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ESSAYMutterkult und Marschmusik

■ Ist die „Mütter-für-den-Frieden-Bewegung“ eine Friedensinitiative?

Mütter sind der große Hit im kroatischen Kriegsalltag. Seit ungefähr einem Monat sind sie willkommene TV- Stars in allen Kriegssondersendungen. Tausend von ihnen sind gerade von ihrer Europa-Tournee zurück, auf der sie ihre „Frieden-für- Kroatien“-Botschaft verbreitet haben; und ihre Geschichten über die Brutalität der jugoslawischen Generäle, die sie in Belgrad nicht empfangen wollten, wurden eine Zeitlang pflichtschuldig in allen politischen Reden und Kommentaren aufgegriffen. Das Wort Frau bedeutet inzwischen nur noch eines: Mutter eines kroatischen Soldaten in der jugoslawischen Bundesarmee.

Ganz Zagreb wartete auf die Mütter und weinte, als sie an jenem Morgen von ihrer europäischen Mission zurückkehrten. Sie waren in Brüssel gewesen, wo sie von einem tief bewegten Herrn Genscher empfangen worden waren, wie wir erfuhren. Das Stadtzentrum war in schwere nationale und katholische Farben und Symbole gekleidet, ausstaffiert mit Fahnen, Kerzen, Ikonen. Die ganze Nacht lang Live-Show, eine Mischung aus Mutterkult und Marschmusik, unterm gleißenden Licht der Scheinwerfer.

Die Mütter machten den Beginn, doch bald schon nahmen nationale Politiker, Poeten und Entertainer ihnen die Mikrofone weg. Der Volkssänger sang etwas in der Art: „Die Frauen machten mich weinen, manchmal einen Monat lang, manchmal zwei, aber was am meisten schmerzt: wenn eine Freundschaft bricht entzwei.“ Natürlich dachte der Künstler an die legendäre Männerfreundschaft, aber das schien nimanden zu stören. Wir waren alle viel zu aufgeregt, bewegt und vor allem stolz, weil: „Europa verstand uns und empfing die kroatischen Mütter als die Mütter eines der ältesten Völker europäischer Abstammung.“ Nicht wie der barbarische, balkanische, byzantinische wilde serbische Osten, wo selbst der Schmerz einer Mutter mißachtet wird.

Mütter für den Krieg — Mütter für den Frieden

Obwohl sich ein Déjà-vu-Gefühl nur schwer unterdrücken läßt, ist bloßer Sarkasmus nicht angemessen. Die Gründe für diesen absurden, selbstzerstörerischen Krieg, ganz abgesehen von seinen Folgen, müssen überdacht werden. Während ich an diesem Beitrag saß, gab es hier dreimal Luftalarm und wir sind auf das Schlimmste gefaßt, seitdem Kroatien in den offenen Krieg mit der Bundesarmee getreten ist, dieser längst überholten Institution, für die es keine Existenzberechtigung mehr gibt. Einige der Soldaten werden wahrscheinlich dazu gezwungen werden, auf die eigenen Leute, die Verwandten, selbst auf die Mütter zu schießen. Die Frage aber ist: Ist die „Mütter-für-den-Frieden-Bewegung“ tatsächlich eine Friedensinitiative? Kämpfen diese Frauen, mit ihrem „instinktiven“ Trieb, Leben zu schützen, tatsächlich für den Frieden wenn sie fordern: „Ich will meinen Sohn lebendig zurück“? In Jugoslawien, wie in den meisten der ehemaligen sozialistischen Länder, gab es nie eine nennenswerte Friedensbewegung.

Die meisten der Bürgerinitativen entstanden erst Ende der 80er Jahre. (Der Feminismus macht da eine gewisse Ausnahme, brachte es aber auch nie zu einer Bewegung.) Damals aber war der Bund schon fast aufgelöst, die Republiken begannen zu „streiten“ , und die Friedensaktivisten (ansatzweise nur in Slowenien organisiert) waren die letzten, denen man Aufmerksamkeit oder Gehör schenkte. Als der Krieg volle Kraft voraus von Slowenien nach Kroatien getragen wurde, gab es keine einzige Partei, bei der Frieden im Programm stand. Selbst Ex-Kommunisten und Sozialisten, Sozialdemokraten und Liberale hatten nur eines auf ihren Fahnen stehen: Nationale Unabhängigkeit.

Die Mütter aus Serbien waren die ersten, die während des kurzen Krieges in Slowenien in Aktion traten. Sie stürmten weinend ins Belgrader Parlament und brüllten „ihre Männer“ an, etwas gegen den Krieg zu unternehmen. Aber als sie in Slowenien eintrafen, wollten nur wenige von ihnen mit den slowenischen Frauen reden, die sie willkommen hießen. Einige Wochen später, als die kroatischen Mütter ihren Protest erhoben, schickte eine Mutter der serbischen „Pro-Armee“-Bewegung die Botschaft: „Wir kommen nach Zagreb und treiben eure Schulden gegenüber der Bundearmee schon ein.“

In Sarajewo ergab sich ein etwas anderes Bild. Die Bewegung dort bestand nicht nur aus Müttern, sondern aus Eltern, die ihre Kinder aus der Bundesarmee holen wollten. Nach einigem heftigen Widerstand stürmten auch sie das Parlament, und ein paar bosnische Politiker schlossen sich ihnen mit Friedensbotschaften an. Aus Sarajevo stammt auch der Spruch, den ich am besten finde: „Ich bin Muslimin, mein Mann ist Serbe, und ich werde meinem Sohn nicht erlauben, daß er irgendjemanden in diesem verrückten Bruderkrieg umbringt“, sagte eine Frau. Natürlich wurde diese Szene niemals im kroatischen (staatseigenen) Fernsehen gezeigt. Aus den Müttern wurden schnell kroatische, serbische, albanische Mütter.

„Unser Konzept von Mütterlichkeit“, schrieb die deutsche Autorin Herad Schenk Anfang der 80er Jahre, „hat neben der Bedeutung von Fürsorglichkeit immer auch eine Konnotation von ,Aufopferung‘ gehabt, und zwar der Aufopferung des Liebsten selbst, nämlich des Kindes, für einen größeren Zusammenhang: die größere Sache, die Gemeinschaft, die Zukunft“. Auf welch tragische Weise diese Bemerkung wahr ist, zeigt folgende Episode: Eine der wenigen Frauen im kroatischen Parlament (aus dem Wahlkampf bekannt als „Mutter von fünf Kindern“) trat ans Rednerpult und verkündete, daß sie bereit ist, alle ihre Söhne für die „Freiheit Koratiens“ zu opfern. Zwei Tage später kam die Nachricht, daß einer ihrer Söhne, Mitglied der Nationalgarde, getötet worden war. Die Beerdigung war ganz besonders feierlich. Die meisten anderen sterben anonym. An jenem Morgen, als die kroatischen Mütter von ihrer Europatournee zurückkamen, stellte sich selbst Präsident Tudjman, dessen Charisma leichte Risse bekommen hat, zu ihrer Begrüßung ein. Ekstase. Frauen griffen nach ihm, küßten ihn ab. Sein Bodyguard stand konfus herum, Maschinengewehr unterm Mantel versteckt. Herr Tudjman, der die ganze Zeit den Frieden beschworen hatte, aber auch die Entschlossenheit, „jeden Quadratzentimeter unseres Landes zu verteidigen“, und der „den letzten Blutstropfen für unsere Freiheit und Souveränität“ geben würde, bedankte sich bei den Müttern für ihre Bereitschaft, ihre Söhne der Nationalgarde zu übergeben. Ich meine, Mißtrauen auf dem Gesicht mindestens einer der Frauen gesehen zu haben, die hinter Tudjman standen. Alle zusammen beteten sie mit unserem Präsidenten, Ex-Bolschewik und General.

Vielleicht werden aus Müttern wieder Frauen

Aber ich muß es noch einmal sagen: Gemischte Gefühle sind schwer zu unterdrücken. Die jugoslawische Gesellschaft (oder die Gesellschaften) ist traditionell und patriarchal. Selbst die Mehrheit der Intelligenzia ist unaufgeklärt. Autistische und narzißtische Männer, die verzweifelt die Zustimmung von Führer und Volk suchen. Religion als Institution war lange Zeit unterdrückt, demokratische Strukturen und liberales Bewußtsein hatten niemals eine Chance, sich zu entwickeln. Die Bewegung der Mütter und Eltern ist nach langer Zeit die erste wirkliche Bürger- und Bürgerinneninitiative.

Eine Anekdote gibt vielleicht Anlaß für Optimismus: Frauen wurden in der letzten Zeit auch zu den täglichen Pressekonferenzen eingeladen. Eine setzte an, über ihre Hoffnung zu reden, daß Vernunft und eine Politik des Herzens diesen Krieg verhindern könnten. „Wir können nicht unsere Länder räumen, aber Generäle und Politiker auswechseln“, sagte sie. Sie wollte über die Tausenden von Flüchtlingen auf beiden Seiten sprechen, über das Zusammenleben, das irgendwann in der Zukunft notwendig sein wird. Sie wurde von einem jungen und ehrgeizigen Informations-Vizeminister unterbrochen und zwar mit der üblichen Entschuldigung, daß „die Zeit kurz und die Lage dramatisch“ sei und sich daher alle kurz zu fassen hätten. Sie aber weigerte sich, aufzuhören: „Es handelt sich hier um ernste Probleme und Sie müssen uns schon Zeit geben, darüber zu diskutieren. Alle Mütter wollen, daß ihre Söhne am Leben bleiben und nicht manipuliert werden.“ Und dann teilte sie uns mit, daß serbische Mütter aus Belgrad sich mit Müttern aus Kroatien hatten treffen wollen, das aber von oben unterbunden worden war. — Ein kleiner Schritt in Richtung Demokratie, für Kroatien aber ein großer. Vielleicht werden aus Müttern wieder Frauen. Vesna Kesic

Die Autorin ist Journalistin und lebt in Zagreb.

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