: Mozart & Kuh
■ Ein bescheidener, aber überfälliger Beitrag zum Mozart-Jahr
Dieser Beitrag zum Mozart-Jahr kommt spät — die meisten 200.Wiederkehren eines mozartlichen Sterbe- oder sonstigen Japsers liegen, M. sei Dank, hinter uns —, ist aber von so grundlegender Bedeutung, daß er diese über den 31.Dezember 1991 hinaus behalten wird. Wenn nicht, um so schlimmer für die Welt.
Bei „Mozart & Kuh“ handelt es sich nicht um den Namen eines neuen Wiener Lokals nach dem bewährten Schema „Eigenname & Tier“, sondern um eines der wichtigsten kulturkritischen Klischees unserer Zeit.
M., der „überschätzteste Komponist überhaupt“ (Peter Kubelka, seinerseits der überschätzteste Filmemacher), verhilft bekanntlich, wenn man ihn Kühen vorspielt, diesen zu erhöhter Milchproduktion, wohingegen die Berieselung mit Webern oder Coltrane zu unerwünschter Entstehung von Sauermilch oder Cottage Cheese direkt im Euter führt, was wiederum Schwierigkeiten bei der Entnahme hervorruft (man beachte die meist unregelmäßige und überhaupt fragwürdige Konsistenz beider genannten Produkte).
Dieses Experiment hat angeblich irgendwann irgendwer angestellt; seither geistert es in Form einer „modernen Sage“ durch Schrifttum und mehr oder weniger kluge Gasthausgespräche. Ein zeitgenössischer Schriftsteller hat es mit jungen Wildschweinen wiederholt, die sich seinem Ferienhaus genähert hatten und bei M.schen Sphärenklängen nicht, bei üblichem Radioprogramm jedoch sofort die Flucht ergriffen haben sollen.
Was das Experiment an ästhetischer Theorie enthält, ist so schlagend und brisant (es zerschlägt mit einem Hieb die ganze moderne Kunst), daß es nie explizit hinzugefügt wird, weswegen ich mir erlauben möchte, darüber ein wenig zu extemporieren.
Die Kuh (respektive das Wildschwein, zumindest das junge, unverbildete) ist eine Art Mensch, die Wirkung von Kunst oder, allgemeiner, Ästhetik manifestiert sich im Milchgeben (oder zumindest Nichtfortlaufenwollen), Mozart, also die höchste Form der Kunst, ist eine Art Natur, die uns unwillkürlich zum Milchgeben veranlaßt (für Zweibeiner etwa: seine Arbeitsbedingungen, wie widerwärtig sie auch sein mögen, human finden und leisten, was das Zeug hält), und der Mensch, folgere ich weiter, der zu seiner Bestimmung steht, ist eine Art Kuh, allenfalls entmenscht, das heißt, entkuht, wenn er zum Beispiel Mozart für flach, zumindest durch zu vieles Gespieltwerden ausgehöhlt und dafür Strawinsky oder Albert Ayler für interessant hält — oder das, was unsere Eltern, je nach Milieu neben Strawinsky und Ayler oder im Gegensatz dazu, als „Urwaldmusik“ bezeichnet haben, um uns damit auf den rechten Weg zurückzuführen, meist vergeblich.
Nun wäre also die Aufgabe der Kunst, die von der Natur vorgeschriebenen Grenzen niemals zu überschreiten, indem sie, was ebenfalls das ursprüngliche Experiment impliziert, stets die präexistenten Harmonien zum Klingen bringt, damit — wir mehr Milch geben.
Nun ist aber schon die Kuh ein Kunstprodukt des Menschen, also eine Art Metakuh oder, wenn der Mensch den ersten Grad des Sich-von-der-Natur-entfernt-Habens darstellt, ein Kunstprodukt zweiten Grades, die Kunst als etwas Immaterielles drittrangig. Nun ist aber schon die Natur eine Erfindung des Menschen, den in seiner Gesamtheit wie in seinen hervorragenden (theoretisierenden) Vertretern diese ganze metaebenenmäßige Verschachtelung, die einem selbst nach flüchtigem Nachdenken immer wieder dämmert, so nervös macht, selbst wenn man Gott und derartige Imponderabilien gar nicht ins Spiel bringt, daß man sich in dieser abominablen Reflektiertheit nach etwas Einfachem sehnt, woran man sich endlich halten und fallweise aufrichten kann. Womit wir wieder bei Mozart & Kuh wären. Walter Klier
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