegen der ursprünglichen Annahme stellte sich dabei heraus, daß die Westberliner Müllverbrennungsanlage Ruhleben nur mit 1,4 Prozent am Gesamtdioxin-Ausstoß beteiligt war. Dagegen stellten sich die Berliner Stahlwerke mit über 30 Prozent als größte Dioxinschleudern heraus. „Ein Ergebnis, das auch für Bremen mit dem großen Klöckner-Werk interessant sein könnte“, sagte ITU-Mitarbeiter Wilken auf der Anhörung.

Völlig überrascht waren die Forscher von dem drittgrößten Berliner Dioxin-Sünder: dem städtischen Krematorium. Mit neun Prozent trug die Verbrennung der oft stark chemisch behandelten Särge zum Dioxin- Haushalt der Luft bei. „Man könnte bei Urnenfriedhöfen somit auch von Altlasten sprechen“, faßte Wilken zusammen.

Dirk Asendorpf