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Nehmen wir 300.000!

■ Während Peter d. Gr. im Überseemuseum langsam zu Boden geht, wird die nächste Pleite schon angebahnt

Guten Tag! Heute ein Tip: Jetzt rennen Sie mal schleunigst los ins Übersee-Museum zum Großen Peter, dann sind Sie vielleicht wenigstens die 150.000 Besucherin und kriegen eine Wurst. Der maroden Klunkerschau wird's kaum mehr helfen: Rechnet man die Zahlen hoch, werden bis zum Ende am 6. Oktober vielleicht noch 15.000 Leutchen kommen, dann ist Schluß. Unterdessen dämmert manchem Tatbeteiligten Übles: „Das Kreml-Museum hat uns über'n Tisch gezogen“, so Jochen Stührmann, entlaufener Leiter des Projekts.

Anderen dämmert gar nichts: Vor einer Woche sagte Reinhard Hoffmann, Leiter der Kulturbehörde, der taz, er würde alles noch einmal gerade so machen. Jetzt schickt er sich evtl. schon an, seine Drohung wahr zu machen: Vom 2. bis 10. Oktober reist er nämlich im Wiederholungsfalle, diesmal mit Ex-Senator Franke, in die Sowjetunion. Nie erraten Sie, wer auf der Tour für die Musike sorgt: die Staatlichen Museen des Moskauer Kreml. Der taz liegt in Kopie ein Schreiben vor, in dem die Direktorin Rodimceva „dem Generalkonsul der UdSSR Genosse V.I.Kusnezov“ stolz ihre „allseitige Mitwirkung“ bei dieser bremischen Expedition anzeigt: „Der vorläufige Plan des Kulturprogramms beinhaltet: Besuche in Sagorsk, Vladimir, Susdal, Gus-Kristalnij und Leningrad — Bekanntschaft mit den wertvollsten Sammlungen der führenden Museen des Landes“ (! ). Wird Ihnen jetzt bang wie mir? Unweigerlich werden sie wieder Kulleraugen machen, unsere Kulturgesandten. Und Frau Rodimceva, die Ausgekochte, wird die beiden ab und zu ans Steuer ihres schicken Mercedes der 117.000-Marks-Klasse lassen, den man ihr in Bremen von ihrem 3-Millionen-Erlös besorgt hat. Und dann wird wieder einmal alles zu spät sein.

Mit der Untergangssehnsucht unserer Kulturpolitiker korrespondiert sehr liebenswürdig die ahnungsvolle Knickrigkeit der einheimischen Sponsoren. „Das waren nur Höflichkeitsgesten, jeweils so um die 20.000 Mark“, sagt Stührmann, „und damit mußten wir ihnen auch noch eine teure Zeitung mit ganzseitigen Anzeigen drucken. Im Endeffekt blieb uns von den 175.000 Mark bloß die Hälfte“. Hat also die geizkranke Wirtschaft wieder einmal erstens ihr Geld und zweitens recht behalten: Bloß peinlich, daß das Projektbüro in der ersten Planung von zwei Millionen ausgegangen war. Zwei Millionen Sponsorenmark, 200.000 Besucher. Als das Geld nicht kam, hatte man die Wahl, entweder welches zu drucken — oder aber? Genau: Man rechnete die Zuschauererwartung hoch. „Nehmen wir 300.000!“, hieß es. „Dann brauchen wir nur das halbe Sponsoring.“ Nehmen wir 300.000! Den Rest kennen wir, soweit er nicht der militärischen Geheimhaltung unterliegt. Wieviele Vollzahler (neben den zahllosen zwagsverpflichteten Schulklassen) die Ausstellung überhaupt noch besuchen, ist vom Projektbüro längst nicht mehr zu erfahren. Tschüß bis nach der Wahl.

Manfred Dworschak

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