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Versprach Bonn Straffreiheit für Schalck?

Schalcks Forderung nach Straffreiheit als Gegenleistung für seine BND-Talks wurde auf höchster Ebene beraten — die Entscheidung liegt im Dunkeln/ Ingrid Köppe fordert Auskunft des Bundeskanzlers  ■ Aus Bonn Thomas Scheuer

Umsonst gab es bei SED-Goldfinger Schalck-Golodkowski nichts: Als Gegenleistung für seine Aussagebereitschaft gegenüber dem Bundesnachrichtendienst forderte Schalck von diesem „Straffreiheitszusage“ und „Bundespapiere unter Decknamen“. Die falschen Pässe, das ist mittlerweile bekannt, hat Honeckers Devisenanschaffer dann tatsächlich vom BND bekommen. Ob ihm westdeutsche Stellen damals auch die geforderte Straffreiheit zugesichert haben, ist die große Frage. Fest steht zumindest: auf höchster Bonner Ebene, nämlich in Kohls Kanzleramt, wurde über einen Ablaßzettel für den Ost-Mafiosi ernsthaft beraten. Dies geht aus Dokumenten des Bonner Schalck-Untersuchungsausschusses hervor, die die Abgeordnete Ingrid Köppe (Bündnis90/ Grüne) gestern bekanntmachte.

Nach seiner Entlassung aus der U-Haft in Moabit wurde Schalck zunächst, so ein BND-Vermerk, „durch Vermittlung der Strauß-Familie in München geschützt untergebracht“. Die Münchner Spezln versteckten den langjährigen Gesprächspartner des FJS im Collegium Augustinum. Am 12. 1. 1990 informierte der bayerische Staatssekretär Gauweiler (!) den BND, daß Schalck von dem Münchner Anwalt Khadjavi betreut werde, der sich bald mit Pullach in Verbindung setzen werde. (In Khadjavis Kanzlei wirkt auch Strauß-Sohn Max.) Über diese Linie übermittelte Schalck dem BND eine regelrechte „Wunschliste“. An oberster Stelle: Straffreiheit und falsche Papiere. Aber auch die „Schleusung“ seines in der DDR zurückgebliebenen Autos und einen „Konzeptentwurf für berufliche Intergration“ mahnte der Republikflüchtling an (siehe Kasten). Die Wunschliste wurde am 16.1.90 Kanzleramtsminister Stavenhagen vom damaligen BND-Chef Wiek persönlich übergeben. Am selben Tag gab Stavenhagen grünes Licht für die Befragung Schalcks, die am 22.1. begann. Welchen Kuhhandel also schloß das Kanzleramt mit Schalck? Und was meinte Schalck mit seiner Bedingung: „Keine Aussagen zu deutschen Politikern und Geschäftspartnern“?

U-Ausschußmitglied Ingrid Köppe will nun von der Bundesregierung wissen, „ob die Befragung Schalcks auf Grundlage der Wunschliste durchgeführt wurde und wie es möglich sein kann, einem Mann wie Schalck derartige Zusagen zu machen beziehungsweise derartige Forderungen überhaupt entgegenzunehmen und nicht von vornherein empört zurückzuweisen“. Beim Bundeskanzleramt war dazu gestern keine Auskunft zu erhalten. Man wird sich dort was einfallen lassen müssen. Auf Fehlverhalten des BND — wie in der Paßaffäre — kann sich Bonn jedenfalls nicht länger berufen. Denn aus den Ausschußunterlagen geht hervor, daß das Bundeskanzleramt ständig auf dem laufenden war. Über Schalcks Interviewbedingungen wurde die Bundesregierung, wie aus einer Akte hervorgeht, „angesichts der Brisanz mündlich persönlich durch Pr“ informiert. Das Kürzel „Pr“ steht für den BND-Präsidenten.

Derweil residiert Schalck eineinhalb Jahre nach seinem Frontenwechsel noch immer unbehelligt am Tegernsee. Vor allem die Karlsruher Generalbundesanwaltschaft bremst die strafrechtliche Verfolgung des früheren Stasi-Obristen. Erst vor wenigen Wochen leitete der Generalbundesanwalt aufgrund „neuer Erkenntnisse“ ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit gegen Schalck ein. Ins Bild paßt, daß es nach Informationen der taz in den Kulissen der Sicherheitsbehörden heftigen Zank über die Bewertung der Beweislage in der Causa Schalck gibt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz etwa klärt in einem Brief vom 11.Juni91 den Generalbundesanwalt auf, bei dessen „vermeintlichen neuen Gesichtspunkten“ handele es sich um längst bekannte Fakten. Das Bundesamt habe längst „gerichtsverwertbare Erkenntnisse“ vorgelegt und erinnert daran, daß bereits das Protokoll einer Vernehmung Schalcks durch das BKA vom Mai letzten Jahres (!) „möglicherweise Eingeständnisse nachrichtendienstlicher Aktivitäten“ enthalte.

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