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Jim Kerrs lascher Luftballon

■ Simple Minds in der Waldbühne

Das erste Mal, als ich die Simple Minds zu Gesicht bekam, standen sie gerade im blauem Nebel, auf der Bühne der Düsseldorfer Philipshalle. Man schrieb das Jahr 1980 und New Wave durchlebte gerade seine Blütezeit, aber eigentlich wartete an diesem Abend sowieso jeder auf Peter Gabriel, der den Hauptakt bestreiten sollte. Die Stimmung, die der Vorband entgegenschlug, war also eher gewohnt distanziert, kühl, aber die Musik hatte durchaus was Hypnotisches, Innovatives, ... damals!

Später sollte sich das alles gründlich ändern. Mit ihrem Aufstieg zur stadionfüllenden Band verfielen die Schotten, und allen voran ihr Frontmann, Jim Kerr, in oberflächliche Theatralik. Mit gönnerhaften Gesten widmete sich der kleine Jim fortan, wie so viele seiner Kollegen karitativen Zwecken und massenbekömmlichen politischen Inhalten. Live Aid (1985) und das 88er Free- Nelson-Mandela-Spektakel hießen die bekanntesten Stationen.

Nachdem Pretenders Chefin Chrissie Hynde den laut Presseinfo »charismatischen« Sänger verlassen hatte, flüchtete sich dieser immer mehr und immer fragwürdiger in sein yuppieeskes Polit-Engagement. Mit musikalischem Bombast und textlichem Pathos auf der LP »Streeetfighting Years« (und der Single-Auskoppelung »Belfast Child«) war es Kerr im Verbund mit Mick McNeil, dem Keyboarder und Chefkomponisten der Band, gelungen, sich endgültig den poppäpstlichen Heiligenschein neben Sting, Bob und Co. aufzusetzen. Doch da die kreative Potenz der »schlichten Gemüter« offenkundlich nicht mehr ausreichte, ganze Longplayer selbständig zu füllen, mußten Fremdzitate herhalten. Und was hätte da für Jim näher liegen können, als sich an dem ohnehin schon zur Anti- Apartheits-Hymne vernudelten Song »Biko« seines einstigen Protégés Peter Gabriel zu vergreifen. Die marinierte Version mit der Margarine-Stimme Kerrs jedenfalls schosssen die Friedenstaube endgültig ab. Einzig die von Trevor Horn produzierte Maxie des Prince-Covers »Sign O' the Times« ließ später noch einmal einen zumindest tanzbaren Groove erahnen. Dem Zeitgeist immer auf der Spur, aber immer hinterher.

Heute, da auch McNeil Band und Herrchen den Rücken gekehrt hat, sieht Jim die Welt anders: »Der Mythos des politischen Anspruchs ist übermächtigen geworden, wie ein riesengroßer Ballon. Da mußten wir einfach die Luft rauslassen.« Und Recht hat er, der »powervolle Shouter« (noch 'ne Marketinglüge aus dem Info). Mehr war da auch nie drin, im Simple Minds Ballon. Also zurück zum richtigen Leben, »Real Live«, aber bitte nicht Heute Abend, ab 19 Uhr in der Waldbühne. Andreas Kaiser (voto: R.Owsnitzki)

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