: Die Rezession frißt ihre Kinder
Die Haushaltskrise, eine Erbe der „Reagonomics“, erfaßt nun auch Amerikas Bundesstaaten und die Kommunen Denen bleibt jetzt nur zweierlei übrig: Entweder die Steuern erhöhen oder die Sozialausgaben kürzen ■ Aus Washington Rolf Paasch
Genau zehn Jahre nach dem Beginn der Reagan- Revolution werden deren negativen Auswirkungen nun auch für den amerikanischen Normalbürger erfahrbar. Was sich bisher nur in entfernten Washingtoner Regierungsskandalen oder einem für die meisten abstrakten nationalen Haushaltsdefizit offenbarte, manifestiert sich nun in der eigenen Nachbarschaft. Nach der Überantwortung zahlreicher Sozialleistungen an die Bundesstaaten in den 80er Jahren ist die amerikanische Haushaltskrise auf der regionalen und kommunalen — und damit für die Bürger schmerzhaftestes — Ebene angelangt.
Eine Woche nach dem Beginn ihres Haushaltsjahres haben zehn US-Bundesstaaten noch kein Budget verabschiedet. In Connecticut und Maine sind seit Ende letzter Woche alle nicht unverzichtbaren Dienstleistungsbehörden geschlossen. In Pennsylvania marschierten Hunderte von Staatsangestellten vor das Kapitol ihrer Bundeshauptstadt und forderten lautstark den Erhalt ihrer ausstehenden Gehälter ein. Und in Kalifornien wird erst einmal provisorisch weiterregiert, ehe die Verwaltung des Sonnenstaates angesichts eines Haushaltsdefizits von 14,3 Milliarden Dollar am 15. Juli wohl endgültig dichtmachen wird.
Einige Städte haben die schwerste Haushaltskrise in diesem Jahrzehnt auf ihre Weise gelöst. In New York wurde bei der Aushandlung des Budgetkompromisses die Ausschaltung jeder vierte Straßenlaterne diskutiert, damit die Lichter der krisenerprobten Metropolis nicht ganz ausgehen. In Bridgeport, Connecticut, erklärte der Bürgermeister dagegen offiziell den Bankrott seiner Stadt, um die Gewerkschaften doch noch zur Neuverhandlung ihrer gültigen Tarifverträge zu zwingen.
Die Gouverneure und Gesetzgeber der Bundesstaaten sind in diesen Tagen wirklich nicht zu beneiden. Die sich in der Rezession öffnende Kluft zwischen Steuereinnahmen und Ausgaben für Sozialprogramme läßt ihnen nur die Wahl zwischen zwei unpopulären Optionen: Steuererhöhungen oder Kürzungen bei den Sozialleistungen.
Zu den Boom-Zeiten Ronald Reagans war die Haushaltspolitik da viel einfacher. Das Geld, das man in Washington nicht hatte, borgte man sich einfach auf den internationalen Kreditmärkten. Und die Sozialausgaben, die man auf Bundesebene scheute, wurden geschickt den Bundesstaaten und Städten übertragen.
Angesichts des resultierenden Haushaltsdefizits des Bundes sahen sich Bush-Administration und Kongreß im letzten Jahr zu einem fünfjährigen Budgetabkommen genötigt, das mittlerweile zur Paralyse der Politik geführt hat. Sämtliche Neuausgaben müssen in zukünftigen Staatshaushalten durch entsprechende Kürzung anderer Etatposten ausgeglichen werden. Eine Erhöhung der von Washington bestrittenen Sozialausgaben ist damit illusorisch geworden und wurde von den Demokraten in dieser Rezession nicht einmal mehr gefordert.
In diesem Jahr ergibt sich nun ein entsprechender Handlungszwang auf der Ebene der Bundesstaaten. Konnten diese die ihnen zugewiesenen Sozialausgaben bei steigenden Steuereinnahmen bisher gerade noch bewältigen, so hat die erste Rezession seit 1982 nun tiefe Löcher in ihren Kassen hinterlassen. Und im Gegensatz zur Regierung in Washington müssen die Gouverneure in ihren Staaten ein ausgeglichenes Budget vorlegen.
Vor allem der Einbruch der Verbrauchernachfrage in den letzten zwölf Monaten hat von der Verkaufssteuer abhängigen Bundesstaaten jetzt in finanzielle Schwierigkeiten gebracht. Den Kommunen fehlen die nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes ebenfalls drastisch zurückgehenden Einkünfte aus der Grundstücksteuer.
Die Ausgaben für Erziehung, Strafvollzug und Gesundheitsprogramme, die zwei Drittel aller bundesstaatlichen Ausgaben ausmachen, sind dagegen weiter gestiegen. Allein die Kosten für „Medicaid“, das Hilfsprogramm für die Bedürftigsten unter den 37 Millionen nicht krankenversicherten US-Bürger, sind im letzten Jahr um 25 Prozent in die Höhe geschnellt.
Noch vor sechs Monaten hatten die Gouverneure über die vermeintlich selbstmörderischen Politik ihres Kollegen Florio in New Jersey gelächelt, der nach den von ihm verfügten Steuererhöhungen ein Popularitätstief durchmachte. Jetzt dagegen hat Gouverneur Weicker in Connecticut in seiner budgetären Verzweiflung sogar die Einführung einer neuen lokalen Einkommensteuer vorgeschlagen, deren Ablehnung durch das Parlament in dieser Woche zur Blockade des neuen Haushalts geführt hat.
Doch egal wie sich Gouverneure, Politiker und Bürgermeister winden; ohne die gleichzeitige Einführung von Steuererleichterungen und Kürzungen bei den Dienstleistungen wird kaum eines der überfälligen Budgets ins Gleichgewicht zu bringen sein. Nachdem George Bush im letzten Jahr seinen Steuerschwur der „No new taxes“ aus dem Wahlkampf brechen mußte, sind nun auch auf lokaler Ebene die schmerzlosen Zeiten des Illusionskünstlers Ronald Reagan vorbei.
Doch nicht nur für den Einzelnen, auch für die gesamte Volkswirtschaft dürfte eine restriktive Haushaltspolitik der Bundesstaaten und Kommunen äußerst schädlich sein. In einer Zeit, in der der Staat mit zusätzlichen Ausgaben eigentlich zur Überwindung der Rezession beitragen sollte, könnten die diskutierten Steuererhöhungen und Ausgabekürzungen in diesem Jahr bis zu 45 Milliarden Dollar aus der Volkswirtschaft abschöpfen. Genug, so befürchten einige Wirtschaftsexperten, um die sich andeutende wirtschaftliche Erholung in einen neuen Konjunktureinbruch zu verwandeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen