INTERVIEW
: Freigabe der Kieselrot-Sportplätze ist „ein Schnellschuß“

■ Interview mit dem Kieler Toxikologen und Dioxin-Experten Prof. Otmar Wassermann zu der beabsichtigten Freigabe der gesperrten „Kieselrot“-Sportplätze

taz: Herr Prof. Wassermann, die Dioxin-Affäre um die sogenannte „Kieselrot“-Asche scheint nach der Veröffentlichung der ersten medizinischen Untersuchungsergebnisse über die Belastung von Marsberger BürgerInnen in ein neues Stadium überzugehen. Die zuständige Bund-Länder-Fachgruppe hat in dieser Woche für eine Freigabe der gesperrten, hochgradig dioxinverseuchten Sportplätze plädiert. In der nächsten Woche wollen die politischen Instanzen die Entsperrung verkünden. Kann man auf den mit bis zu 80.000 Nanogramm TE pro Kilo dioxinverseuchten Plätzen ohne gesundheitliche Risiken Sport treiben?

Prof. Otmar Wassermann: Diese Empfehlung der Bund-Länder-Fachgruppe scheint nach meinen Informationen auf einem Zwischenbericht zu beruhen, den eine Gruppe von Amtsärzten und Wissenschaftlern am 1. Juli in Düsseldorf vorgelegt hat. Dieser Bericht wird von den Autoren selbst als vorläufig und nicht repräsentativ bezeichnet. In dem Bericht wird festgestellt, daß eine leicht erhöhte Belastung mit Dioxinen im Blut der Marsberger Probanden gemessen worden ist. Nach meiner Auffassung gibt dieser vorläufige Bericht nicht genügend wissenschaftliche Informationen, die eine solch weitreichende Entscheidung rechtfertigen könnten. In so einem Fall müssen sehr viel differenziertere Untersuchungen durchgeführt werden, z.B. eine sorgfältige epidemiologische Untersuchung durch anerkannte Fachleute bis hinein in die Lungenfunktionen. Mit einem Schnellschuß kann das nicht geleistet werden. Die mir vorliegenden Daten sprechen zwar dafür, daß nur eine relativ geringe Belastung bei diesem kleinen Kreis von untersuchten Personen stattgefunden hat, aber es ist eine nicht repräsentative Studie. Ich neige auch dazu, das Risiko nicht zu überschätzen, aber wenn das aufgewirbelte Zeug bei hoher Atemfrequenz von den Sportlern eingeatmet wird, hätte ich schon Bedenken.

Im Schlackeberg von Marsberg sind Dioxinbelastungen von 70.000 Nanogramm TE pro Kilo Boden gemessen worden. Nie zuvor hat man in Deutschland vergleichbar hohe Konzentrationen gefunden. Sprechen nicht die Blutuntersuchungen dafür, daß das Dioxin offenbar von den belasteten Böden nicht in dem befürchteten Maße in den menschlichen Körper gelangt ist? Könnte das nicht auch ein Hoffnungsschimmer über den Einzelfall hinaus sein?

Wir haben hier verschiedene Bereiche zu betrachten. Die Schlacke ist natürlich toxikologisch, chemisch und analytisch anders zu bewerten als etwa die Situation in Seveso. Das ist gar keine Frage. Dieses Dioxingemisch wird sicherlich in der Schlacke sehr viel fester gebunden als so ein Dioxinschnee, der — wie in Seveso — aus der Luft herunterfällt. Wir wissen aber im Moment noch nichts über die lokalen Einwirkungen der Feinststäube, die ja sehr tief in die Lunge eingeatmet werden. Die Messungen einer Blutfettkonzentration an Dioxinen hat nicht unbedingt einen besonderen Aussagewert über den Krankheitszustand der Person. Auf der anderen Seite ist es natürlich erfreulich, daß wir trotz dieser hohen Belastungen in der Schlacke bei den untersuchten Menschen so wenig sehen. Das ist in der Tat beruhigend.

Der Düsseldorfer Gesundheitsminister Heinemann hat davon gesprochen, daß erst ab einer Belastung im Blut von 160 Nanogramm TE Veranlassung bestünde, weitere medizinische Untersuchungen anzustellen.

Das ist eine rein spekulative, dilettantische Abschätzung. Man kann ja nicht den 70 kg schweren, giftfesten deutschen Einheitsmann als Meßlatte nehmen. Das Immunsystem eines Kindes mit einem Wert von 10 Nanogramm TE im Blut kann z.B. wesentlich heftiger reagieren als bei einem relativ resistenten Erwachsenen mit einem 20fach höheren Wert.

Heinemann meint, aus den bisherigen medizinischen Untersuchungen könne eine gesundheitliche Gefährdung nicht abgeleitet werden.

Das ist die undifferenzierte Sprache eines Politikers. Im Bericht heißt es, daß die vorläufige Auswertung der Daten bei den Probanden „keine auffälligen Häufungen bestimmter Gesundheitsstörungen und Erkrankungen“ zeigt. Eine detaillierte statistische Auswertgung ist in Vorbereitung. Interview: Walter Jakobs