: ZWISCHEN DEN RILLEN
■ Grosses Musikalisches Kesseltreiben: Primal Scream
Lange sah die Zukunft gar nicht besonders gut aus für die Band, die sich nach einer Mode- Therapie der sechziger Jahre benannte. Pilzköpfe und Paisley-Hemden — das war nicht gerade das, womit unter lauter Sixties-Nachahmern der große Wurf zu machen war, auch wenn die Niedlichkeit der ersten Single Velocity Girl konsequent und stilsicher zur schlaksigen Beatnik-Pose ausgebaut wurde.
Selbst die überraschende Wende zum Riffrock, von Spöttern bereits als Verzweiflungsgeste alternder Pop-Dandys interpretiert, zeigte am Ende bloß die Grenzen erzwungener Originalität. Vor nicht einmal zwei Jahren sprangen sie dann auf den gerade anfahrenden Rave-Zug auf. Die Rede ist von Primal Scream, heute neben den Happy Mondays die Shooting Stars der neueren weißen Dance-Bewegung. Ihre gerade erschienene dritte LP Screamadelica wird von Management und Agenturen — nicht ganz zu Unrecht — als langerwartetes Ereignis inszeniert, dem Klatsch, Promo-Tapes, Geschichten und Interviews in der Trendpresse vorauseilen.
Alles in allem eine erstaunlich biegsame Karriere, wie sie noch vor wenigen Jahren kaum ein Fan seiner Band verziehen hätte: zu viele Haken und Windungen auf dem Weg nach oben. Zuwenig Standvermögen à la Neil Young. Doch Primal Scream haben es geschafft, die traditionellen Gesetze der Glaubwürdigkeit auf den Kopf zu stellen, indem sie das Paktieren mit den jeweils aktuellen Trends als Nonplusultra kreativer Neugier verkauften.
Seit er die damals auf dem Höhepunkt ihrer Hipness stehenden Jesus & Mary Chain für sein eigenes Projekt verließ, hat Bandnabel Bobby Gillespie immer wieder die eine Message unters Volk gebracht: Alles ist im Fluß, alle Stil- und Spielarten stehen zur Verfügung und können beliebig benutzt werden. Don't fight it, feel it heißt kaum zufällig auch die neue Single: Es gibt keine Widersprüche und Unvereinbarkeiten; was zählt, ist allein das Aufsaugen von Klangvarianten und Beats, die Nacht für Nacht beim Tanzen auf Tauglichkeit hin erprobt werden.
Screamadelica klingt denn auch ein wenig wie ein Sampler mit All-Time-Greats, wild zusammengeklaut aus dem Gemüsegarten der letzten zwanzig Jahre Popgeschichte, und — was ein bißchen erstaunt — noch nicht einmal mehr von einem durchgängigen Rave-Beat zusammengehalten. Moving on up, der Opener, erinnert mit seinen Dreschflegel-Gitarren und Blues-Gesängen an die mittleren Rolling Stones (wurde tatsächlich auch von Jimmy Miller, dem Produzenten von Exile on Main Street, abgemischt), Inner Flight beginnt mit verfremdeten Beach-Boys- Chören, die „psychedelisch“ über Pianolinien zerschmelzen, und nach den Eröffnungstakten von Slip into this House wartet man jeden Moment auf den Einsatz von David Byrnes Stimme: „You may find yourself living in a shotgun shack...“ — die dann natürlich nicht kommt. Statt dessen driftet die Melodie weiter, wiederholt sich unablässig, geht gelegentlich auch ganz verloren in eintönigeren Rhythmus-Wüsten, in denen Synthesizer fiepen und unmotiviert Beatles-Akkorde herumstehen. Dazwischen und daneben schließlich die „eigenen“ Erfolgssingles, das pompöse Higher than the Sun in gleich drei verschiedenen Mixes (u.a. einer Dub-Version mit Jah Wobble) und eben Don't fight it, feel it, aber auch die Erfolgsnummer vom letzten Jahr: das schleppende Come Together und sogar noch einmal Loaded, jenes exzessive Rumreiten auf drei Akkorden, das den 1990er Begriff von „Rave-o-lution“ so nachhaltig mitgeprägt hat.
Erfrischend an der Herangehensweise von Screamadelica ist nach wie vor die spielerische Begeisterung für alles, was irgendwie Beat hat oder zumindest im Studio mit Dance-Rhythmen kompatibel gemacht werden kann — ein großes musikalisches Kesseltreiben, für das die Beteiligten selbst in Kauf nehmen, als Musiker im handwerklichen Sinn kaum noch in Erscheinung zu treten. Welcher Sänger würde schon freiwillig seinen Part abgeben, wie Bobby Gillespie für die jüngste Single an Denise Johnson — bloß weil sie die passende Club-Soul-Stimme hat; welcher traditionelle Lead-Gitarrist sein Instrument von technisch erzeugten Blubber-Beats in den Hintergrund drängen lassen — weil Drei- Tage-Ideologien zufällig danach schreien? Das fröhliche Anything goes von Primal Scream untergräbt traditionelle Rock-Werte wie Solidität, Bodenständigkeit und individuellen, über Jahre erarbeiteten Ausdruck. Co-Stars sind immer auch DJs, Berater und Produzenten, und vielleicht wird der Beraterstab P.S. eines Tages mehr zum endgültigen Tod des Rock 'n' Roll als handgefärbter Ausdrucksform beschädigter Seelen beigetragen haben als Public Image, die diesen vor mehr als zehn Jahren bereits proklamierten. Umgekehrt heißt das natürlich auch, daß sich aus dem Nebeneinander verschiedenster Ingredienzen, dem freien Fließen von Rollen und Mustern keinerlei wirkliche Reibung mehr ergibt. Wo alles zusammenpaßt, verlieren die zitierten Fetzen auch die letzten Reste von Renitenz und Eigenart, werden zu Pastiches in einer durchgängigen Oberfläche. Kein Wunder, daß die gelegentlich eingestreuten Sitarklänge wie Reminiszenen an Sinnsuchen klingen, die nie stattgefunden haben. Loaded ist wie Sympathy for the Devil ohne „Devil“. Auch das quirlige Saxophon auf I'm coming down macht sich eigentümlich steril. Alles, was von der heorischen Phase der Rockmusik, vom Break on through der Doors, von Stones, Velvet Underground und Konsorten noch spürbar ankommt, ist ein vages Festhalten an Rauschbedürfnissen. „We wanna get laoded“ war das Rave-Bekenntnis von 1990. Auf Screamadelica ist es unformuliert in „Driftin, driftin, driftin“ und „Pills make me feel better for a little while“. Daß das unterm Strich doch nicht so viel ist, wie das sympathische Milchgesicht Bobby Gillespie gern möchte, wird erst dann so richtig klar werden, wenn die modische Drogenessergebärde sich wieder zum gewöhnlichen Hedonismus abgeschliffen hat.
Primal Scream: Screamadelica, Creation
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