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Die Hertha will sich liften lassen

■ Der Berliner Fußballbundesliga-Absteiger droht mit „agressivem Gesicht“ in die neue Saison zu starten: Metamorphose zur knallharten Leistungsgesellschaft

Moabit (taz) — Eines ist sicher: Spaßig und abwechslungsreich wird die neue Saison im Berliner Profifußball ganz bestimmt. Zwar spielen sowohl die Hertha als auch Blau-Weiß 90 mal wieder in der zweiten Liga (Nord), doch sind sie nicht mehr ganz so allein, denn schließlich hat sich aus dem Umland noch Stahl Brandenburg dazugesellt. Und da die zweite Liga bereits in neun Tagen wieder ihren Spielbetrieb eröffnet, soll schon mal erzählt werden, mit welchen Taten die obengenannten Vereine demnächst weiter in die Fußballgeschichte eingehen wollen.

Am leichtesten dürfte dies natürlich wieder der Hertha fallen. Hatte sie schon in der letzten Saison mit den peinlichen Vorstellungen in der ersten Liga ihren alten Ruf als Skandal-, Ulk- und Chaos-Verein mit Massenentlassungen und Geldverschwenderei sorgsam gepflegt, so knüpft sie bis dato weiter nahtlos an bisher bekanntes Gebaren an.

Zum einen ist der Umstand zu nennen, daß die Herthaner sowieso nur mit Glück in der zweiten Liga gelandet sind. Wenige Tage nach der großzügigen Erklärung des Vizepräsidenten Michael Bob, man werde genügend Geld haben für Spieler, die den sofortigen Wiederaufstieg schaffen könnten, verweigerte der DFB den Berlinern erstmal die neue Lizenz — wegen Liquiditätsschwierigkeiten.

Mit Mühe und Not bekam die Hertha schließlich doch noch die Spielerlaubnis für die zweite Liga, ein barmherziger Akt des sonst so strengen DFB. Daher sind die neu gekauften Spieler nicht so sensationell, als daß man dem ersehnten Ziel des sofortigen Wiederaufstieges eine gewisse Realitätsnähe zugestehen könnte.

Es gibt, das ist nichts Neues, einen neuen Trainer, immerhin der fünfte in neun Monaten. Bernd Stange heißt er, war vier Jahre Chef der DDR-Nationalmannschaft und trainierte zuletzt den FC Carl-Zeiss Jena. Wir wollen nicht boshaft sein und jetzt schon spekulieren, wie lange er denn bei der Hertha bleiben wird, schließlich drückte er schon die richtige Einstellung für den Job aus: „Ein Trainer darf nie zufrieden sein.“

Kann er ja auch gar nicht. Zunächst muß er seine Mannschaft quasi mental wieder gerade biegen, weil sie ein Jahr lang permanent auf die Mütze bekommen hat. Und das betrifft die meisten Spieler, denn nur fünf Profis haben, wollen oder müssen den Verein verlassen. Lückenbüßer Frank Mischke wurde rausgeschmissen, René Unglaube und Robert Holzer fanden dank günstiger Ablöse neue Arbeit in Wattenscheid und Uerdingen. Wären da noch die zwei Problemfälle, mit denen Hertha weiter ihren bekannten Ruf pflegt. Der für 1,77 Millionen DM im letzten Jahr geholte Ex-Nationalspieler Uwe Rahn will partout nicht in der zweiten Liga spielen und pocht auf die angeblich lange festgelegte Ablöse von nur 400.000 DM. Nur hat sich bisher kein ernsthaft interessierter Verein gemeldet. Die andere seltsame Geschichte betrifft den Libero Dirk Greiser. Der wollte gerne bleiben, konnte oder wollte das um 50% gekürzte Gehalt aber nicht akzeptieren und beharrte auf einem Vertrag, den aber Hertha wiederum nicht akzeptierte. So durfte Greiser nicht zum Training, bis er vor Gericht eine einstweilige Verfügung für sein Recht auf Arbeit erhielt, gegen die natürlich gleich von seiten des Vereins Widerspruch eingelegt wurde. Geklärt werden soll das ganze Kasperletheater im September vor dem Arbeitsgericht, bis dahin drohen der Hertha bis zu 50.000 DM Strafe pro verwehrtem Arbeitstag.

Ansonsten verspricht der Vorstand eine neue, konsequente Sparpolitik und das Konzentrieren auf junge Spieler; so wie im September letzten Jahres kurz vor der Entlassung von Trainer Werner Fuchs. Nun gut, jedenfalls soll dabei ein neues Gesicht der Hertha herauskommen, ein „offensives Gesicht“, wie Bernd Stange verspricht, was heißen soll, daß die Hertha wieder Tore schießen und gewinnen möchte. Für diese Zwecke wurden neue Spieler verpflichtet. Neben Daniel Lehmann und Niko Kovac aus dem Nachwuchs von Hertha Zehlendorf die aus Nürnberg abgeschobenen Christian Hausmann und Uli Bayerschmidt, Thomas Rath vom Oberliga-Absteiger Frankfurt/Oder und Mario Basler vom den lizenzlosen Essenern. Allesamt von Sponsoren bezahlt.

Wenn noch die beiden eventuellen Sportinvaliden Patzke und Jakobs hinzukämen, gestaltet sich das neue Hertha-Gesicht in Zahlen so: 24 Spieler, die Hälfte aus Berlin, zwei Studenten und fünf Abiturienten, im Schnitt 24 Jahre alt, Gesamtgewicht 1,8 Tonnen und Länge über alles 43,66 Meter. Diese Masse kostet laut Schatzmeister Heinz Striek nur noch 4,009 Millionen Mark im Jahr und damit 40 Prozent weniger als in der letzten Saison. Der nächste raffinierte Spartrick gelang den Herthanern bei den Prämien. Rund eine halbe Million Mark steht für gewonnene Punkte zur Verfügung, allerdings sind diesmal 50 Zähler geplant und nicht 14. Das Geld gibt es auch erst ab Platz sechs aufwärts und nur für diejenigen, die auch wirklich mitspielen.

Knallharte Leistungsgesellschaft ist also angesagt, um aufsteigen zu wollen, und diese „Verantwortung können wir nicht wegschieben“, sagt Trainer Stange als Erklärung des mutig ausgesprochenen Saisonzieles. Nun scheinen die Herthaner aber vergessen zu haben, daß sie mit den beiden anderen Erstliga-Absteigern in einer Gruppe spielen und nächstes Jahr nur eine Mannschaft aus der Nord-Gruppe aufsteigen darf. Vielleicht kann die Hertha ja noch mit den neu zusammengekauften Uerdingern mithalten, aber eines steht schon fest: Das Rennen macht natürlich der FC St. Pauli. Schmiernik

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