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Wenn Journalisten über Neonazis berichten...

■ Zwei Fälle aus Hessen: TV-Journalisten, die über Neonazis berichten, geraten auf die Anklagebank wegen „Anstiftung zur Volksverhetzung“

Über welche Fallstricke Journalisten straucheln können, wenn sie über Rechtsradikalismus berichten wollen, zeigen zwei Fälle aus Hessen. Dort sehen sich Journalisten unversehens auf der Anklagebank. Ihre Absicht, über Aktivitäten in der rechtsradikalen Szene zu berichten, wurde im Konflikt mit Polizei und Staatsschutz zum Bumerang. Recherchen wurden als „Anstiftung“, Berichterstattung als „Propaganda“ uminterpretiert.

Fall eins: Die Journalisten Ulrike Holler und Herbert Stelz vom Hessischen Rundfunk (HR) planen einen Fernsehbericht über Aktivitäten von Neonazis. Die Dreharbeiten finden in Langen und Umgebung sowie bei einem „Kameradschaftsabend“ der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ statt, einer Gruppierung um den verstorbenen Neonazi Michael Kühnen. Je ein Kommando der Kripo Offenbach und der Abteilung Staatsschutz der Kripo Frankfurt sind anwesend. Das hessische Landeskriminalamt war aufgrund von vorbereitenden Telefongesprächen durch Ulrike Holler über die Dreharbeiten informiert. Am 29. Januar 1991 wird der Beitrag gesendet, zunächst in der Hessenschau und dann am Abend im Magazin Panorama. Berichtet wird über die Absicht Michael Kühnens, eine internationale Freiwilligen-Truppe für Saddam Hussein aufzustellen, vor dem Hintergrund des Golfkrieges eine politisch äußerst brisante Äußerung. Das Staatsschutz-Kommando der Kripo Frankfurt fertigt nach den Dreharbeiten einen geheimen Observationsbericht auf Anweisung des hessischen Innenministers Nassauer an. In diesem Bericht, den ein Kriminalhauptkommissar als Zeuge der Dreharbeiten über den „Kameradschaftsabend“ erstellt hat, werden schwere Vorwürfe gegen die beiden Journalisten erhoben.

Kernpunkt ist die Behauptung, die Neonazis hätten von Herbert Stelz direkt vor Beginn der Dreharbeiten zwischen vier- und fünftausend Mark bar auf die Hand erhalten und dafür den „Kameradschaftsabend“ mit Sympathiebekundungen für Saddam Hussein getürkt. Grundlage für die Anschuldigungen sind Äußerungen von Neonazi Heinz Reisz, der an dem fraglichen Abend unter anderem folgendes gesagt haben soll (laut Observationsbericht): „Die [gemeint sind die Journalisten, d.A.] wollen von uns etwas über Hussein hören, gegen Geld kriegen die das.“ Und später: „Die Kohle stimmt, das reicht für etwa 40 bis 50 Tankfüllungen, jetzt kann die Show losgehen.“

In einer eidesstattlichen Erklärung vom 3. März 1991 bestreitet Reisz den Wahrheitsgehalt seiner Äußerungen. Sie seien eine Falle für den Staatsschutz gewesen. „Diese Äußerungen, ebenso wie andere, habe ich gemacht, um zu prüfen, welches Geistes Kinder sie sind, um ihnen einen Bären aufzubinden. Solche Versuche habe ich auch bei anderen Fernsehaufnahmen gemacht, diesmal hat es geklappt.“

Mit Hilfe dieses Kronzeugen entsteht der Observationsbericht (das sogenannte „Gemmer-Dossier“), in welchem der Präsident des Polizeipräsidiums Frankfurt, Gemmer, zu dem Schluß gelangt, daß es den beiden Journalisten „im wesentlichen darum ging, das in diesen Tagen weltpolitisch gehandelte Bild vom ,häßlichen Deutschen‘ zu untermauern. Mit welchen journalistischen Mitteln das hier in Szene gesetzt wurde, müßte in der Öffentlichkeit schnellstens aufgedeckt werden, zumal die Sendungen auch den Eindruck erwecken, als tanzten die Neonazis mit ihren Kriegsspielen der Polizei geradezu auf der Nase herum. In dem jetzigen Fall empfiehlt es sich, wegen der internationalen Resonanz eine Gegenveröffentlichung eventuell durch denHerrn Innenminister persönlich zu erwägen.“ „Internationale Resonanz“ war entstanden, weil der Bericht über die Freiwilligentruppe des Michael Kühnen, vom amerikanischen Sender CNN mitgeschnitten, auch in Israel über den Sender ging und dort Empörung auslöste.

Während sich Innenminister Nassauer schließlich, nach mehreren Gesprächen mit Vertretern des Hessischen Rundfunks, von der Haltlosigkeit der Vorwürfe gegen die Journalisten überzeugen läßt, hält Gemmer an seinen Anschuldigungen fest. Holler und Stelz sehen sich gezwungen, am 6. März beim Verwaltungsgericht Frankfurt Klage gegen das Land Hessen zu erheben. Sie beantragen den Erlaß einer einstweiligen Anordnung, mit der Gemmer untersagt werden soll, seine Vorwürfe weiter zu verbreiten.

Erst am 5. April zieht Gemmer in einem Schreiben an den Intendanten des Hessischen Rundfunks, Kelm, seine Behauptungen zurück. Er bestätigt, daß „auch die Nachforschungen der Polizei ... den Verdacht der Honorarzahlung an Neonazis durch der Hessischen Rundfunk erfreulicherweise nicht erhärtet haben“. Das Ziel der Journalisten, die Daten und Akten zu diesem Fall zu löschen, ist aber nicht erreicht. Durch den neuen hessischen Innenminister Günther erging lediglich die Anweisung, die Namen in den Akten zu schwärzen. Die Vorwürfe bleiben also aktenkundig. Welche Folgen eine solche Datensammlung haben kann, zeigt ein Brief von Bundesinnenminister Schäuble an den Intendanten des Hessischen Rundfunks vom 28. Mai, in dem Schäuble bittet, zu prüfen, ob „finanzielle Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln des Hessischen Rundfunks an Mitglieder der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ ergangen seien.

Nachzulesen ist dieser Brief in der 'Welt‘ vom 1./2. Juni, also zwei Monate, nachdem Gemmer seine Anschuldigungen bereits zurückgezogen hatte. Innenminister Günther macht daraufhin in einem auch der Presse zugeleiteten Brief vom 12. Juni an Schäuble deutlich, daß kein Verdacht mehr gegen Journalisten des Hessiscehn Rundfunks bestehe. Unklar bleibt weiterhin, ob es eine ausdrückliche Anweisung des hessischen Innenministers Nassauer gegeben hat, die Journalisten bei den Dreharbeiten zu observieren, oder ob Gemmer eigenmächtig sein Dossier anfertigen ließ.

Polizei platzte ins Interview

Fall zwei: Michael Schmidt plant eine Reportage über Nazi-Computerspiele für das Magazin Spiegel-TV. Für den 19. Juli 1990 vereinbart er ein Interview mit Skinheads zu diesem Thema. Schmidt hofft, dabei auch etwas über die Produzenten solcher Spiele zu erfahren. Gedreht werden soll in Maintal- Bischofsheim, in der Wohnung von Andreas Reuhl, einem Mitglied der Skinheadszene. Vor laufender Kamera soll das Computerspiel Hitler — Diktator vorgeführt werden. Doch das Interview platzt. Der Staatsschutz der Kripo Hanau, durch einen Tip der bayerischen Kollegen über die Dreharbeiten informiert, verhaftet Reuhl und seine Gesinnungsgenossen. Grund: „Verdacht gegen das Urheberrechtsgesetz beim Abspielen von Computerspielen sowie Straftaten der Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß.“ Gleichzeitig will man verhindern, daß die Neonazis Gelegenheit erhalten, sich wirkungsvoll im Fernsehen zu präsentieren.

Anfang September erhält Schmidt Kenntnis von einer Strafanzeige, in der ihm die Staatsanwaltschaft Hanau ebenfalls „Anstiftung zur Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß“ vorwirft. Grundlage für diese Vorwürfe ist eine Zeugenaussage von Andreas Reuhl, in der dieser angibt, Schmidt habe ihn angestiftet, verbotene Disketten aufzunehmen. Der ehemalige Kontaktmann Reuhl hat sich demnach zum Belastungszeugen verwandelt. Gegenüber Schmidt gibt er jedoch an, er habe diese Aussage auf Drängen des Staatsanwaltes gemacht, der ihm Vorteile in Aussicht gestellt habe, wenn er gegen Schmidt belastend aussage. Im Falle Schmidt ist das Anklageverfahren erst einmal auf Eis gelegt. Schmidt befürchtet, daß es stillschweigend im Sande verlaufen soll. Doch er will entweder ein ordnungsgemäßes Verfahren oder Rehabilitierung. Mathias Nofze

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