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Mach, was du willst!

■ Die Modezeitschriften propagieren es schon die ganze Saison über, und der Zeitgeist schwemmt Revivals jeglicher Kunstrichtung ans Licht des Heute: Die Sixties sind wieder da.

Die Modezeitschriften propagieren es schon die ganze Saison über, und der Zeitgeist schwemmt Revivals jeglicher Kunstrichtung ans Licht des Heute: Die Sixties sind wieder da.

Von ELMAR KRAUSHAAR

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s gibt so ein paar Faustregeln: In der Mode kommt alles einmal wieder oder Jede Mode reflektiert ihre Zeit oder... Mit den simplen Weisheiten des urbanen Landmannes, die so allgemein gehalten sind, daß sie alles erklären, will man sich dem Schwierigen ganz einfach nähern, soll ein Sinn gefunden werden in den lautlosen Phänomenen, die mit Macht die Straßen und das Auge erobern. Da schweift der Blick, mal soziologisch, mal Sozialarbeiter, mal ganz feinstöffentlicher Ästhet, über die Macher und die Träger und die vielen Bilder und Töne, die alles umstellen. Damit nichts einfach das ist, was es ist.

Die sechziger Jahre sind dran, die späten Sechziger. Und die Frage: Was ist dran an dieser Zeit? Alles. Schlicht alles. Da war jeder noch siebzehn, waren alle Wege noch offen. Der Glaube war unerschütterlich, daß jedes weitere Jahr Zukunft bedeutete und Fortschritt und Moderne. Es gab keine andere Richtung als die nach vorne. Die Grenzen waren offen, ganz im Sinn von Andy Warhol: „Das Schönste an New York ist McDonald's. Das Schönste an Paris ist McDonald's. Das Schönste an Berlin ist McDonald's. In Moskau gibt es noch nichts Schönes“ (heute schon).

Bunte Städtebücher verrieten Adressen von Plätzen und Straßen in Amsterdam und London und Paris und Kopenhagen, wo alles passierte. Fast umsonst kam man dahin, um in der Sonne zu sitzen, auf der Gitarre zu klampfen, in allen Sprachen zu kauderwelschen, um Leute zu sehen und Kleider. Ein ganzer Kontinent wurde zum überschaubaren Ort, fast so vertraut wie die Bushaltestelle daheim.

Selbst Vietnam war so nah, daß man darauf vertraute, mit jeder Demonstration den unglaublichen Krieg dort zu beenden. Dazu trug man Bilder von Menschen, die richtig waren und gut: Der Afro- Kopf von Angela Davis machte Mode, modelgleich, und ihre Sätze unterstrichen die revolutionäre Richtung. Dazu das männliche Pendant, Che Guevara, mit einem Gesicht voller Abenteuer, mehr als hundert Camel-Männer, und einem Heiligenschein ohne Jenseits.

Die begleitende Lektüre faßte eilig und knapp zusammen, was das kommende Leben als Leitfaden brauchte: Jerry Rubins Do it! gab Anweisungen für den militanten Ungehorsam und die lustvolle Onanie, und die Mao-Bibel unterfütterte den neuen Entwurf mit der Lebensweisheit eines alten Mannes, der ganz fern war und doch nah.

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er Rhythmus dazu legte ein Tempo vor, das den Atem nahm. So viele Musikgruppen tauchten plötzlich auf, mit unaussprechlichen Namen voller Phantasie. Selbst die schwarze Scheibe als Träger der flotten Botschaften blieb nicht mehr schwarz, CBS veröffentlichte einen Underground- Sampler mit Al Kooper, Blood, Sweat and Tears und all den anderen in psychedelicbuntem Vinyl. Die Outfits der neuen Stars waren so verschieden, daß alle wieder gleich waren. Davon auch nur einen zu kopieren, blieb keine Zeit, aber die Message war klar: Mach, was du willst! Trag, was du willst! Sei du selbst! Was immer das auch heißen mochte.

Es hieß viel: runde Sonnengläser und die Haartracht entlang den natürlichen Gesetzen der individuellen Haarwurzeln. Dazu Kleider und Röcke so kurz und so bunt, blumig oder schockfarben, und im Schnitt wie der Vorgriff auf ein Leben im All. Oder andersrum, lang und verspielt, mit romantischem Blick nach hinten. Oder Parka und Jeans als moderne Scout-Kleidung, allzeit bereit, bei jedem Wetter zu open-airen, sit-innen, demonstrieren oder ganz einfach zu gammeln. Selbst das Tarngrün der Militärs wandelte sich zur Friedensfarbe. Die Grenzen wurden verwischt, zwischen den Geschlechtern und den Kulturen, den Nationalitäten und den Schichten. United colors of the revolution!

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ie Explosion der Stile, Moden und Trends hatten nur eines im Sinn: Bitte, wir wollen mit nichts, aber auch gar nichts zu tun haben, was vorher war. Diese Bundesrepublik Deutschland schien voll von alten, verlogenen, unbelehrbaren Menschen, wie sie nur noch auf der Leinwand auszuhalten waren. In Filmen wie Schonzeit für Füchse oder Es waren sie zu besichtigen, überkippt mit der einzigen Farbe, die zu ihnen paßte: Grau. Die Männer, schmallippig, mit krummem Buckel vom Buckeln und kriegsversehrt allesamt. Die Frauen, bigott, mit strengem Haarknoten und untertan. Das waren die Eltern, die Mächtigen, die Schuldigen. Die Respekt verlangten, für was? Die Ordnung predigten. Die beim Vögeln die Fenster verhängten mit dicken Decken.

Die alte Welt ist hinter euch her, hieß die Parole, und jeder mit etwas Grips im Hirn war auf der Flucht. Die Wege aus dem Gehege waren wie das Fluchtgepäck und die Reisekleidung und die Begleitmusik, alles aus einem Guß. Voller Signale des Aufbruchs in eine wahrlich bessere Zukunft.

Soll man der Straße glauben, den Tanzpisten, den Laufstegen, den Modezeitschriften, dem Feuilleton? Sie verbreiten alle seit geraumer Zeit eine Nachricht: Die Sixties sind wieder da. Das soll wahr sein, zu Beginn des letzten Jahrzehnts vor dem neuen Jahrtausend? Wahr soll sein, daß sich noch einmal all das recycelt, was so einmalig schien in seinen vielfältigen Bildern mit der Kraft der Rebellion und dem rasanten Sprung in die Vision?

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hne Pardon greifen heute die Kids auf das zurück, was ihre autoritär erzogenen Eltern dereinst so antiautoritär drapierten. Die Hippie- Kluft ist wieder da, die ganze Flower-Power-Palette rauf und runter. Mit dem Peace-Kreis irgendwo und Stirnband auf Lockenpracht. Selbst John McEnroe trägt heuer auf dem grünen Rasen von Wimbledon zum Schutz vor dem freien Blick auf die hohe Stirn ein Tuch geradewegs aus der Kleidersammlung in Haight Ashbury. Der Mini von Mary Quant, die Blumen von Valentino, die Boots von Courrèges, der Lidstrich von Esther Ofarim, der Pony von Uschi Nerke: neu aufgelegt, kopiert ohne Vorlage, getragen als Dernier Cri. Und Lenny Kravitz, der aussieht wie einer von einst. Und Revival-Konzerte mit alten Herren, deren einzige Aufgabe es ist, die letzten 20 Jahre zu streichen. Und die Schüler rasen ins Kino, in die neu eingerichteten Schülervorstellungen, und gucken Pump up the volume, ein High-School-Film von heute mit den Problemen von '68, Leonhard- Cohen-Songs und Kick out the jams von MC5 inklusive.

Jim Morrison ist das Sahnehäubchen, als Film, als Buch, als LP/MC/CD, und das Engelsgesicht auf jeder freien Fläche. Die Polizei mußte eingreifen, als unzählige Fans am 3. Juli zum 20. Todestag der Legende versuchten, die Mauer des Pariser Friedhofs Père Lachaise zu überklettern, um dem Grab des Idols nahe zu sein.

Der Fall Morrison liegt klar. Da nostalgiert mit feuchtem Auge im Kino die Generation der 68er und hängt Bildern nach, die nichts kosten. Ansonsten haben sie ihre Erinnerungen gut sortiert und spätestens mit dem Golfkrieg die Verantwortung für die revolutionäre Gesinnung von damals über Bord geschmissen. Ehemals die größten Feinde des US-Imperialismus, wird 1991 der Krieg von ihnen zum politischen Mittel deklariert und die aufgerüstete Ami-Armee zum Garant eines neuen Weltfriedens. Bei so viel Abkehr kommt Jim Morrison gerade recht und streichelt den Bauch der erwachsenen Jahre.

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ie Generation ihrer Töchter und Söhne hat es nicht so leicht. Es scheint, als sitzen sie alle in den Startlöchern und warten auf den Schub mit Ausblick auf die Zukunft. Doch nichts passiert, kein Trommelwirbel, rein gar nix. Niemandem fällt noch irgend etwas ein. Der Markt in seiner Hast, einen Trend nach dem anderen loszuschlagen für die schnelle Mark, hört nicht mehr hin, läßt keine Stimmung entstehen, schlägt nur noch zu. Diktiert bunt und schroff, was jetzt angesagt ist, um eine Saison später das Gegenteil überzubraten. Und die Erinnerung an die letzte wirkliche Explosion, die Punk-Ära, ist zu nah und verblaßt.

Da wird der Hals gleich zweimal verrenkt, Blick zurück in die vorletzte Dekade. Damit die Atmosphäre der Endsechziger das Startgefühl herbeizaubert und den Sinn beisteuert, der so entschieden und einstimmig noch herüberscheint. Im Gewusel der Zeitgeister wieder an einem Strang ziehen, einen Lebensstil neu erfinden und sich — noch ungeahnt — mannigfaltig uniformieren für die nächste Etappe — das soll es sein! So könnte es sein.

Oder ganz anders: „Wer sich gerne an die 60er Jahre erinnert, kommt voll auf seine Kosten“, schreibt die 'Bäckerblume‘, unbelastetes Zentralorgan für jedwede Lebensart, und meint das Comeback der „kultivierten Haarpracht von damals“. „Voraussetzung für eine attraktive Hochsteckfrisur sind gesunde Haare, außerdem erfordern aufwendige Hochsteckfrisuren kreative Fertigkeiten.“ Die Lösung liegt so nah.

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