: Den Rhein runter
Interview mit Peter Hein von den „Fehlfarben“ über die letzten zehn Jahre ■ Von Claudia Wahjudi
Claudia Wahjudi: Was stellte für dich den Anlaß dar, mit Fehlfarben zehn Jahre nach Eurer Auflösung wieder eine Platte aufzunehmen und im August auch gemeinsam aufzutreten?
Peter Hein: Ich habe mich breitschlagen lassen. Das heißt, so viel Überredungskunst hat es nicht gebraucht. Das hat von mir selber Überredungskunst gebraucht.
War auch bei dir das Telefonat von dem „Wahren Heino“ ausschlaggebend, der Euch 1989 zum „Tanz in den Mai“ ins Berliner Tempodrom einladen wollte?
Ich hab gleich gesagt, wenn die anderen mitmachen, na klar! Das war ja nur 'ne Sauferei. Aber jetzt bei der Platte habe ich mir schon ein paar Wochen Krampf geliefert. Die Bedingung bei der Plattenfirma war, daß wir erst einmal probieren können, ohne selber dafür bezahlen zu müssen. Es hätte ja auch sein können, daß wir beim ersten Treffen irgendwo am Biertisch sagen: „Ey, du gehst mir tierisch auf den Keks!“
Du bist damals als erster von allen Fehlfarben-Mitgliedern gegangen.
Weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, morgen eine Tournee zu machen, von der ich nichts wußte. Also so ungefähr: wo vorher von einer Woche die Rede war, kamen dann vierzig Tage bei raus. Zwei Jahre lang hab ich dann nichts gemacht, Family Five kamen erst zwei, drei Jahre später.
Family Five gibt es seit 1983. Jetzt seid ihr immer noch dabei, wie auf dem neuen Düsseldorfer Sampler von Metrop „Daheim und unterwegs“.
(grinst) Kenn ich nicht. Ist das ein Bootleg?
Family Five war seitdem deine einzige Band?
Zwischenzeitlich hab ich mal was mit Camp Sophisto gemacht. Die Arbeit ist dieselbe: Mittagspause, Fehlfarben, Family Five.
Was hälst du von den Platten, die Fehlfarben danach ohne dich gemacht haben?
Die zweite fand ich immer doof — „33 Tage in Ketten“. Die dritte fand ich eigentlich okay, mit 'nem hübschen Repertoire: 'ne gute Platte für 'ne Band, die man mal gekannt hat. Es geht ja nicht die Welt unter, wenn einer weggeht. Ich habe die Band weder gegründet noch juristisch Rechte erworben! Vier von fünf waren noch übrig.
Am „Tag der deutschen Einheit“ 1981, in der Philipshalle, sind Fehlfarben zum ersten Mal ohne dich aufgetreten. Da flogen Senfgläser auf die Bühne.
Senf auf Uwe Jahnkes weißes Hemd: Natürlich ist der Sänger etwas Besonderes, sonst wär' ich keiner.
Wie kam nun der Titel eurer neuen Platte zustande?
Von „Platz“ zu „Platte“ — das Wortspiel ist billig genug für uns. Das entspricht unserem Niveau, damit kann man arbeiten.
Man könnte ihn aber auch als Programm verstehen: Zeitbezogenheit ...
Die „neueste Terroridee des verrückten Oberst“. Das ist ein LP-Titel von Family Five. Alles dasselbe. Für mich gibt es keinen Bruch. Das ist das Problem der Leute, die nicht mitbekommen haben, daß ich zehn Jahre lang nicht abgetreten bin. Deshalb — natürlich zeitbezogen.
„In Zeiten wie diesen“ — was für Zeiten sind das?
Diese. Jetzt. Draußen. Pißwetter. Klimakatastrophe hat sich nicht eingestellt. Wir wissen doch, daß das alles Lüge ist.
Auf „Monarchie und Alltag“ gehen Privatheit, Alltag und Politik eine Verbindung ein, auf der „Platte des himmlischen Friedens“ dagegen ist diese Mischung verloren gegangen.
Das finde ich nicht, das ist noch da. Für mich ist das dasselbe, all die letzten zehn Jahre: Family Five, Camp Sophisto, überall, wo ich die Texte gemacht habe. „Das politische Liebeslied“ und „Der lyrische Protestsong“ habe ich gemacht, mehr nicht.
Die Zeiten haben sich geändert.
Nein, aber die Art wie ich da ran gehe. Meistens, dadurch, daß ein Stück da ist, das betextet werden will. Dann geht es dem Stück meistens ein paar Wochen lang unheimlich beschissen, weil es nämlich nicht betextet wird. Weil ich nichts zu sagen habe. Dann geht es mir irgendwann zum Kotzen, und dann kann ich mich daran machen und schreib' so ein Gedicht, mal gucken ob's paßt. Meist paßt es mehr oder weniger.
Wo ist die Aggressivität von damals hin?
Zehn Jahre den Rhein runtergeschwommen. Ich will nicht so eindeutig angreifende Stücke machen. Letztendlich will ich Leute traurig machen.
Mit all den gescheiterten Beziehungen wie auf der neuen Platte?
Das ist eine einzige! Nur immer wieder anders verbraten. Es ist ja nicht so, daß ich permanent irgendwelche Geschichten hätte und permanent verlassen würde.
Von der Kindheit stellst du auch nur noch fest, daß sie eine „beschis
sene Zeit“ war. Es bleibt nicht einmal der Rückzug in das Damals.
Das ist Absicht. Das ist auch aggressiv gemeint: gegen einige Leute, die sich so berufskindisch aufführen hier. Vor ein paar Jahren machten hier alle auf „Früher bei uns auf dem Spielplatz“. Ich kann das nicht nachvollziehen. Ich fand's auf dem Spielplatz immer beschissen. Genau wie in der Schule. Und wenn ich bei der Bundeswehr gewesen wäre, hätte ich das wahrscheinlich auch beschissen gefunden. Die einzige Kriegserinnerung, der ich gerne nachhänge, ist die Punkrock-Kriegserinnerung. Und eigentlich war das wohl auch beschissen.
Andererseits krieg' ich selber permanent vorgehalten: du lebst ja nur früher! Ich habe keine Ahnung, was die Youngster jetzt für Platten hören. Egal, was ich höre, ist alles Scheiße. Deshalb kaufe ich nur Sachen, wo ich weiß, daß die gut sind, weil ich sie kenne. Und hör' mir Zeug von vor 30 Jahren an. Und wenn dann Leute kommen und sagen, ja, das ist doch so ewig gestrig, du lebst immer in der Vergangenheit: Das ist eben nicht so. Denn die Vergangenheit war natürlich beschissen.
Bleibt noch der Rückzug aus der Stadt. „Monarchie und Alltag“ war Musik für Stadte, keine Musik, die du auf dem Land hören konntest. Jetzt heißt es bei euch „Abseits der Stadt“ ...
Sagen wir mal so: Die klassischen Städte sind einfach für den Arsch, für Musiker zum Spielen. Konzerte im Hamburg, in Berlin, Konzerte in München — alles für'n Arsch, macht keinen Spaß. Außerdem weiß ich gar nicht, was wir damit meinen. Das hat Thomas geschrieben.
Ihr wart alle in einer Stadt, die einmal musikalisches Zentrum Deutschlands war ...
Das ist aber kein Zentrum mehr, das ist alles den Bach runter. Der Bach hier ist breit genug, der kann alles wegschwemmen. Das ist einer
der breitesten Bäche in ganz Europa. Düsseldorf hat musikalisch überhaupt nichts mehr zu melden.
Was mir so Kummer bereitet hat, ist, daß die ganzen guten jungen Bands so im Sande verlaufen sind wie Stunde X. Die sind alle an den Toten Hosen gescheitert, weil die so übermächtig waren.
Es ist wahrscheinlich so: Das ganz normale Programm Älterwerden ... Natürlich sind wir früher rumgerannt und haben Syph-Lieder geschrien: „Zurück zum Beton“ und „Ich glaub, ich träume, überall Bäume / ich irre durch Wälder überall / ich merk auf einmal / ich werd hier / zum Scheißtier“. Dieses Verteufelungsprogramm läßt sich aber nicht so lange aufrechterhalten. Ich kann nicht zehn Jahre lang ... Natürlich renn' ich immer noch rum und sag': Alles ist Scheiße. Ist ja auch alles Scheiße. Aber doch wird alles anders.
Mit „Verschenkt“ macht ihr auch anderen den Vorwurf, sie rennen nach zehn Jahren so rum, als ob nichts passiert sei.
Das ist ganz anders gemeint. Das ist unser Statement zu den Austritten aus der Sicht der Austrittsgebiete den 40 alten Bezirken gegenüber. Wir wohnen hier im Austrittsgebiet: Das „Freie Rheinland“ meldet sich zu Wort.
Wenn sich aber davon andere getroffen fühlen, umso besser! 80/81 war so eine widerliche Zeit: Das ganze Umfeld war totale Scheiße. Ich hatte keinen Draht zu Fehlfarben. Die drei Jahre vorher dagegen verkläre ich einfach. Als Fehlfarben haben wir uns ja auch so unbeliebt gemacht, weil es immer hieß: Ja, vor zwei Jahren, da gab's noch gute Musik! Wir waren jedoch nur für einen kleinen Kreis da, und wir sind immer noch nur für einen kleinen Kreis da. Popstar zu werden, war nie mein Berufswunsch — den Eignungstest beim Arbeitsamt habe ich nicht bestanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen