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Die Spione, die lieber in der Kälte blieben

Zwar ist der traditionelle Feind verlorengegangen, doch durch die Ernennung des kalten Kriegers Robert Gates zum CIA-Chef wird sich die Reduzierung des US-Geheimdienstapparates in Grenzen halten/ Neue Beschäftigungstherapien in Hülle und Fülle  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Dies sind harte Zeiten für Spione. In Moskau werden die Denkmäler des geistigen KGB-Vaters Dzierzynski vom Sockel gestoßen, und auch im CIA-Hauptquartier in Langley, außerhalb von Washington, ist man auch schon ganz nervös. Die Spione, so scheint es, wären lieber draußen in der Kälte geblieben. „Wer ist denn jetzt noch unser Feind“, fragte KGB- Chef Bakatin US-Außenminister James Baker letzte Woche bei dessen denkwürdigem Besuch des sowjetischen Spionagehauptquartiers. Und auch in den USA drohen Politiker dem Geheimdiensapparat mit Reformen.

Ein Gesetzesentwurf von Senator Moynihan sieht vor, die „Central Intelligence Agency“ (CIA) ganz zu schließen und ihre übrigbleibenden Funktionen dem Außenministerium zuzuweisen. Kritiker behaupten, die enorme Geheimdienstbürokratie hätte in der Vergangenheit auch nie mehr gewußt als der wohlinformierte Auslandskorrespondent einer guten Zeitung. „Dem Geheimdienst mangelt es an einer Vision, wie er seine grundsätzlich konservative Grundhaltung der sich rasch verändernden Welt anpassen kann und ist für die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht mehr ausgerüstet“, so gibt selbst Vincent Cannistrato, der ehemalige Chef der CIA-Abteilung für Counter-Terrorism, heute offen zu.

Doch die Belegschaft der amerikanischen Spionagebranche, deren Aufrechterhaltung jährlich über 30Milliarden Dollar kostet, braucht sich nicht allzusehr zu sorgen. Mit seinem stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater Robert Gates hat Präsident Bush statt eines Reformers erneut einen kalten Krieger für das Amt des Geheimdienstchefs vorgeschlagen. Und der Geheimdienstausschuß des Senats spielt mit: Nach einer Woche Anhörung in Washington ist Gates Ernennung zum CIA-Chef so gut wie sicher. Und dies, obwohl der Kandidat George Bushs noch 1989 vor Gorbatschow gewarnt hatte und (nicht nur) in den Iran-Contra- Skandal verstrickt war.

Unter der Führung von Robert Gates wird das weltweite und fast burschenschaftliche Netzwerk aus Agenten und Spionen einen allzu drastischen Abbau ihrer ehemaligen Brutstätten schon zu verhindern wissen. Die Mitglieder des seit 1947 aufgebauten „Nationalen Sicherheitsstaates“ sitzen heute in allen Positionen der Macht, als Ex-Geheimdienstler in den think tanks, den zuständigen Kongreßausschüssen oder im Weißen Haus. Geheimdienstler zu sein, ist eben nicht nur eine temporäre Beschäftigung, sondern eher eine lebenslange Geisteshaltung. Und schließlich ist auch der Yale- Absolvent und Ex-CIA-Chef George Bush, Mitglied des elitären Geheimbundes „Skull and Bones“, auf ihrer Seite.

Wer also glaubt, die Spione müßten nach dem Ende des kalten Krieges den Weg zum Arbeitsamt antreten, täuscht sich. Die CIA und ihre Schwesterdienste sind bereits dabei, neue Beschäftigungstherapien zu entwickeln: Wirtschaftsspionage, Drogenaufklärung, Terroristenjagd und low intensity conflicts heißen die zukünftigen Aufgabenfelder.

In der Tat wäre ein Abbau des US- amerikanischen Geheimdienstapparates ein wahrhaft herkuleisches Unterfangen. Denn die CIA mit ihrem Anteil von rund 15Prozent des Geheimdienstbudgets ist nur der kleinste Teil des amerikanischen Spionage-Empires. Ihr Prestige und ihre Bedeutung leiten sich eher von der Tatsache ab, daß der CIA-Chef als „Director of Intelligence“ die formale Oberhoheit über den gesamten Agentenapparat hat.

De facto aber werden 85 Prozent des Geheimdienstetats vom Pentagon kontrolliert und für diejenigen Dienste ausgegeben, die im Lauf der letzten drei Jahrzehnte immer wichtigere Aufklärungsfunktionen übernommen haben. Allein für die Satelliten-Spionage der „National Reconnaissance Office“ (NRO) — die so geheim ist, daß sie offiziell gar nicht existiert — werden jährlich 12 bis 15Milliarden Dollar (25Milliarden DM) ausgegeben. Der Telephonabhörservice der „National Security Agency“ (NSA) und der militärische Analysedienst der „Defense Intelligence Agency“ kosten den Steuerzahler weitere Milliarden.

Bei zukünftigen Budgetbeschränkungen sind die Verteilungskonflikte zwischen der CIA und diesen militärischen Spionagediensten bereits vorprogrammiert. General Schwarzkopfs offene Kritik an der Leistung der CIA im Golfkrieg wurde vom Pentagon gleich als Wink verstanden, die klägliche „menschliche Aufklärungsarbeit“ (kurz „humint“ genannt) der CIA durch einen Ausbau der eigenen Dienste schnell noch auszugleichen, ehe es ans Kürzen geht.

Im Golfkonflikt hatte sich nämlich herausgestellt, daß all die wunderbar operierenden Aufklärungssatelliten und Abhöranlagen nicht bis in die enge Umgebung oder gar in das Kleinhirn Saddam Husseins vorzudringen vermochten. Im Vertrauen auf die spektakuläre High-Tech-Spionage hatte man in der Vergangenheit vergessen, arabisch sprechende Agenten anzuheuern, die neben den Fakten auch Informationen über die Geisteshaltung der iranischen Fundamentalisten oder irakischen Baathisten liefern konnten. Nur so lassen sich die peinlichen Mißerfolge der US-Geheimdienste im Iran des Schahs oder der Ajatollahs und jetzt im Irak erklären. Ein sensibles Einfühlungsvermögen in fremde Kulturen war noch nie die Stärke amerikanischer Diplomaten oder Spione.

In der Tat ist die Bilanz von 45 Jahren Spionage in den USA nicht gerade beeindruckend. Jahrzehntelang überschätzte die CIA die Wirtschaftskraft und militärische Macht der Sowjetunion um ein Vielfaches; ob aus politischen Motiven oder aus reiner Inkompetenz läßt sich nur schwer bestimmen. Neben den Fehlleistungen im Nahen Osten gelang es den Spionen ebensowenig, in Nicaragua die Wahlniederlage der Sandinisten vorauszusagen. Das unrühmliche Verhältnis zu Manuel Noriega ist in diesen Tagen wieder Gegenstand des Prozesses gegen den CIA- Mitarbeiter und Ex-Diktator Panamas. Und wenn die Agenten ihre politischen Meister, wie vor dem Coup gegen Gorbatschow, einmal rechtzeitig warnten, hörte ihnen keiner zu.

Unberührt von dieser kläglichen Vorstellung und eher verwirrt als erleichtert über die Selbstauflösung der gegnerischen Supermacht — zu dessen Bespitzelung immer noch die Hälfte des Etats eingesetzt wird —, sucht die Geheimdienstbürokratie jetzt krampfhaft nach neuen Aufgabenfeldern — zum Beispiel die Wirtschaftsspionage. Als ob der wirtschaftliche Erfolg der Japaner und Europäer ein Geheimnis wäre und nicht etwa das Resultat einer in jedem Lehrbuch nachzulesenden überlegenen Industrie- und Wirtschaftspolitik.

Ob Wirtschaftsspionage oder „human intelligence“ — der Kongreß dürfte den Geheimdiensten auch diesmal ihre neuen Wünsche kaum abschlagen. Der demokratische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses Senator Boren gilt auf Capitol Hill seit Jahren als Jasager, der selbst Robert Gates als CIA-Reformer akzeptiert hat.

Die demokratische Kontrolle oder politische Beeinflussung des Geheimdienstapparates durch den Kongreß hat seit dessen Gründung durch Präsident Truman noch nie funktioniert. Ob in Vietnam, auf Kuba, in Südafrika, Südamerika oder im „geheimen“ Krieg gegen Nicaragua, die Geheimdienstoperationen der CIA und anderer Spionagedienste waren, so die 'Village Voice‘, immer „out of control“.

Selbst im nachhinein waren die parlamentarischen Kontrolleure 1987 nicht willens, die illegalen Aktivitäten von Agenten und Politicos in der Iran-Contra-Affäre aufzudecken. Statt dessen werden sie in den nächsten Tagen sogar der Ernennung eines Mitwissers um den Skandal zum CIA-Chef zustimmen. Am Ende könnte sich die Abwicklung der amerikanischen Spione ungleich schwieriger gestalten als die ihrer Agentenkollegen in der Sowjetunion.

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