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KOMMENTARESymbolischer Fußtritt

■ Zum Abschied der Grünen von den „offenen Grenzen“

Entscheidungen der Grünen auf Bundesebene können kaum etwas anderes als symbolische Gesten sein. Ihre Beschlüsse, Gesetzentwürfe, Voten — und seien sie noch so klug — haben fast nie die Chance, die nötigen Mehrheiten bei den anderen Parteien zu finden. Das wissen die Grünen und damit leben sie seit ihrer Existenz — manchmal sogar recht gut. Und manchmal kann die Partei ganz froh darüber sein, daß sich ihre Vorstöße nicht dem Härtetest der Realität stellen müssen.

Müßten die Grünen nämlich ihr am Wochenende befürwortetes Einwanderungsgesetz zur Beschlußreife konkretisieren, dann kämen sie nicht umhin, sich zwischen zwei gegensätzlichen Varianten zu entscheiden. Sie müßten — Variante A — genau festlegen, wie hoch die Quote derer sein soll, denen künftig die legale Einreise ins Wohlstandsland Bundesrepublik gestattet wird. Sie hätten Kriterien zu entwickeln, wer in die Quote rutschen darf und was mit denen passieren soll, die in diesen Katalog entweder nicht passen oder schlicht überzählig sind. In dem Ringen um Mehrheiten für ein solches Gesetz müßten sie dann Stück für Stück Kompromisse gegenüber den anderen Parteien machen und würden flugs bei einer äußerst restriktiven, nach puren Arbeitsmarktbedürfnissen orientierten Einwanderungspolitik landen. Das aber wollen die Grünen erklärtermaßen nicht.

Bleibt also die Variante B: Die Grünen beharren im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens auf einer absolut buchstabengetreuen Auslegung ihres Einwanderungsgesetzes. Dann allerdings müßten sie der Öffentlichkeit auch deutlich sagen, daß mit diesem Gesetz nicht weniger Ausländer in die Bundesrepublik kommen, sondern eher mehr und die mit weiterreichenden Rechten. Schließlich soll das vorgeschlagene Gesetz, so die Beteuerungen der Befürworter, ja nicht den Zugang über das Asylrecht beschneiden, sondern eine zusätzliche Einwanderungsmöglichkeit über die Quotenregelung schaffen. Doch ein Mehr an Zuwanderung wollen die Grünen eigentlich auch nicht.

Also wie denn nun? Welchen Sinn macht ein Beschluß für ein Einwanderungsgesetz und gegen das Prinzip der offenen Grenzen, wenn er doch alles will, aber auch nichts? Der eigentliche Sinn dieses Beschlusses liegt in dem Signal, das er in die akutelle Debatte aussendet. Die Message heißt: Die Grünen lassen über das Thema Migration mit sich verhandeln und akzeptieren eine staatliche Reglementierung von Einwanderung. Das impliziert jedoch gleichzeitig eine andere, unausgesprochene und fatale Botschaft: auch die Grünen halten den derzeitigen „Asylantenstrom“ für so untragbar, daß staatlicher Handlungsbedarf geboten ist. Genau damit reihen sie sich aber in die Phalanx derjenigen ein, die vor dem „vollen Boot“ warnen.

Was in einem ernsthaften, ruhigen Klima durchaus eine Diskussion wert sein könnte, gerät in einer Atmosphäre der Asyl-Hysterie zwangsläufig in gefährliches Fahrwasser. Auch gutgemeinte Gesten — zur falschen Zeit gezeigt — können wie ein Fußtritt wirken. Vera Gaserow

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