piwik no script img

Ganz weit hinter dem Rampenlicht

Stahl Eisenhüttenstadt verlor sein einziges Europacup-Heimspiel aller Zeiten mit 1:2 gegen Istanbul „Hütte“ und Galatasaray boten eine Komödie mit Vorspiel, zwei Akten und tragischen Aussichten  ■ Aus Müller-Stadt H.Boßdorf

Das Vorspiel

„Sie kommen viel zu spät“, grantelte der Stahl-Spezialist für Pressearbeit, als sich der taz-Rezensent zehn Tage vor der großen Aufführung anmelden wollte, „das ist für uns ein großes Ereignis, müssen sie wissen.“ Ein zu großes, müßte er wissen. Denn als der Kritiker die Kicker aus Eisenhüttenstadt und Istanbul auf der europäischen Pokalbühne unter die Lupe nehmen wollte, wurde er vom Stahl- Spezialisten für Platzzuweisung barsch abgebügelt und in Block „G“ wie Galatasaray verwiesen. Dort freuten sich fahnenschwenkende, trommelnde türkische Fans auf ihren neuen Nachbarn. Aber sicher tummelten sich auf der Pressetribüne die internationalen Spielerbeobachter.

Wahrscheinlicher aber ist, daß sich auf den Ehrenplätzen die Topmanager eines großen Milchkonzerns lümmelten. Als der Eisenhüttenstädter FC Stahl im letzten Pokal- Jahr der DDR nämlich rein zufällig ins Finale stolperte, Endspielsieger Hansa Rostock rein zufällig auch Meister wurde und damit die unterlegenen Balltreter von der Oder rein zufällig für den Europacup der Pokalsieger qualifiziert waren, da ließ ein Joghurtgigant die Milch nicht sauer werden. Er spendierte den inzwischen zu Amateurfußballern der Oberliga Nordost degradierten Stahl-Kickern 350.000 Mark und spendierte sich damit 90 Minuten TV-Werbung. Nun ist auch mit einer Umbenennung der Stadt zu rechnen, denn immer wenn der „Sponsor“ starb, bekamen auch die Fußballer einen neuen Namen: Als Betriebssportgemeinschaft Stalinstadt gegründet, als Stahl Eisenhüttenstadt in den Europacup eingezogen, als FC Müller-Stadt ausgeschieden?

Erster Akt

Für das erste und letzte Europacup- Spiel in Eisenhüttenstadt zahlten sechs RTL-Kameras (200.000 Mark) und 3.420 Zuschauer (zwischen 15 und 25 Mark) Eintritt. Es war das erste türkische Volksfest an der deutsch-polnischen Grenze, zu dem auch rund 300 EFC-Fans zugelassen waren. Ansonsten: türkisches Programmheft, türkischer Stadionsprecher und türkische Tore. Allerdings gehörten die ersten Szenen des Stückes den deutschen Amateuren.

Admir Mujakovic, aus Schweinfurt zugereister Jugoslawe, war der Stahl-Spezialist für lange Dribblings. Die Galatasaray-Abwehr ließ ihn im Stile schlechter Laienschauspieler elegant durch ihre Reihen tänzeln (33. Minute). Allein das Tor traf der Jugo nicht, selbst als der türkische Nationaltorwart Hayretin umkreist war, warf sich Nationalverteidiger Tugay vor Tor und rundes Leder (36.). In der 42. Minute aber wunderte sich Hütte-Verteidiger Frank Bartz, wie sich die Galatasaray-Spieler gegenseitig attackierten, der Ball ihm vor die Füße rollte und von dort aus spitzem Winkel auch noch zum 1:0 ins Tor flog.

Die Pausenmilch war schon bereitgestellt, als der holländische Referee Uilenberg seine Uhr immer noch nicht fand. Nach 49 Minuten und 46 Sekunden der ersten (!) Halbzeit kickte dann der Pole Roman Kosecki zum Ausgleich für seinen türkischen Verein ein. „Ich wußte nicht, daß man in Holland zweimal 50 Minuten spielt“, witzelte der Stahl-Spezialist für Training, Hans-Günther Neues. Ist ja lustig.

Zweiter Akt

Der achtfache türkische Meister kehrte voller Entschlossenheit auf den Rasen zurück, seinem Anhang die beschwerliche Reise doch noch zu belohnen. Auch wenn es der Stahl- Spezialist für Taktik, Hans-Günther Neues, nicht glauben wollte, die Türken waren seinen Spielern bis zum Schluß läuferisch, technisch und eben auch nach Toren überlegen. Eine wunderbare Bananenflanke des leicht übergewichtigen Nationalspielers Muhammet auf den Kopf des ehemaligen Dortmunders Erdal Keser führte zum 2:1. Galatasaray wechselte zur Freude seines absolut kompetenten Anhangs auch noch Prekazi ein (83.), dessen Ruhm in Köln geboren wurde.

Dort jagte er 1989 im Landesmeister-Cup einen 40-Meter-Schuß ins Tor des AS Monaco und kanonierte seine Elf ins EC-Halbfinale. Diesmal kam er leider nicht so dicht an Hüttes Hütte heran.

„Die Türken haben uns ein bißchen unterschätzt“, frohlockte der Stahl-Spezialist für Optimismus, Hans-Günther Neues, nach dem Hinspiel, „wir werden im Rückspiel 90 Minuten zur Sache gehen und den Türken zeigen, wo's langgeht.“ Dagegen fragte ein türkischer Fan ernsthaft besorgt: „Glaubt du auch, daß Eisenhüttenstadt Angst bekommt vor 40.000 Zuschauern in Istanbul?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen