: Mit Bänderriß zur Goldmedaille
Der fußkranke Ralf Büchner gewann bei den Turn-Weltmeisterschaften von Indianapolis Gold am Reck/ Beim Frauenturnen sind die kindlichen Spring-ins-Felde wieder schwer im Kommen ■ Aus Indianapolis Th. Schreyer
Vor genau 18 Tagen wollte Ralf Büchner schon wieder nach Hause fliegen. Kaum in Indianapolis angekommen, hatte er sich im Training verletzt — Bänderriß am rechten Fuß. Der Mannschaftsarzt kümmerte sich um ihn und versprach, er werde nach fünf Tagen wieder stehen können. Konnte er auch, und nun ist er Weltmeister: als letzter Turner einer zehn Tage dauernden Veranstaltung am letzten Gerät, dem Reck. Die Übung sei schon gut gewesen, wie auch im Mannschaftswettbewerb, wo es für die Deutschen Bronze gab. Aber die beste seines Lebens? „Im Training habe ich schon besser geturnt“, verrät er seine Reserven, die noch nicht ausgeschöpft seien, „obwohl ich mit 24 auch nicht mehr so jung bin.“
Büchner, der vor kurzem von Potsdam nach Hannover wechselte, turnte aus dem Schatten ins Licht. Den Schatten hatten Andreas Wecker und Sylvio Kroll geworfen, auf die sich die öffentliche Aufmerksamkeit richtete. „So stand ich nicht so unter Erfolgsdruck.“ Medaillenchancen hatte er sich schon ausgerechnet, Gold nicht unbedingt. Umso größer die Freude, als er mit schwungvoller Übung den führenden Chinesen Li Chunyang einholte und gemeinsam mit ihm die oberste Stufe des Siegerpodestes besteigen durfte. Was er denn da oben gedacht habe, der Erfolggewöhnte aus der früheren DDR, nun mit dem Bundesadler am Start? „Mir schoß durch den Kopf, daß ich als kleines Kind einmal gefragt wurde, was ich denn mal werden wolle. Ich antwortete Weltmeister.“
Überragende Turn-Nation war wieder einmal die Sowjetunion, die in vierzehn Wettbewerben achtmal Gold, achtmal Silber und zweimal Bronze gewann. Abgesehen vom unfairen Verhalten des Publikums, gab es viel Schönes zu sehen im Hoosier Dome von Indianapolis. Da war der Weltmeister im Mehrkampf, Grigorij Misutin, dessen Übungen „Ästhetik pur“ bedeuteten. Misutin könnte der Wegweiser sein, was im Kunstturnen der Männer künftig geboten wird. Es muß nicht immer ein Risikoteil dem anderen folgen. Es muß nicht immer „höher, schneller, weiter“ gelten. Die Eleganz kann der Turnerei ein ganz neues Gesicht verleihen.
Herausragend auch die Ringeübung von Yuri Chechi aus Italien, dem wahren Weltmeister an diesem Gerät. Nein, er weiß nicht, wie Gold aussieht, denn er wurde schon wieder nur Dritter. Warum? Der italienische Turnverband übt sich in Ehrlichkeit und weigert sich hartnäckig, die Schiebereien hinter den Kulissen, die Absprachen unter den Delegationen mitzumachen.
Bedenklich sind die Beobachtungen im Frauenturnen. Die UdSSR hat mit Svetlana Boginskaya eine Entwicklung eingeleitet, auf die gesetzt werden konnte: Anmut, Grazie, Ästhetik. Wenn es jedoch stimmt, daß — wie US-Trainer Bela Karolyi behauptet — die Zeit von Boginskaya abgelaufen und eine Ära Kim Zmeskal und Company im Kommen ist, dann wird auch das Zeitalter der Turn-Flöhe wiederkommen, der Springins-Felde, die kaum den Mund aufbringen, wenn sie etwas gefragt werden. Gwang Suk Kim aus Korea ist ein abschreckendes Beispiel. Die angeblich 16jährige, die offensichtlich erst die Milchzähne verloren hat und einige Zahnlücken präsentiert, paßt nicht in den kleinsten Turnanzug. Ein Kind, das brutal mißbraucht wird und keine anderen Bedürfnisse kennen darf, als täglich sechs Stunden und mehr trainieren zu „wollen“.
Eine Svetlana Boginskaya sagt ihre Meinung, vetritt eigene Positionen. Durch die drohende Entwicklung werden Trainer aber wieder bestärkt, ihre Schützlinge zu Unselbständigkeit und bedingungsloser Anpassung zu dressieren. „Ohne mich würden sie noch mit Puppen spielen“, sagt Karolyi und ahnt nicht, was er damit über sich und einen bestimmten Trainertyp preisgibt. Zwar sind seine US-Knirpse von dreifacher Statur als eine Kim Gwang Suk — besonders schön anzusehen ist ihr Gehopse aber auch nicht.
Wie das zu ändern ist? Ganz einfach: durch die Bewertungen. Eine größere Berücksichtigung von Gesamteindruck und Ästhetik würde die Noten der Turn-Zwerge abstürzen lassen.
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