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Die Chancengleichheit wird mit untergepflügt

»Westbauer« Scherhag kam nicht nur der Idylle wegen mit seinem Wohnwagen nach Altreetz/ »Ostbauer« Daue spuckt hingegen Galle auf das Anpassungsgesetz/ Er weigert sich, nur einen Fußbreit von »seinen« 5.000 Hektar abzugeben  ■ Von Irina Grabowski

Von den ersten Sonnenstrahlen erleuchtet steigt der Morgennebel in bizarren Schwaden aus den Niederungen auf. Die mächtigen Weiden am Oderdamm wiegen sich im Wind. Und während der Fischreiher zum ersten Beutezug ausfliegt, haben die Bauern schon längst die Federbetten gelüftet und das Vieh versorgt.

Nicht dieser trügerischen Idylle wegen hat Paul Scherhag seinen Hof in Rüber am Rhein verlassen. Die Zukunft der Landwirtschaft liegt im Osten, raunen sich die Landwirte westwärts der Elbe zu.

Ohne lange zu zögern ist Bauer Scherhag mit seinem Wohnwagen nach Altreetz gekommen und hat auf einen Schlag 1.000 Hektar Land im Oderbruch gepachtet. Einen Helfer hat er sich auch organisiert, einen einheimischen Bauern, den er unter Vertrag genommen hat. So schuften sie 16 bis 18 Stunden am Tag. Mit modernem Gerät pflügen, furchen, dreschen sie, während auf den Nachbarfeldern alte Trecker über die Äcker tuckern.

Eben nicht nur Schlepper fahren...

Die meisten Menschen hier, meint der »Westbauer«, hätten nicht den Mut, das Risiko einer eigenen Wirtschaft einzugehen. »Das sind keine Bauern, sondern Arbeiter.« Ein richtiger Bauer müsse eben nicht nur Schlepper fahren oder Kühe mästen, sondern eben alles können.

Wilfried Daue geht bei solchen Reden der Hut hoch. Er ist Chef der ehemaligen Pflanzenproduktionsgenossenschaft »Oderbruch« in Neulewin und mithin eifrig bemüht, diese als GmbH aus dem Sumpf zu führen. In einem ist er sich mit Scherhag einig: Wenn Landwirtschaftsminister Kiechle die Familienwirtschaft mit 30 Hektar Land und 40 Kühen lobt und die industriemäßige Produktion verpönt, dann sei das Unfug. Gegen die EG-Quoten und Kellerpreise hilft hüben wie drüben nur Masse.

Scherhag verbindet damit gute Wünsche an seine Nachbarn im Rheinland. Dem hat er seine 100 Hektar verpachtet, um gen Osten zu ziehen. Immerhin, so rühmt er sich, sei damit eine Wirtschaft vor dem fortschleichenden Exotus gerettet worden.

Daue dagegen spuckt Galle gegen das Anpassungsgesetz. Das empfiehlt, die nach Tier und Pflanze getrennten Agrar-Giganten der Ex- DDR aufzulösen und dann in kleinen Einheiten wieder zusammenzufügen. Daue denkt nicht daran, nur einen Fuß breit von »seinen« 5.000 Hektar abzugeben. Die Wiedereinrichter aus den Nachbardörfern empfindet Daue dabei als natürliche Konkurrenten. Dem »Wessi« aber würde er das »Wildern« in aufgelösten Genossenschaften am liebsten verbieten und sie vom »Boden unserer Väter« vertreiben.

Scherhag hat die Einheimischen nicht gezwungen, ihr Land an ihn zu verpachten. Wie ihm der große Wurf gelungen ist — sogar kaufen konnte er einen Teil des Bodens — darüber verliert er kein Wort. Zu Hilfe kamen ihm möglicherweise die Alteigentümer. Heftig bestreitet Scherhag, die Bauern mit einer höheren Pacht — 200 Mark je Hektar zahlt die Oderbruch GmbH — geködert zu haben. Mancher, der sah, wie in der Genossenschaft sein Eigentum vor die Hunde ging, will es jetzt in festen Händen wissen. Aber ausnutzen konnte der Rheinländer sicherlich auch die persönlichen Zwistigkeiten in den Dörfern. Denn solche Menschen wie Daue sind umstritten. Manche Bauern werfen ihm nicht zu Unrecht Eigennutz und Selbstsucht vor.

Daue seinerseits fragt sich, wo die Chancengleichheit bleibt. 100 Hektar sollen einen Bauern ernähren. Das jedenfalls geben die Politiker als Richtwert für ein Überleben der Landwirtschaft im Osten an. Scherhag will 1.500 Hektar mit drei Leuten bewirtschaften und niemand hindert ihn daran. Das ist sein Recht und ökonomisch sinnvoll. Die Perspektiven für die Bauern im Oderbruch aber schwinden.

Obwohl in der Oderbruch GmbH nur ein Viertel der insgesamt 360 Beschäftigten übrigbleibt, ist das Verhältnis wesentlich ungünstiger. Hier kommt auf 55 Hektar ein Bauer. Daue und seine Mitstreiter begeben sich auf Boden-Jagd, um nicht noch mehr Leute entlassen zu müssen. Doch die Treuhand ist ihnen auf den Fersen. Jedem dahergelaufenen Wiedereinrichter, klagt Daue, müsse er vom treuhandverwaltetem Land — vormals Volkseigentum — abgeben.

Die Ostbauern in der privaten Wirtschaft kommen nicht auf die Beine, weil niemand die große Mark im Sparstrumpf hat, um moderne Maschinen zu kaufen. Die Aufnahme von Krediten mit 12 Prozent Zinsen ist unbezahlbar und erledigt sich durch die ungeklärten Eigentumsverhältnisse oft ohnehin von selbst.

Scherhag bezahlt die gepachteten Flächen im Osten mit dem Pachterlös aus dem Westen, der übrigens 200 Mark je Hektar höher liegt. Keiner könne über seinen Schatten springen, wischt er den Vorwurf des Wettbewerbsvorteils vom Tisch.

Schlimmer sind die Schlaumeier

Für Daue ist Scherhag ein Feind. Aber schlimmer noch seien für ihn jene westdeutschen »Schlaumeier«, die als Berater ihre Dienste anbieten und doch nur auf Liquidation aus seien. Völlig unverständlich ist ihm, wenn LPG-Vorsitzende, wie der im benachbarten Ort Güstebieser, Loose, darauf hereinfallen.

Dabei hatten die Neulewiner ihren Nachbarn selbst aus totaler Unwissenheit einen gewissen Jes Christophersen aus Düsseldorf empfohlen, der sich zunächst als Immobilienmakler vorgestellt hatte. Auf Anraten von Christophersen haben die Bauern in Güstebieser Loose die Auflösung der LPG Tierproduktion beschlossen. 80.000 bis 100.000 Mark verdient der große Liquidator, der im Oderbruch bekannt ist wie ein bunter Hund, daran. Zuvor hatte Christophersen den Bauern den wahren Goldregen versprochen. Doch in Wirklichkeit bekommen die höchstens 20 Prozent von dem, was sie im Zuge der Kollektivierung in die Genossenschaft eingebracht haben, zurück. Das sind kaum mehr als 2.000 Mark.

Wer entscheidet über »Niemandland«?

In Güstebieser Loose quält sich nun Werner Wilzcek als Privatbauer, um zu retten, was zu retten geht. Zwei Ställe mit 400 Milchkühen haben er und seine Frau übernommen. Von den 12 Beschäftigten mußte keiner entlassen werden. Stolpern, prophezeit Wilzcek mit traurigem Blick, werden sie über die Gesetze. Als Wiedereinrichter steht ihm eine Anpassungshilfe in Höhe von einer halben Million Mark zu — für die Anlage ein Tropfen auf den heißen Stein. Einen Partner, der einem solchen Unternehmen gewachsen wäre und seinerseits Fördermittel beantragen könnte, gibt es im Dorf nicht. Zu allem Unglück stehen die Stallungen auf drei privaten Parzellen. Anträge auf Rückübertragung wurden nicht gestellt. Zwar weiß man, wie die Eigentümer heißen, aber nicht, wo sie abgeblieben sind. Eine Fahndung per Zeitungsanzeige würde 60.000 Mark kosten — für Wilzcek, der selbst knapp über 1.000 Mark zum Leben hat, unbezahlbar. Ausweichgrundstücke werden von der Bank nicht als ausreichende Sicherheit für Kredite anerkannt. Ob Treuhand oder Landwirtschaftsamt — keine Behörde will eine Entscheidung über das »Niemandland« treffen. Die gleichen Gesetze, die dem Rheinländer Paul Scherhag erlauben, sich an der Oder niederzulassen, bringen die Bauern aus Güstebieser Loose zu Fall.

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