: Berlin fürchtet um Methadon-Linie
■ Bundesrichtlinie ist restriktiver als Berliner Regelung der Methadon-Vergabe/ Drogenberater fürchten um sozial-medizinische Indikation/ Bündnis 90/Grüne fordern Ausweitung der Vergabepraxis
Berlin. Berliner Ärzte, Drogen- und Gesundheitsberater fürchten um ihre Methadon-Linie. Die Bundesrichtlinie zur Methadon-Vergabe auf Krankenschein sei kein Fortschritt für Berlin, berichteten gestern einstimmig Vertreter verschiedener Institutionen. Bundesweit allerdings sei es ein Erfolg, Methadon-Vergabe als kassenärztliche Leistung festzuschreiben, sagte eine Mitarbeiterin der Jugendverwaltung.
Die Berliner Ärztekammer entschied sich bereits vor vier Jahren für eine einzelfallbezogene, ärztlich begründete Vergabe von Methadon. Einen Katalog mit festen Zulassungsbestimmungen lehnte sie bisher ab.
Den sehen allerdings die Bundesrichtlinien vor: Substitution soll nur bei Aids oder anderen schweren Krankheiten erfolgen. Nach der Berliner Praxis würden hingegen seit langem — auch aufgrund sozial-medizinischer Indikationen — Polamidon-Behandlungen durchgeführt, berichtete Rolf Bergmann, Mitarbeiter der Drogenberatung Tiergarten. So würden hier auch suizidgefährdete und psychisch kranke Drogenabhängige substituiert. »Wir befürchten, daß diese Leuten in Zukunft kein Methadon mehr bekommen«, so Bergmann gegenüber der taz.
Constanze Jacobowski, Leiterin der von der Berliner Ärztekammer eingerichteten Clearing-Stelle, empfindet die Richtlinien ebenfalls als problematisch. Bisher beriet eine Ethikkommission, bestehend aus Ärzten, Drogenberatern und einem Rechtsanwalt über die Vergabe von Polamidon.
In Zukunft soll diese Aufgabe von Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenkassen und des öffentlichen Gesundheitswesens übernommen werden. »Ich bedaure sehr, daß die Bundesrichtlinie nicht die Drogenberater stärker einbezieht«, so Jacobowski. Ihrer Einschätzung nach seien aber alle Beteiligten in Berlin bemüht, das bewährte System mit Clearing-Stelle und psychosozialer Betreuung aufrechtzuerhalten. Die Bundesrichtlinie, die das bestehende Landesrecht bricht, bedeutete aber keine Ausweitung der Methadon-Vergabe. Der Entwurf sei eher restriktiv angelegt, so Jacobowski.
Auch Jugendstaatssekretär Klaus Löhe äußerte sich eher skeptisch. Methadon als rein medizinische Leistung ohne psychosoziale Betreuung würde das gesamte Berliner Konzept konterkarieren und hätte möglicherweise »verheerende Auswirkungen«, so Löhe.
Während der Arzt den Patienten medizinisch überwacht und ihm täglich das Methadon verabreicht, übernehmen Drogen- und Aids-Beratungsstellen die psychosoziale Betreuung. In Berlin werden zur Zeit etwa 320 Patienten substituiert. Nach Ansicht von Rolf Bergmann könnten es noch sehr viel mehr sein. »Unter 127 Drogentoten in diesem Jahr ist nicht ein Polamidon-Toter.« Die Ersatzdroge sei auf jeden Fall weniger schädigend als Heroin und oft der einzige Weg, die Beschaffungskriminalität einzudämmen sowie dem Abhängigen die Rückkehr in ein soziales Umfeld zu ermöglichen.
In den vergangenen Jahren sei allerdings der Ausbau der psychosozialen Begleitung viel zu stark vernachlässigt worden. jgo
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