Vollzeitaktivismus: Ganz da sein für die Sache

Mit einem Patenschaftsmodell ermöglicht die Bewegungsstiftung einer Reihe von Aktivist*innen, sich von der Lohnarbeit unabhängig zu machen.

Aktivismus: Nicht länger Spielzeug der großen Player sein Bild: Mika Baumeister/Unsplash

Ein Gastbeitrag von PAULA TILLY

Ich bin Bewegungsarbeiterin. Klingt immer gut für mich; komisch, dass so ein Titel immer direkt Selbstvertrauen gibt. Aber was heißt das, Bewegungsarbeiterin?

Ich arbeite in der linken Bewegung – wie viele andere auch. Mit dem Unterschied, dass ich mich dafür entschieden habe, das in Vollzeit zu tun, mit meiner ganzen Energie nur noch an politischen Projekten in der Bewegung zu arbeiten. Natürlich, um langfristig radikale Systemveränderungen auf den Weg zu bringen (das ist eine der neuen Umschreibungen für das Wort Revolution, das man ja bekanntlich nicht mehr benutzen darf).

In der Praxis heißt das, dass ich einen Großteil meiner Zeit damit verbringe, mich in Bewegungskontexten zu bewegen, zu gucken, was fehlt, und meine Energie da einzusetzen, wo ich die Bewegung stärken kann. Und im Idealfall ziehe ich dann an genau der Stelle mit Mitstreitenden Projekte hoch.

Ein aktuelles Beispiel von mir ist das Projekt „Skills for Utopia“, ein Bildungsnetzwerk für Aktivist*innen. Es ist vor etwa einem Jahr geboren, als ich in Diskussionen mit anderen Menschen feststellte, dass es viele hochmotivierte Aktivist*innen gibt, die sich gerade zusammenfinden. Und, dass es von vielen Seiten das Bedürfnis gibt, Fähigkeiten zu erlernen um sich gut zu organisieren und wirkungsvolle Aktionen zu entwickeln – zum Beispiel durch eine gemeinsam entwickelte Strategie und gute Pressearbeit.

Vollzeitenergie, um die Bewegung zu unterstützen

Ich habe daraufhin mit Mitstreitenden und professionellen Referent*innen, beispielsweise Medienschaffenden und Hacker*innen, Workshops zu verschiedenen Themen spezifisch für Aktivist*innen entwickelt. Mittlerweile sind rund 30 Referent*innen in unserem Netzwerk. Wir organisieren Räume, Equipment und finanzielle Mittel und Aktivist*innen fragen das Netzwerk für Workshops für ihre Gruppe an. Jetzt, da das Projekt einigermaßen auf eigenen Füßen steht und anfängt zu laufen, habe ich wieder einige Zeit frei und plane mit Menschen ein weiteres Projekt, dieses Mal zu mehr Datensicherheit für Aktivist*innen.

Ich setze als Bewegungsarbeiterin also dort an, wo die Bewegung gestärkt werden kann und habe die schöne Freiheit, meine ganze Energie zu nutzen, um die Bewegung zu unterstützen. Das machen Bewegungsarbeiter*innen alle auf ihre eigene Art und Weise. Einige stärken bestehende Projekte und Kampagnen, andere ziehen eigene Projekte hoch, und wieder andere machen vor allem direkte Aktionen. Aber wir alle haben das Privileg, unsere gesamte Kraft für die Bewegung einsetzen zu können.

Das Konzept der „Bewegungsarbeiter*innen“ hat sich die Bewegungsstiftung ausgedacht. Unter der Prämisse, dass es sinnvoll ist, wenn einige (am besten natürlich viele!) Menschen ihrem Aktivismus nicht nur nach der Arbeit, wenn noch Kraft da ist, nachgehen, unterstützt die Stiftung uns in unserem „Vollzeit-Aktivismus“. Nicht durch direkte finanzielle Mittel, sondern durch die Unterstützung im Aufbauen eines Pat*innenkreises.

Das heißt, dass die Bewegungsstiftung mich als Aktivistin auf ihrer Website vorstellt, Werbematerialien für mich bastelt und regelmäßig in Newslettern von meiner Arbeit berichtet – damit Menschen, die davon erfahren, und meine Arbeit gut finden, mich finanziell unterstützen können. Das sind dann meine „Pat*innen“. Den Geldbetrag überlegen sich Pat*innen selber – einige meiner Pat*innen spenden mir zehn Euro, andere mehr. Darüber hinaus gibt es einen Austausch zwischen Pat*innen und Bewegungsarbeiter*innen: Ich erzähle meinen Pat*innen regelmäßig, was für Projekte ich anstoße und öfters bekomme ich Antwort von ihnen, Feedback, oder einfach ein kleines „Weiter so!“.

Unterstützung im Rücken

Das Bewegungsarbeiter*innen-Modell hilft mir einerseits, finanziell über die Runden zu kommen, ohne viel Lohnarbeit zu machen. Andererseits gibt es mir ein sehr bestärkendes Gefühl – das Gefühl, mit meinen eigenen Ideen nicht allein zu sein, sondern Menschen im Rücken zu haben, die mich in meiner Arbeit auch ideell unterstützen. 

Die Bewegungsstiftung wird getragen von rund 200 Stifter*innen, die Protestbewegungen stärken und damit grundlegenden sozialen Wandel anstoßen wollen. . Sie haben bisher ein Stiftungskapital von sieben Millionen Euro eingebracht. Die Stiftung legt dieses Vermögen ethisch-nachhaltig an. Aus Erträgen des angelegten Stiftungskapitals und zusätzlichen Spenden stehen jährlich rund 450.000 Euro für Förderung und Beratung zur Verfügung. Gefördert werden zum Beispiel die „Seebrücke“-Bewegung, die sich für zivile Seenotrettung einsetzt oder das „Project Shelter“, das Perspektiven für obdachlose Geflüchtete entwickelt.

Besonders an der Stiftung ist ihre demokratische Organisationsstruktur. Stifter*innen, Aktive aus den geförderten Projekte und erfahrene Personen aus sozialen Bewegungen entscheiden gemeinsam, welche Projekte gefördert werden. Außerdem organisiert die Stiftung Zusammenkünfte verschiedener Bewegungsakteure, bei denen Strategie und Zukunft der sozialen Bewegungen kritisch diskutiert werden.

Die Stiftung ist also mehr als ein Geldtopf. Sie ist auch eine Struktur, die zum Ideenschmieden, zu kritischem Austausch und gegenseitigem Unterstützen anstiftet. Auch wenn man kein Geld zu verschenken hat, lohnt es sich, auf der Website vorbeizuschauen, in die Podcasts reinzuhören oder sich in den Newsletter einzutragen. Mit diesem diskreten Werbeblog verabschiede ich mich, und gehe zur nächsten Aktion.

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