: Wilde Wismut-Jahre
Bergleute berichten über die Anfänge des Uranbergbaus bei der SDAG Wismut. Die Arbeitsbedingungen waren katastrophal. Stalin-Pakete und aufgepflanzte Bajonette sorgten für Entschädigung und Ordnung. ■ VON REIMAR PAUL
„Was die Lunge zerfrißt, ist der feine Staub“
Und dann, '46, haben wir für gute Leistung Stalin-Pakete gekriegt. Das waren die Leistungspakete. Und zwar gab's das jeden Monat. Das kam von russischer Seite her. 'n halbes Stalin-Paket, das waren sechs Industriegläser mit eingemachtem Obst, entweder Apfelmus oder Kirschen. Und 'n ganzes Paket, das gab schon zwölf Gläser. Und Scheine, mit denen wir beim Fleischer was kaufen konnten. Das war eben das Günstige bei der Wismut.
Ich hab' Überhänge abgebohrt, Schächte, Teufen, und alles trocken. Da gab's noch kein Wasser. Nur Bläsermaschinen, die haben die Luft rausgeblasen. Wir kamen raus wie 'n Mehlsack manchmal, so trocken war der Stein. Obwohl der grobe Staub ja nichts macht, den bringt man durch 'n Schnapps weg. Deshalb haben wir ja den Schaps gekriegt. Was die Lunge zerfrißt, ist der feine Staub, den sieht man gar nicht. Mit dem Radon, das wurde uns gar nicht gesagt. Kein Mensch hat daran gedacht, daß das irgendwie gefährlich sein könnte. Viele Jahre später gab's die Reihenuntersuchungen. Da haben sie Röntgenzüge hergestellt, also LKWs, und da mußte jeder hin. Die haben sie vorm Schacht aufgestellt, und wenn man eingefahren ist, dann ist man da eben schnell noch mal reingegangen. Und wer keinen Bescheid gekriegt hat, bei dem war's in Ordnung. Und wenn's ganz schlimm war, dann kam ein Bescheid, noch mal zum Röntgen ins Krankenhaus... Wenn mitunter einer zum Arzt gegangen ist, weil er wirklich nicht mehr konnte, da gab's Ärzte, die gesagt haben, Sie woll'n bloß nicht arbeiten, und 'n paar Tage darauf mußten wir hören, daß er gestorben ist... Das waren eben alles Ärzte, die bezahlt worden sind von der Wismut. Da gab's in Alberode einen Schachtleiter, der hat beim Arzt vorher angerufen und gesagt, paß auf, der und der will krankmachen. Nicht krankschreiben, Schonplatz. Und wenn der hochkam, sagte der Arzt, ach wo, nicht krank, Schonplatz... Unfälle durften ja nicht sein. Was eigentlich ein Unfall war, wurde vertuscht. Das war die Unfallverschleierung, wie wir gesagt haben. Der wurde bezahlt, der hat sein volles Geld gekriegt..., weil für meldepflichtige Unfälle, da gab's für die Schächte keine Prämie. Da gab's doch die Wettbewerbsprämie. Wenn sie aber einen Unfall hatten, dann war's aus, dann haben sie kein Geld gekriegt.
Aus einem Interview mit dem ältesten noch lebenden Schneeberger Wismut-Bergmann. M.V. ist schwer lungenkrank.
„Das aufgepflanzte Bajonett regierte bis in die fünfziger Jahre“
Bereits sehr zeitig, im Jahre 1944, begannen die Sowjets ihre Aufklärung über die Uranvorkommen im Erzgebirge zu betreiben. Sie nutzten dazu das riesige Potential der sogenannten Ostarbeiter, die in der deutschen Rüstungsindustrie eingesetzt waren... In Schneeberg-Neustädtel war ein solches Arbeitslager... [Dort] befand sich ein Sowjetbürger, von dem der Verfasser nur die Vornamen „Kusma-Iwanowitsch“ kennt. Er hatte eine Vorarbeiterfunktion und durfte das Lager zu jeder Zeit betreten und verlassen. Kusma-Iwanowitsch suchte und fand Kontakt zu Deutschen, vornehmlich zu ehemaligen Bergleuten, so auch zu dem Großvater des Verfassers... In der Wohnung des Großvaters fanden geheime Treffen statt... In Erinnerung ist noch, daß der Verfasser als Neunjähriger schwer angegangen wurde, weil er mit einem Meßtischblatt spielte, auf dem alle Bergwerke des Schneeberger Reviers verzeichnet waren. Es ist anzunehmen, daß Kusma-Iwanowitsch seine Erkenntnisse an den NKWD weitergab... Es dauerte noch bis Dezember 1945, und die Russen kamen anmarschiert. Alle mußten ihre Wohnungen verlassen, nur der Großvater des Verfassers nicht.
Die ersten Arbeitskräfte wurden aus Einheimischen zusammengestellt... Später wurden dann Areitskräfte „herangeführt“. Das geschah in der Weise, daß auf den schwarzen Märkten der Großstädte Razzien durchgeführt wurden. Von der sowjetischen Militärpolizei, versteht sich. Die Aufgegriffenen wurden ohne viel Umstände in Lastwagen oder auf Güterzüge verladen und nach Schneeberg, später nach Schlema gebracht. Notdürftige Bergarbeiterunterkünfte entstanden, die Familien aus Schneeberg und Umgebung wurden vom sogenannten „Quartieramt“ verpflichtet, einen „Bergmann“ aufzunehmen. Was erschienen da nicht alles für Berufe! Friseure und Bäcker, Fleischer und Ungelernte. Alle wurden sie gezwungen, einzufahren und sich plötzlich als „Bergmann“ zu betätigen.
Wichtig war, daß Uran gefördert wurde. Und es wurde gefördert. Um jeden Preis. Sowjetische... Spezialistinnen fanden mit ihren Geigerzählern überall das Zeug heraus, was ihnen den Spitznamen „Uranhexen“ und „Atomhexen“ einbrachte. Zum Raubbau kam noch das russische Sicherheitssystem. Jeder wurde am Schachteingang... kontrolliert. Wenn der Geigerzähler ausschlug ..., hieß es „Soi — Zurück“ ... das aufgepflanzte Bajonett regierte bis in die 50er Jahre hinein.
In den Bergarbeiterunterkünften herrschten katastrophale Zustände. Es mangelte an allem. Am schlimmsten waren wohl die sanitären Einrichtungen. Die verseuchten Klamotten mußten mit in die Unterkünfte genommen werden, zum Trocknen. Gummistiefel und Karbidlampen desgleichen.
Auszüge aus dem Erlebnisbericht eines Wismut-Beschäftigten, der bis heute bei dem Unternehmen arbeitet.
„Im Lampenlicht sah das alles wie Mehl aus“
Die Einwohner bekamen eine Kennkarte ... Da kam ein Sonderstempel rein, daß sie hier wohnen und das Gebiet passieren dürfen. Und die Wismut-Angehörigen, denen wurde diese Kennkarte weggenommen. Die bekamen dann einen Extra-Ausweis der Wismut ... Also, etwa nach Berlin fahren, ohne Kennkarte und nur mit dem Personalausweis der Wismut, das war bei einer Razzia im Zug schon sehr verfänglich.
Wir haben damals absolut trocken gebohrt ... das war vor Ort alles ein Gesteinsstaub, hellgrau, im Lampenlicht sah das alles wie Mehl aus. Als ob sie in einer Getreidemühle arbeiteten, so sind sie ausgefahren... Und es hat lange gedauert, bis die Leute begriffen haben, daß sie mit dem Naßbohren zwar größere Schwierigkeiten haben, aber eben gesundheitlich weit größere Vorteile ... Anfangs kamen sie aus der Grube wie die Müller und später kamen sie dann eben raus von oben bis unten mit Schlamm besudelt. Anfangs waren ja bei der Wismut keine Bade- und Duschgelegenheiten, also im Eimer waschen, wo man ein bißchen Wasser fand. Die sind so dreckig, wie sie waren, mit ihren Sachen ins Quartier gefahren oder in der Bahn ... Diese Schichtzüge, wie wir sie nannten, da waren nur Dreckschweine drin, und die haben das natürlich überall hingeschleppt ...
Aus einem Interview mit dem ehemaligen Wismut-Bergmann K.M. Seine Frau brachte 1961 ein schwerbehindertes Mädchen zur Welt.
„Da waren Bretterzäune, Posten mit Hunden...“
Uns hat man gesagt, es geht um den Frieden, um den Erhalt des Friedens. Es hieß immer, wir arbeiten für den Frieden ... Ich kenn viele, die schon '48, '49 eingefahren sind, die leben heute nicht mehr. Gesundheit und Arbeitsschutz spielen keine Rolle. Wichtig war das Erz...
Dann gab's die sogenannten Schnapstalons, das war akzisefreier Schnaps. Für hohe Planerfüllung gab's das. Sechs Liter waren das höchste. Und wer da gerne einen getrunken hat, der hat sich darüber gefreut.
Die Bewachung, das war wie im KZ. Da waren Türme um die Schächte, Bretterzäune, Posten mit Hunden. Jeder Bergmann mußte bei den Posten durch... Die Kontrolle war stark, der Bergmann war immer unter Bewachung.
Aus einem Interview mit dem ehemaligen Wismut-Bergmann K.-H.M..
„Zwei Drittel meiner Gleichaltrigen sind tot“
Ich hab' bei der Wismut '53 angefangen, im September. Sie brachten uns russische Maschinen. Die liefen zwar schnell, aber haben den Körper kaputtgemacht. Was die Russen uns brachten, war ja Steinzeit. Die Maschinen gingen auf den Körper und haben die Knochen zerschlagen. Jetzt hab' ich eben 25 Prozent Preßluftschaden und 30 Prozent Silikose. Das bleibt nicht aus, da kann der Schacht heißen, wie er will. Die Staubentwicklung hier beim Erzbergbau, die ist einfach da... Deshalb hab' ich auch viele gesehen, die verzweifelt waren. Zwei Drittel meiner Gleichaltrigen sind tot. Mein Freund, der war viel vor Erz, und er hat eben auch Lungenkrebs.
Die Wismut hat die Szenerie bestimmt hier. Zum Beispiel die Straße von Aue nach Alberoda zum Schacht. Dort hat man Armerz weggefahren. Und man war so liderlich, da ist das Erz übern Wagen gerollt, hat sich in den Rädern verfangen, und dann war plötzlich die ganze Straße radioaktiv. Und da ist ja Staub entstanden, im Sommer, den haben die Kinder eingeatmet. Man wird sich später mal wundern, daß die die Wismut-Krankheit haben, und die war'n überhaupt nicht im Schacht... In Schlema, da war, wenn's geregnet hat, der Erzschlamm auf der Straße. Und wenn die Sonne war, der Staub. Das war, wie es anfing, so wie im Wilden Westen. So ungefähr hat das ausgesehen. Ein Dreck. Die Menschen, die dazwischen gewohnt haben, die wurden ja nicht umgesiedelt. Erst dann, wenn sie merkten, daß der Boden wacklig wurde und die Häuser in Gefahr waren.
Auch alle Sportanlagen in der Gegend, die sind von der Wismut gebaut und unterhalten worden. Die Wismut hat sich auch überall umgeguckt, wo Spielermaterial war, und die besten sind zu Wismut-Aue geholt worden, dem Oberligaverein... Das war ein Staat im Staate, die Wismut. Ich kannte auch verschiedene, die bei der Staatssicherheit waren. Ich hatte mal Nachtschicht, und des nachts waren die rege bei den Personalakten zugange, das hab' ich mitgekriegt. Das System war in der Hinsicht bis aufs Kleinste ausgebaut.
Sie haben den Menschen Arbeit gegeben, sie haben aber auch großes Elend angerichtet und eine Wüste hinterlassen.
Aus einem Interview mit dem Wismut-Bergmann H.F..
„Da kostet die Fuhre nicht viel“
In den 50er Jahren mußte ich zu'ner Reihenuntersuchung, wo man mich erst mal dabehalten hat mit 'ner argen Schädigung der Lunge, wie mir gesagt wurde. Einmal ist mir beim Ausfahren schwarz geworden vor Schwäche. Man hat mich aus der Förderschale rausgetragen und auf eine Bank legen müssen, bis ich wieder zu mir kam. Der Betriebsarzt sagte mir, na Kamerad W., bestialische Grippe, aber kommen Sie mal jeden Tag runter zu mir, ordentlich schwitzen, das packen wir schon. Dann kam der Röntgenzug, die stellten den Schatten auf der Lunge fest.
Obwohl die Voraussetzungen zunächst unzureichend waren, hat man Ende der 50er, 60er Jahre angefangen mit Schulungen über Sicherheitsmaßnahmen. Man hat Hinweise veröffentlicht über gesundheitsgefährdende Einflüsse, es wurden Staubmasken verordnet, aber das ist oft vom Personal nicht befolgt worden, weil das die Atmung behinderte ... Den Leuten, die aufgrund ihrer Funktion mit stärkerer Strahlung zu tun hatten im Berg, denen wurden laufend Dosimeter ausgehändigt. Das wurde auch kontrolliert und eingetragen. Nur die Ergebnisse, die wurden uns natürlich nicht bekanntgegeben, die hat nur die Leitung in die Finger bekommen.
Es wurde vor allem im letzten Jahrzehnt damit begonnen, überall Frühstücksstuben einzurichten. Es mußten saubere Handtücher dort hängen, Seife und Hautschutzcreme mußte vorhanden sein. Bei Kontrollen stellten wir oft fest, die Handtücher waren schmutzig geworden, die waren steif geworden.
Das Haldenmaterial durfte eigentlich nur für die Aufschüttung von Straßen und Wegen verwendet werden, außerhalb geschlossener Ortschaften. Die Praxis sah leider etwas anders aus. Da wurde es eben mal fürn Gartenweg verwendet, fürn Garagenbau, fürs eigene Haus. Nach dem Motto: Ich hab 'n Fahrer hier, da holt man mal Haldenschotter, da kostet die Fuhre nicht viel, und das bißchen Stahlung, das ist weiter nichts. Dann gab es ein schreckliches Erwachen, als man hörte, daß die Neubauten radioaktiv sind...
Aus einem Interview mit L.W., früher Bergmann, später im Wismut- Gesundheitswesen beschäftigt.
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