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Avantgarde und Manta-Fashions

■ Zwischen Cosmopolit-Design: Die »Select Avantgarde Modemesse« im Martin-Gropius-Bau

Mit großen Worten spart diese Modemesse nicht: Traute man dem Namen, müßte hier der Besucher die Spitze des Eisbergs, die Auswahl der Vorreiter, also eigentlich die ultimative Mode vorfinden. Dem ist leider nicht so. Es stünde der Messe gut an, sich in britischem Understatement zu üben, ohne jedoch die Lichter unter den Scheffel zu stellen. Denn auch wenn hier nicht nur die crème de la crème anzutreffen ist — das Attribut »sehenswert« muß man einigen Exponaten der Ausstellung zubilligen. Meist zur Erbauung, seltener zur Belustigung.

Der Graben zwischen der — sicherlich originellen — Idee und der — scheinbar verkäuflichen — Umsetzung erscheint umso größer, je aufwendiger die Kollektionen präsentiert und die Messen für die Designer teurer werden. Die Realisation einer Kollektion ist oft eine finanzielle Frage — die Präsentation ist es immer. Und so entsteht der Wunsch, daß diese sich auch lohnen soll, und der Lohn drückt sich vermeintlicherweise in Veraufszahlen aus. Verständlich, aber auch ärgerlich. Denn dann werden Leitmotive auf ein »erträgliches« Maß gestutzt, verkommen zur Applikation und reduzieren das Werk auf ein Konglomerat von Halbheiten. Mitnichten findet man also auf exklusiveren Messen extravagantere Exponate als auf den kleineren Ausstellungen schlichterer Natur.

Umgekehrt scheint es auch Designer zu geben, die mit dem festen Vorsatz antreten, jetzt auf Biegen und Brechen avantgardistisch zu sein und kaschieren die Konventionalität mit rein plakativen Versatzstücken.

Die Kollektionen, die auf der aktuellen Select präsentiert werden, sind so verschieden, wie sie nur sein können: extravagante Kostüme wechseln mit banalen Outfits und verspielte Werkarbeiten mit strengen Anzügen. Einige, meist sehr reduziert gestaltete Stücke erscheinen durchaus durchdacht und bis ins Detail konzipiert. Souveräne Realisationen beachtlicher Stringenz bilden nicht die Ausnahme. Doch überzeugende, auch handwerklich sicher präsentierte Ideen müssen sich mit unausgegorenen, ungleichgewichtigen und gelegentlich überfrachteten Arbeiten den Steg teilen und oft steht Ungewöhnliches neben unsagbar Gewöhnlichem. In kitschigen, knallpinken Cocktailkleidern stecken Babydoll-Schmollmund-Frauen und erinnern an die Jungmädchenträume von rauschenden Nächten der High Society, um prompt bei den niederbayerischen Abschlußbällen der Dorfschulen zu landen.

Bestechendes kann diese Messe indes kaum bieten. Bei keiner Arbeit könnte man die visionäre Interpretation der Zukunft entdecken, und wenn auch manche Designer gerade dies mit dem Namen ihrer Kollektion dem Betrachter anheim stellen wollen: Mehr als der Charme eines Moonboots von innen kommt dabei nicht raus. Und der »Durchbruch«, wie sich eine andere Designergruppe nennt, ist hier nicht gemacht, auch wenn die Produkte dieses Teams sicherlich zu den stilsichersten und überzeugenden gehören.

Ein wahrhaftiger Vorteil ist indes die Internationalität: Auch wenn das Gros der Designer aus Österreich und der BRD kommt, so sind auch Arbeiten aus Ost- und Westeuropa teil dieser Ausstellung. Wahrhaft Neues kommt hier zwar auch nicht, aber die Anlehnungen an russische Strenge sind hier zumindest original und nicht derart aufgepropft und kitschig, wie die Russki-Mode- Welle vor ein paar Jahren, als jeder Hosenträger kyrillische Buchstaben aufgestickt bekam. Die Select Avantgarde hält zwar nicht, was sie verspricht, aber sie bietet durchaus interessante Ideen und nette Kollektionen. Dirk O. Evenson

»Select Avantgarde Modemesse«, Premiere Modetheater heute 20.00 Uhr, Wiederholung um 22.30 Uhr und bis Dienstag jeweils 18.00 Uhr und 21.00 Uhr. Öffnungszeiten von 17-24 Uhr (heute 19-1 Uhr), Verleihung des SELECTA-Modepreises Dienstag 21.00 Uhr vor dem Modetheater; Martin-Gropius-Bau, Stresemannstr. 110, 1/61.

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