: „Wir kämpfen hier um jede Mark“
■ Die Molkereigenossenschaft Brandenburg hat ohne westlichen Partner ihren Markt gefunden
„So nach außen, in der Presse, macht es sich für die Handelsketten natürlich gut, mit Ostprodukten zu werben. Aber ins Sortiment der Läden reinzukommen, ist unheimlich schwer.“ Ingrid Jokic kann ein Lied davon singen, wie kompliziert es ist, ein Ostprodukt tatsächlich auf den Markt zu bringen. Seit einem Jahr ist die resolute 52jährige Geschäftsführerin der Molkereigenossenschaft der Stadt Brandenburg. Damit ist sie Chefin der einzigen Molkerei im ganzen Bundesland, die sich bisher ohne westlichen Partner und ohne Finanzhilfe von außen am Leben gehalten hat. Und darauf ist Ingrid Jokic zu recht „so richtig stolz“. Vor einem Jahr, kurz nach der Währungsunion, hatten die Lünebests, Emzetts und Müller-Milchs mit ihren bunten Verpackungen die Nullachtfünfzehn- Flaschenmilch der Brandenburger Molkerei fast gänzlich vom Markt gedrängt. Was der Reiz des Neuen nicht schaffte, besorgte die längere Haltbarkeit der West-Milch, die selbst die letzten Kunden überzeugte. Der Umsatz der Genossenschaft, die den rund 60 Milchzulieferern aus der Umgebung gehört, war damals simpel zu beziffern: Null.
Heute, zwölf Monate danach, rechnet Ingrid Jokic mit einem Jahresumsatz von 40 Millionen Mark. Rundherum haben Molkereien Konkurs angemeldet. Andere wurden von den Großen der Branche aus dem nahen Westberlin aufgekauft. Die hatten dann häufig nichts eiligeres zu tun, als die Molkereien zu schließen, denn das eigentlich Lukrative an dem Aufkauf war, an die Zulieferer, die Bauern aus der Umgebung, heranzukommen. Ingrid Jokic jedoch hat „nicht nach links und rechts nach Partnern geschaut, sondern nur geradeaus. Und ich glaube, das war das Erfolgsrezept.“
Mit den 3,5 Millionen Mark, die die Genossenschaft als Eigentum hatte, hat sie zunächst eine Computeranlage für das Liefersystem gekauft, der Rest wurde in moderne Verpackungs- und Abfüllanlagen und Kühlfahrzeuge investiert. Die Belegschaft wurde von einst 145 Beschäftigten auf die Hälfte „heruntergefahren“. Aus dem Westen kam ein Marketing-Chef mit Pioniergeist und für das Produkt ein neuer Name. Nicht einfach „Trinkmilch“, sondern „Märkische Frische“ heißt das Sortiment aus Milch, Käse, Joghurt und Schokotrunk jetzt und ist in Qualität und rechteckiger Kartonverpackung in nichts von Westprodukten zu unterscheiden. Dennoch ist die Molkerei derzeit nur zu 75 Prozent ausgelastet. Man könnte mehr produzieren, aber die Marktsegmente sind fest aufgeteilt. Die Konsum- und Spar-Läden werden zwar jetzt mit der „Märkischen Frische“ beliefert, und auch einige renommierte Westberliner Kaufhäuser haben inzwischen Lieferverträge mit der einzigen hundertprozentigen „Ost-Molkerei“ abgeschlossen. Aber in den meisten Supermärkten schieben die Großen der Milchbranche dem mit Exklusiv-Verträgen den Riegel vor. Einige Handelsketten fühlen zwar immer mal wieder vor, ob „die im Osten“ es nicht ein paar Pfennige billiger machen. „Aber warum“, so kontert Ingrid Jokic, „sollen wir uns unter Wert verkaufen? Wir müssen doch auch kalkulieren.“ 60% des Lohns ihrer Westkollegen bekommen die „Molker“ in Brandenburg, aber was an Lohn eingespart wird, das wird dringend gebraucht, um die maroden Gebäude und technischen Anlagen in Schwung zu bringen.
Wenn Ingrid Jokic „all die schönen Worte unserer Politiker“ hört, die von Krediten und Geldern sprechen, die nur abgerufen werden müßten, dann kann sie so richtig in Rage geraten. Seit Monaten kämpft sie um einen Liquiditätskredit, doch je mehr Molkereien im Umkreis zusammenbrechen, desto mehr „drehen und winden sich die Banken. Wir kämpfen um jede Mark“, sagt Ingrid Jokic und lacht dennoch dabei, denn „eigentlich macht es auch einen Riesenspaß, wenn etwas vorangeht.“ Vera Gaserow, Brandenburg
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