: Schwullesbische Kulturnomaden
■ Das »Doppelfenster« lädt zur Filmnacht ins Kino Babylon-Mitte
Das Doppelfenster hat eine bewegte Geschichte. Noch zur guten alten Zeit, als Berlin noch Hauptstadt und Westberlni kapitalistische Enklave in roter Staatssoße war, gründete sich die schwullesbisch Kulturinitiative. »Vorwendlerisch«, wie Thomas Lück von Doppelfenster es bezeichnet. Denn vorwendlerisch war es seiner Meinung nach mit schwullesbischer Kultur in der DDR etwas mau: Neben dem Sonntagsklub gab es nur die Orte, die man nachwendlerisch als »kommerzielle Sub« bezeichnen würde. Und beides war nicht unbedingt nach seinem Geschmack. Also gründete er kurzerhand mit ein paar FreundInnen das Doppelfenster im Vereinsstatus, um der staatlichen Willkür nicht vollends ausgeliefert zu sein.
Daß selbst nachwendlerisch das Doppelfenster Bestand hat, liegt nach Lücks Meinung nicht zuletzt an den Preisen: neben der DDR-Nostalgie des Longdrinks für 4,46 DM ist die West-Sub — egal ob kommerziell oder nicht — für die mageren Ostgehälter schlicht und ergreifend zu teuer. So es denn ein Gehalt noch gibt. Und der Osten? Entweder ziehen die Preise in den Orten homophiler Begegnung nach, oder diese Orte schließen ganz — die Wege der Treuhand sind ja unergründlich.
Daß das »Doppelfenster« seit Anbeginn nomadisierender Weise durch den Osten tingelt, ist gewollt und nicht den Unbillen der Neuen Zeit zu verdanken. Als Veranstalter ohne festen Wohnsitz gastierten sie bis zu dessen Schließung im HdjT, waren aber auch im Klub International im gleichnamigen Kino des öfteren mit Programmcaf oder »Disko« angesiedelt.
Dies werden sie nach dem Umbau des Sechziger-Jahre-Klotzes an der Karl-Marx- Allee auch wieder sein — jetzt aber nur mit Programmcafé.
Für dieses Mal gehen sie aber fremd: Ihre nächste Veranstaltung findet im Kino Babylon Mitte statt: Unter dem Titel »Doppelfenster — weeeeeit geöffnet« veranstalten die Kulturbewegten einen Abend, welchen sie in der Tradition britischen Understatements schlicht als »Filmnacht« im Untertitel deklarieren. Und daß, obwohl dies ihr bis jetzt vielleicht größtes Unterfangen ist. Filme gibt es an diesem Abend zwar auch, aber bei weitem nicht nur zu sehen: Desert Hearts und die legendäre Rocky Horror Picture Show. Doch damit nicht genug: Als weitere Westkultur haben sie die Tuntenkombo »Spreedosen« verpflichtet, vielleicht eher bekannt unter den Namen Tima die Göttliche, Ichgola Androgyn und Lina Androwna. Die Ostquote ist mit der vorwendlerischen Helga Zerrenz und den nachwendlerischen Lassie Singers erfüllt, erstere ein Ex-DDR- Amiga-Star, letztere eine Nonsens-Band mit Helfersyndrom (Eigenwerbung: »Die Lassie Singers helfen Dir in allen Lebenslagen!«). Beschlossen wird der Abend denn wie so manche Veranstaltung mit »Disko«. Ein prall gefüllter Abend wird's allemal, und mit 12,- AK Eintritt sicherlich auch mit gebeuteltem Ostgehalt zu finanzieren. Dirk O. Evenson
Fimfest »Doppelfenster — weeeeeit geöffnet« im Kino Babylon Mitte um 20.00 Uhr, AK 12,-/erm. 10,- DM.
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