: Ehrenbronze für einen Jasager
■ Ludwig Plate — der jüngst geehrte Weserbaumeister drehte 1945 gehorsam für den „Endsieg“ die Siele auf
Am Hause Vasmerstraße 24 im Bremer Ostertor prangt seit einigen Wochen eine Gedenktafel. Sie erinnert an Ludwig Plate, einen Mann der in diesem Haus mehr als 45 Jahre gelebt hat. Das Relief zeigt einen Männerkopf vor angedeutetem Hastedter Weserwehr. Die Inschrift verrät, daß Plate bremischer „Oberbaudirektor für Strom- und Hafenbau“ war und das Haus von 1921 bis 1967 bewohnt hat.
Gedenktafeln für illustre Persönlichkeiten sind in Bremen rar. Um so verwunderlicher ist, daß ausgerechnet ein Ludwig Plate mit posthumer Bronze geehrt wurde. „Ich habe das nicht betrieben“, versichert der für Kunst im öffenlichen Raum zuständige Referent Hans-Joachim Manske. Gleichwohl habe sein Ressort beratend zur Seite gestanden, um einen Künstlervorschlag für die Plate-Platte zuwege zu bringen. Geld sei, wie in solchen Fällen üblich, von der „Stiftung Wohnliche Stadt“ geflossen: 4.500 Mark, eher ein kleiner Fisch im Teich der Stiftungsgelder.
Warum aber zahlt die Stiftung
Haltbares Andenken für einen Mann des blinden Gehorsams Foto: taz
für Plate? Ludwig Plate geboren 1883, wuchs in Walle auf, besuchte die Volksschule an der Ritter-Raschen-Straße und anschließend das Alte Gymnasium. Er studierte Ingenieurwesen und hospitierte 1906 einige Wochen als Werkstudent beim Bau des da
hier bitte die
Ehrentafel
mals hypermodernen Weserwehrs. Nach dem Abschluß des Studiums 1908 verschrieb sich Plate mit Leib und Seele der Wasserbaukunst im allgemeinen umd dem Weserwehr im besonderen. 1921 bestellte ihn der Senat zum Leiter des Bauamts für die Unterweserkorrektion,
1923 wurde er Strombaudirektor.
Neben seiner Ingenieurs- Karriere arbeitete Plate zielstrebig an seinem politischen Fortkommen: 1920 war er der Deutschen Volkspartei beigetreten, die in Bremen das gehobene Bürgertum repräsentierte. Für diese Rechtspartei kandidierte er auch bei der letzten Bürgerschaftswahl im April 1933 auf einem vorderen Listenplatz. Doch sein Mandat konnte er nicht mehr wahrnehmen; Adolf Hitler löste alle Parteien auf.
Am 1.Juni 1937 wurde Plate selbst Mitglied der NSDAP — aus Überzeugung. Er hätte Nein sagen können. Andere hohe bremische Beamte waren keinesfalls Mitglieder der Hitlerpartei. Ludwig Plate war ein pflichttreuer Beamter. 1944 wurde er vom Wehrkommandanten Generalmajor Sieber instruiert, bei Herannahen der britischen Panzer die Siele der Deiche in den Niederungen nördlich der Stadt zu öffnen. Oberhalb des Weserwehrs sollte durch Hochdrehen der Staukörper auf sechs Meter über Normalnull das Wasser der Mittelweser aufgestaut werden, um dann durch Öffnen der Siele das Gelände südlich Bremens zu überschwemmen. Diese Variante der Taktik der verbrannten Erde sollte die Eroberung Bremens verhindern.
1945: Taktik der verbrannten Erde...
Ludwig Plate hat offenbar noch in den letzten Kriegstagen an den „Endsieg“ geglaubt. Anders ist nicht zu erklären, daß er im April 1945 diese sinnlosen Befehle tatsächlich ausführte und den Kriegshelden markierte: Der Ochtumdeich lag bereits unter feindlichem Feuer, da radelte Ludwig Plate mit seinem Fahrrad dort von Siel zu Siel, um die Wasserduchlässe zu schließen.
„Das gelang auch“, notiert der Historiker Herbert Schwarzwälder, „so daß die Engländer zur Erobrung Bremens am 25. April Amphibienpanzer einsetzen mußten“. Die Überflutung der Niederungsgebiete sei die „wichtigste und wirkungsvollste Verteidigungsmaßnahme“ gewesen. Dach was wurde hier noch verteiligt?
Während anderswo Soldaten ihre Uniformen und Soldbücher auf den Mist schmissen, Zivilisten den Befreiern mit weißen Tüchern entgegengingen — Bremens oberster Wasserbauer funktionierte bis zum Schluß. Bereits ab Mitte April 1945 hatte ein starker Flügel in der Führungsclique der Hansewstadt um die Senatoren Duckwitz und Fischer an Einfluß gewonnen. Sie wollten die Stadt den Engländern übergeben. Die Hardliner um Gauleiter Wegener dagegen trommelten für den „Endsieg“. Bedenkenlos warf die SS in den letzten Kriegswochen den sogenannten „Volkssturm“ aus Kindern und Krüppeln in das britische Geschützfeuer. Und Ludwig Plate drehte die Siele auf, um die englischen Tanks zu ersäufen. Etwa 760 Menschen wuden in den letzten sechs Tagen vor der Besetzung durch die Briten getötet.
Nach der Befreiung Bremens wurde Plate als Beamter entlassen. Eigentlich sollte er — zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts — Steine klopfen. Doch dazu kam es nicht. Der politische Wind hatte sich gedreht. Die neuen Herren, die Amerikaner, brauchten Fachleute, um die Zerstörungen an Häfen, Schleusen, Sielen und Wehren zu beseitigen. Ein US- Offizier setzte sich für Plate mit den Worten ein: „What a nonsens, Mr. Plate, to clean bricks! What a madhouse!“
Das Entnazifizierungsverfahren im April 1948 war nur noch eine Formsache. Plate wurde als „Mitläufer“ eingestuft; durch Zahlung einer Geldbuße von 960 Reichsmark war die Angelegenheit abgetan, die Vergangenheit bewältigt. Damit war der Weg frei für eine neuerliche Karriere am alten Platz. Ludwig Plate wurde wieder verbeamtet.
1948: ...eines „Mitläufers“
Rehabilitiert und geschätzt, ein ehren-werter Bürger, der gerne plattdeutsche Geschichten las. Ein guter Ingenieur, zweifelsohne: Ihm verdankt Bremen eine seeschifftiefe Weser ebenso wie die ersten Planungen für den Werdersee.
Aber Ludwig Plate war ein Mensch, der in einer entscheidenden Situation nicht Nein sagen konnte. Bremens Historische Gesellschaft hat die Tafel für Ludwig Plate angeregt. Vorsitzender de Porre weiß um die NS-Mitgliedschaft Plates, für ihn ein „leidiges Thema“. Auch in der Bildungsbehörde ist die braune Vergangenheit des Geehrten bekannt. „Natürlich gab es Bauchschmerzen“, sagt Manskes Kollegin Rosemarie Pfister. Aber Plate sei ja nicht als Faschist aufgetreten. Man habe ihn geehrt wegen seiner Leistungen für „Bremen als Stadt am Wasser“. Plate sei schließlich „eine hervorragende Fachkraft“ gewesen.
Berufliche Qualifikation, Spezialabteilung Wasserbau, reicht in Bremen offenbar aus, posthum in Bronze verewigt zu werden. Wenn das Beispiel Schule macht: Für wen alles werden dann noch Tafeln angebracht? Lauter „Profis“, die persönlich keinem Juden und keiner Russin Leid zugefügt haben. Die aber — „Führer befiehl, wir folgen“ — das große Räderwerk von Verfolgung und Krieg mit ihrem schlimmen deutschen Diensteifer geschmiert haben. Die eine Menge konnten — „Profis“ eben. Nur eines hatten sie nicht gelernt: Nein sagen.
Nachsatz: Der erste Künstler übrigens, den die Kunstbehörde mit einer Plate-Bronze beauftragte, lehnte die Arbeit ab. Die dunklen Abschnitte der Biografie von Ludwig Plate wollte er nicht durch einen unverfänglichen Entwurf vergessen machen.
Günter Beyer
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