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Spaziergang im Lunapark der Welt

Mario Botta über globale Chancen regionaler Architektur  ■ Von Gerhard Mack

taz: Herr Botta, es gibt sehr viele Proteste gegen die offziellen Jubiläumsfeierlichkeiten. Sie haben das Zelt gebaut, das mittlerweile zu einem Wahrzeichen der 700-Jahr- Feier der Schweiz geworden ist. Warum?

Mario Botta: Die Idee zu dem Zelt wurde schon lange vor den Auseinandersetzungen geboren. Der zeitliche Planungsvorlauf betrug anderthalb Jahre. Als ich damals mit Marco Solari das Projekt besprochen habe, habe ich nicht erwartet, daß es zu Protesten gegen das offzielle Jubiläum kommen würden. Aber abgesehen von der zeitlichen Verzögerung halte ich meine Beteiligung auch heute für richtig und würde das Zelt trotz der Proteste wieder bauen: Ich glaube, daß wir durch unsere Arbeit unsere gesellschaftliche Haltung bekennen und Kritik formulieren müssen. Walter Benjamin hat einmal gesagt, daß der politische Wert eines literarischen Werkes sein litarischer Wert sei. Entsprechend möchte ich sagen, daß der politische Gehalt eines Bauwerks in seiner architektonischen Qualität besteht. Ich kann mich zu diesem Land Schweiz nur durch meine Arbeit fundiert äußern. Mit dem Zelt habe ich ausgedrückt, was ich denke. Das ist eine Form von politischem Engagement.

Worin besteht Ihre Kritik?

Das Zelt ist nicht konformistisch, es ist beispielsweise kein Schweizer Chalet, dafür aber ein Resultat unserer Sensibilität, auch unserer Technologie. Dieses nomadische Dach spricht von dem Bedürfnis nach Begegnung mit Mitmenschen und es geht zugleich ein Dialog ein mit der Umgebung, in der es aufgestellt wird. Das Schloß, der See kann anders wahrgenommen werden. Wir erleben Vergänglichkeit, und vielleicht sehen wir die Veränderungen, die wir immer schneller bewirken.

Werden Sie nach diesem Erfolg öfter Zelte bauen?

Nicht der Architekt bestimmt, was gebaut wird. Man bittet ihn um Dinge, und von Zeit zu Zeit antwortet er.

Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation der Architektur in der Schweiz? Das Land ist klein, Bauprojekte werden zunehmend hinausgezögert. Ich denke zum Beispiel an die Erweiterung des Hauptbahnhofes in Zürich, die jetzt wieder in Frage gestellt ist, oder an Ihre Planung der Bank „Bruxelles Lambert“, für die die Stadt Genf den Baubeginn noch immer nicht erlaubt hat.

Trotz solcher Verzögerungen muß ich sagen, daß ich in der Schweiz viele Möglichkeiten zum Bauen bekommen habe. Und die begrenzte Dimension des Landes erlebe ich eher als Vorteil. Wenn ich in so einer kleinen Region wie dem Tessin lebe, bin ich gezwungen, nach draußen zu gehen und mich mit den Problemen der Welt konfrontieren, um ein Theater, eine Bibliothek oder ein Museum bauen zu können. Insofern ist die Situation einer Minderheit ein großer Vorteil. Ich kann mich der Welt öffnen, ohne den wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Zwängen unterworfen zu sein.

Warum haben Sie bisher nicht in Zürich gebaut?

Man hat mich nie darum gebeten.

Welche Gründe sehen Sie da?

Vielleicht mögen sie mich nicht. Aber ich bin gerade daran, in Zürich ein Projekt mit Wohnungen und Geschäften zu planen.

Wo wird das sein?

Auf dem Steinfelsareal.

Wenn man auf das letzte Jahrzehnt Ihrer Arbeit zurückschaut, fällt eine Entwicklung von den Einfamilienhäusern zu Großbauten in Städten auf. Die Stadtarchitektur ist seit einiger Zeit in einer vielfältig bedingten Krise.

Zunächst möchte ich festhalten, daß die Stadt das privilegierte Arbeitsfeld des Architekten ist. Ihre Bedeutung entspricht der des Museums für den Maler. Sie ist der Ort der Widersprüche, der Konfrontationen und der Maßstäbe, das Gedächtnis der Vergangenheit. Allerdings können wir mit der heutigen Form von Urbanismus alles andere als zufrieden sein. Gleich welche neuen Viertel Sie anschauen, Sie finden keine angenehmen Räume mehr, aber Ghettos voller Gewalt und ohne jede Schönheit. Das ist ziemlich traurig, weil es mit unserer moralischen Verantwortung, mit unseren Gesetzen und unserer Kultur angerichtet wurde. Ich versuche, kritisch zu wahrzunehmen, was sich da abspielt, und alternative Modelle auszuprobieren. Ich will die Banalisierung der Moderne nicht mitbetreiben, Architektur ist für mich ein Mittel, konstruktiv in die Lebenswelt einzugreifen.

Sehen Sie da Unterschiede zwischen den Städten im mediterranen Raum und denen im industrialisierten Norden?

Nein, der Urbanismus steckt heute weltweit in der Krise. Wo Sie auch hinschauen, haben alte Städte mehr Lebensqualität als moderne. Heute werden Räume nach ausgewählten Funktionen und Dienstleistungen bebaut, sie sind Orte des Übergangs, sie lassen keine Lebensfreude zu. Das finden Sie in den Vororten von Hannover und Berlin ebenso wie in denen von Rom und Mailand.

Wenn Sie in einer Stadt wie Tokio eine Kunstgalerie bauen, so kann dieses Gebäude vielleicht eine Straße oder ein Viertel dominieren, im Horizont der Stadt verschwindet es aber. Ist es da nicht utopistisch, in der Architektur ein Mittel zur Veränderung zu sehen?

1968 glaubten die Architekten, sie könnten mit Architektur das Leben der Menschen verändern, samt Wirtschaft und Politik. Heute weiß man, daß das nicht funktioniert; man weiß aber auch, daß die Architektur die Architektur beeinflussen kann. Mit einem Gebäude in Tokio kann ich zumindest beweisen, daß es möglich ist, anders zu bauen, als es rundherum geschieht. Das stärkt mein Bewußtsein, auch wenn es sehr reduziert ist. Eine allgemeine Utopie gibt es daher nicht, dafür aber eine realistische Haltung voller Hoffnung. Ich mag das Wort Utopie nicht. Es kann heute nur bedeuten, sich auf die Widersprüche einzulassen, sich in die Zwänge zu begeben, die reale Situationen bereithalten. Architektur ist Begegnung, die Idee des Architekten und die Realität mit ihren geographischen, ökonomischen, politischen, kulturellen und historischen Facetten treffen aufeinander. Ein Bauwerk ist Produkt dieser Begegnung. Ich arbeite für diese Konfrontation. Abstrakte Utopien interessieren mich nicht.

Sie sagen, Sie setzen sich mit der Geographie und Geschichte eines Raumes auseinander. Wie verhält sich das zur Postmoderne, für die die Architektur paradigmatisch wurde?

Die Postmoderne in der Architektur ist eine Krankheit, weil ihre Vertreter wesentliche Begriffe verwirrt haben. Insbesondere wurde das Problem der Geschichte mit dem Problem des Stils verwechselt. Die Postmoderne berührt nur die Haut, nicht die Struktur, die dahinter ist. Architektur ist eine Frage der Ethik, nicht der Ästhetik. Wenn die Postmoderne sich nur für die Fassaden interessiert, lehne ich das ab.

Wie würden Sie die Ethik eines Architekten heute beschreiben?

Architektur schafft Form für Geschichte. Die Ethik dieser Form besteht aus den Werten, die einem Bauwerk zugrundeliegen. Ich kann eine Wohnung bauen, um ein optisches Interesse an der Fassade zu befriedigen, ich kann aber auch versuchen, den Sonnenkreislauf, den Wechsel der Jahreszeiten, das Bedürfnis nach Zuflucht und Schutz einzubeziehen. Mich persönlich interessiert die Vergangenheit. Wir leben, weil wir ein Gedächtnis haben. Ich suche nach den Archetypen, die die Erinnerungen bestimmen.

Ein großes Problemfeld der heutigen Architektur ist ihr Verhältnis zur Ökologie. Sie pflanzen seit geraumer Zeit Bäume auf die Dächer Ihrer Bauten. Ist das Ihre Antwort?

Da gibt es zunächst einen grundsätzlichen Konflikt: Ökologen interessieren sich für die Grundlagen der Natur, Architekten für die der Kultur. Architektur beinhaltet, die Realität umzuformen, ein neues Gleichgewicht zu suchen, eine naturgegebene in eine kulturelle Situation umzuformen. Das ist die Ursünde aller Kultur. Aber innerhalb dieser Spannung hat gute Architektur das ökologische Gleichgewicht schon immer zu erhalten gesucht. Bei meinen Bäumen fragen die Leute immer, warum sie nicht unten auf dem Boden stehen. Ich sage dann, daß es da keinen Platz für sie hat. Das ist meine politische Aussage zu dem Thema.

Der Beginn des letzten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts ist durch das Ende des Kalten Krieges und, ab nächstem Jahr, durch den europäischen Einigungsprozeß geprägt. Bewirken diese politischen Ereignisse auch einen Einschnitt in der Architektur?

Die Berliner Mauer war Ausdruck politischer Gewalt. Daß sie falen würde, lag für mich als evolutionär denkenden Architekten im natürlichen Lauf der Dinge. Wenn die Politiker überrascht waren, so doch nur, weil sie über die Arroganz der Macht verfügen, die Menschen gefangen hält. Die Öffnung des Gefängnisses wird auch auf die Schweiz Einfluß haben. Sie ist der Beginn einer Entwicklung, in der die Menschen immer mehr zu Weltbürgern werden. Die Bewegungsströme werden sich immer schneller und auch zunehmend gewalttätiger vollziehen. Der Mensch wird ein Tier sein, das durch die verschiedenen Länder streift. Regionen, die sich gerne abschließen, werden sich diesen neuen Völkerwanderungen nicht widersetzen können. Territoriale Eigenheiten werden sich viel schneller ändern als früher. Auf diesen großen Spaziergang der Menschen im Lunapark Welt muß sich auch die Architektur vorbereiten.

Das Problem stellt sich für die Schweiz demnächst ganz konkret in der Frage des EG-Beitritts. Sie plädieren mit Ihrer Architektur für eine starke regionale Verwurzelung, registrieren jetzt aber eine Tendenz zur Auflösung nationaler Verbände. Haben Sie da keine Angst vor Identitätsverlust?

Ich habe das Glück, ein regionaler Architekt zu sein, aber das begrenzt nicht meinen Horizont. Ich arbeite in Berlin und Paris ebenso wie in Italien, San Francisco oder Tokio. Das Problem der Grenzen kommt aus dem politischen Bereich, für den künstlerischen Ausdruck existiert es nicht. Von daher erwarte ich keine Veränderungen in der Zukunft. Alles wird von meiner Kreativität abhängen. Wenn ich etwas zu sagen habe, werde ich es sagen, wenn nicht, werde ich still sein. Was aber dieses Land betrifft, so habe ich den Eindruck, daß die Regionen und die ethnischen Gruppen immer wichtiger werden, gerade wegen der großen politischen Nivellierung. Das Europa der Zukunft wird das Europa der Regionen sein. Ohne eigenes kulturelles Bewußtsein kann man sich nicht mit anderen Völkern auseinandersetzen. Die Kämpfe in Slowenien und Kroatien sind Ausdrcuk dieser Tendenz, die auch die Sowjetunion erfassen wird. Das ist nur eine Frage der Zeit, aber am Ende werden die ethnischen Gruppen die wahren Sieger sein.

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