: Pflegepersonal im Regen
■ Schwestern-Demo für Anrechnung der DDR-Dienstzeiten im Gesundheitswesen
Mitte. Unter aufgespannten Regenschirmen drängten sich gestern früh Schwestern und Pflegekräfte aus Ostberliner Krankenhäusern und Polikliniken auf den Treppen zum Portal des Roten Rathauses. Sie sind die Vorhut einer Mahnwache, zu der der Berufsverband des mittleren medizinischen Personals (BmmP), der Deutsche Verband für Physiotherapie und die Deutsche Angestellten- Gewerkschaft (DAG) alle Beschäftigten des Berliner Gesundheitsdienstes aufgerufen hatten.
Anlaß der Protestaktion, so Maria Leubecher, Landesvorsitzende des BmmP, sei der aus ihrer Sicht »unbefriedigende« Verlauf der Tarifgespräche in Nürnberg gewesen. Die Beschäftigten im ostdeutschen Gesundheitswesen erhielten erstmals ab dem 16. September Gehaltsabrechnungen unter Anwendung des Bundesangestellten-Tarifvertrages-Ost mit nicht anerkannten Vordienstzeiten. »1.400 Mark Netto im Monat, bei 700 Mark Miete, das ist nicht viel«, sagte Gisela Boeck, seit 30 Jahren Hebamme im Friedrichshain- Krankenhaus. Das Durchschnittsgehalt einer Krankenschwester in Westdeutschland liege bei etwa 2.200 Mark. Während Neuanfängerinnen im Osten rund 60 Prozent dieser Summe erhielten, bekämen Schwestern mit oft jahrzehntelanger Berufstätigkeit nur rund 48 Prozent des vergleichbaren West-Gehalts.
Besonders verletzt fühlt sich das Pflegepersonal durch die »unerträgliche« tarifliche Eingruppierung. »Es ist eine Schande, wenn examinierte Krankenschwestern in den ambulanten Bereichen wie Hilfsarbeiter behandelt werden«, sagte Petra Drews von der DAG. Es gehe dabei weniger um die weiteren finanziellen Einbußen der Beschäftigten, als um eine »moralische Herabwürdigung« ihrer Persönlichkeit.
Sollten ihre Forderungen kein Gehör finden, so die Vorsitzende des BmmP, drohe das ostdeutsche Pflegepersonal weiter in den Westteil Berlins und in die alten Bundesländer abzuwandern. Vor dem Hintergrund des vom Senat vorgesehenen Abbaus der Bettenkapazitäten und eines Einstellungsstopps in Krankenhäusern und Pflegeheimen würde eine derartige Entwicklung das Gesundheitssystem im Osten der Stadt an den Rand des Zusammenbruchs führen.
Die während der Mahnwache gesammelten Unterschriften sollen gemeinsam mit einem offenen Protestbrief dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) zugeleitet werden. Zwar wurde dessen Unterstützung in der Frage der Anerkennung der geleisteten Berufsjahre begrüßt, doch erwarte man eine baldige Entscheidung. »Im Notfall«, so Frau Leubecher, »muß Berlin das im Alleingang machen.« mat
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